Langsam schleicht die vermummte Gestalt über die Mauern eines in Abenddämmerung getauchten arabischen Palastes, bringt mit einem schnellen Stich einen ahnungslosen Wachmann für immer zum Schweigen. Kurz danach gibt es im Hof plötzlich Tumult. Die zur Rebellion angestiffteten Arbeiter locken mit ihrem Lärm den sonst so vorsichtigen Vorarbeiter aus seiner Deckung, um vom Balkon nach dem Rechten zu sehen. In diesem Moment springt die Gestalt von oben auf ihn herab und meuchelt ihn nieder. Der Plan des Assassinen ist aufgegangen.
Die clever inszenierten Meuchelmorde waren einst das Herzstück der "Assassin's Creed"-Reihe. Zum 15. Jubliäum kehrt das am 5. Oktober erscheinende "Assassin’s Creed Mirage" wieder zu diesen Wurzeln zurück. Und das gleich in mehrfacher Hinsicht. Doch so sehr es sich im Test auch wieder nostalgische Gefühle weckt: Den Wandel der Zeit umkehren kann es leider nicht.

Neustart in der Vergangenheit
Dabei klingt die Idee zunächst einmal großartig. Die Spiele der Reihe hatten sich seit "Assassin’s Creed Origins" im Jahr 2017 zunehmend vom einstigen Kern der Serie entfernt. Statt der Meuchelmorde stand immer mehr Action im Vordergrund, die kompakt erzählten, spannenden Geschichten der ersten Teile wichen zunehmen epischen Erzählungen, die schnell Hunderte Spielstunden verschlangen. Und entsprechend von immer weniger Spielern überhaupt noch beendet wurden. "Mirage" sollte die Zeit zurückdrehen – und sich wieder auf die alten Stärken besinnen.
Das gilt gleich in mehrerer Hinsicht. Die offensichtlichste ist der Schauplatz: "Mirage" spielt im alten Bagdad um das Jahr 800, hat damit ein sehr ähnliches Setting wie der allererste Teil der Serie aus dem Jahr 2007. Eine Hommage an das Original, wie von Entwickler Ubisoft bereits bestätigt. Auch beim Gameplay rudert man wieder etwas zurück. Waren die Vorgänger wie "Odyssee" oder "Valhalla" gigantische Rollenspielwelten mit teils riesigen Schlachten, konzentriert sich der neue Teil vor allem auf die kleine Region um Bagdad, stellt wieder das Schleichen in den Vordergrund. Und soll so auch der mit etwa 15 bis 20 Stunden deutlich kürzeren Geschichte mehr Gewicht geben.
Schleichen statt Metzeln
Das mehr auf Schleichen ausgelegte Gameplay funktioniert zunächst erst einmal durchaus. Konnte man beim Wikinger-Teil "Valhalla" auch mal mit der Axt durch die Fronttür stürmen und die ganze Festung niedemetzeln, muss man mit der neuen Hauptfigur Barim jedoch vorsichtiger vorgehen. Die hochrangigen Attentatsziele lassen sich oft nur mit Tricks aus ihren Verstecken locken, etwa indem man wie oben beschrieben einen kleinen Arbeiteraufstand anzettelt. Zu viel Freiheit beim Vorgehen gibt es dann aber doch nicht. Meist bleiben nur einige wenige Optionen, die Ziele anzugehen.
Scheitert man beim Schleichen, ist das in der Regel aber dann doch kein großes Problem. Eine Gruppe von wenigen Gegnern bekommt man auch im Nahkampf in den Griff. Sobald alle aufmerksam gewordenen Wachen beseitigt sind, drehen die übrigen wieder stumpf ihre Runden. Die Intelligenz der Gegner lässt dabei oft zu wünschen übrig: Solange sie es nicht genau sehen, bleiben sie sogar dann seelenruhig stehen, wenn ihr Kollege einen Meter weiter ins Gebüsch gezerrt und erstochen wird. Das macht das Spiel zugänglicher für Gelegenheitsspieler, Spannung kommt so aber selten auf.

Verpasste Chance
Das ist insofern schade, weil die Geschichte selbst auch nicht besonders mitzureißen vermag. Dabei wäre "Mirage" die perfekte Gelegenheit gewesen, eine der größten Schwachstellen der Ubisoft-Spiele auszugleichen. Während andere Serien wie "God of War" oder "The Last of Us" zeigten, dass sich auch in Videospielen mitreißende und auch emotionale Geschichten erzählen ließen, konzentrierte sich Ubisoft in "Assassin's Creed" oder auch der "Far Cry"-Serie immer weiter darauf, eine noch größere Welt zu schaffen, in der die Spieler sich in endlosen Ablenkungen verlieren konnten. Und wurden dann selbst darin überholt. "Horizon: Zero Dawn", "Red Dead Redemption 2" oder auch "Spider-Man" machten vor, dass auch ausufernde Spielwelten stark inszenierte Geschichten erlauben.
Mit "Mirage" hätte man das Ruder herumreißen können. Eine kompaktere Welt, dafür aber eine spannend erzählte Story – das hätte die Serie schnell mit neuem Leben füllen können. Leider klappt es trotz teilweise stark gesprochener Hauptfiguren aber nicht. Die Inszenierung fühlt sie fast genauso an wie vor 15 Jahren. Während andere moderne Spiele einen oft atemlos mitreißen oder tiefe Emotionen erzeugen können, lässt die sehr klassisch erzählte Reise durch die heiße Wüste von Bagdad einen weitgehend kalt. Dass die in "Valhalla" erstmals eingeführte Hauptfigur Basim nicht so recht sympathisch werden will, hilft leider ebenfalls nicht.
Fazit: Aus der Zeit gefallen
"Assassin’s Creed Mirage" will zu den Wurzel der Serie zurück – und wirkt dadurch bedauerlicherweise etwas angestaubt. So macht das Spiel durchaus Spaß, die schön gestaltete Welt ist angenehm kompakt, der Fokus auf Schleichen bringt die Serie tatsächlich zurück zu den Anfängen. Die Inszenierung ist aber schlicht zu altbacken. Vor einigen Jahren wäre "Assassin’s Creed Mirage" noch eine klare Kaufempfehlung gewesen. Doch die Spielebranche hat sich weiterentwickelt. Und der eigentlich lobenswerte Schritt zurück wurde von Ubisoft leider nicht ausreichend für einen Neustart genutzt.
Wer unbedingt mal wieder einen Assassinen spielen möchte oder einfach eine etwas kürzere Geschichte sucht, sollte sich den Titel aber trotzdem anschauen. Auch wegen des Preises: Schon zum Start ist "Assassin’s Creed Mirage" mit 50 Euro deutlich günstiger als andere Toptitel. Die nächsten "Assassin's Creed"-Titel mit Hunderten Stunden Spielzeit sind übrigens schon in der Entwicklung.
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