Es ist ein Paradox: Obwohl selbst kleine Kinder längst völlig selbstverständlich von Alexa Musik wünschen, ihre Lieblings-Youtube-Videos auswendig kennen und von jeden Bildschirm erwarten, ihn betatschen zu können, sind die großen Dienste eigentlich kaum für die jungen Nutzer ausgelegt. Doch das ändert sich in den letzten Jahren immer mehr. Google, Facebook und Co. haben längst auch die jüngste Zielgruppe im Visier.
Jüngstes Beispiel ist Spotify. Nachdem bei dem Musikstreaming-Dienst jahrelang eine Sperre für nicht jugendfreie Inhalte – die von größeren Kindern natürlich ruckzuck heimlich wieder abgestellt wurde – das höchste der Gefühle war, legt der Konzern jetzt nach: Mit dem jetzt als Testversion veröffentlichten Spotify Kids bekommen Kinder eine ganz eigene App, die genau auf ihre Bedürfnisse abgestimmt ist. Von der Bedienung bis zum Inhalt.

Kindgerechte Auswahl
Das fängt schon bei der Auswahl von Musik und Hörbüchern an. Statt der 50 Millionen Songs gibt es bei Spotify Kids nur 30.000, die zudem von zwei deutschen Mitarbeitern handverlesen werden. In zwei Altersstufen wird dabei zwischen Schlafliedern und Kindergartenmusik zum Mitsingen bis zu gut verträglichem Pop für die Größeren unterschieden, böse Gangsterrapper müssen ganz draußen bleiben. Hinzu kommen Unmengen an Hörspielen und -büchern. Dabei sollen alle Klassiker wie Benjamin Blümchen und Co. gleich zum Start vertreten sein, verspricht der Konzern.
Auch bei der Bedienung bleibt alles kindgerecht. Beim Einrichten loggt man sich in das Familienkonto ein – für einfache oder Studentenabos steht die App zunächst nicht zur Verfügung. Dann richtet man jedem Kind ein eigenes Konto ein, dem jeweils eine der beiden Altersstufen zugewiesen wird. Das Interface ist für die Kleinen gut verständlich, bunt und großflächig aufgebaut. Auch bei der Bedienung hat sich Spotify offenbar Gedanken gemacht: Wählt man eine Geschichte oder eine der ebenfalls eigens angelegten Playlists als Favorit, wird diese automatisch heruntergeladen. So muss man dem Kind nicht erklären, warum die Lieder bei schlechtem Empfang nicht gehört werden können.

Begehrte Zielgruppe
Spotify setzt damit einen bestehenden Trend der Branche fort. Auch andere bei Kindern beliebte, aber eigentlich nicht für sie gedachte, Dienste haben in den letzten Monaten und Jahren eigene Versionen ihrer Apps herausgebracht, die sich speziell an Kinder richten. Die bekannteste ist sicherlich Youtube Kids. Aber auch den Facebook Messenger gibt es etwa mittlerweile in vielen Ländern als spezielle Kinderversion. Nach Deutschland hat es die Messenger Kids getaufte App aber noch nicht geschafft.
Tatsächlich scheint sich Spotify auch von den Fehlern der anderen gelernt zu haben. Die kuratierten Playlists sind zwar im Vergleich zur gigantischen Auswahl bei Youtube Kids deutlich eingeschränkter. Dadurch, dass man jeden einzelnen neuen Inhalt händisch prüft, verhindert man aber Fallen, die immer noch bei Googles Kinder-Videodienst lauern. Letztes Jahr wurden dort etwa massenhaft Clips entdeckt, in denen Kindern in der Mitte von Zeichentrick-Folgen Nachrichten über Selbstmorde und Drogen untergejubelt wurden. Youtube kämpft gegen die von Nutzern vermutlich als böser Scherz hochgeladenen Clips, erwischt aber eben nicht jeden von ihnen.
Ein weiterer Vorteil der manuellen Auswahl: "Wir können uns dabei mehr an den kulturellen Gegebenheiten des Landes orientieren. Während leichte Flüche in den USA ein No-Go sind, finden Eltern hierzulande ein 'Dummkopf' nicht ganz so schlimm", erklärt Spotify-Manager Michael Krause. Sollte ein Lied oder Hörspiel trotzdem gegen den Strich gehen, können die Eltern es unproblematisch in der Anhör-Historie heraussuchen und dauerhaft für ihre Kinder entfernen. "Daraus lernen wir dann auch, wenn viele Eltern etwas unangemessen finden."
Andere Bedürfnisse
Andere Dienste und Produkte bieten zwar keine eigene App, erlauben aber eine Teilhabe der Erziehungsberechtigten, etwa mit speziellen Eltern- und Kinderaccounts. Der beliebte Musik-Dienst Tiktok bietet seit Anfang des Jahres die Option, mit einem Elternaccount die Zeit in der App einzuschränken und nur Chats mit Freunden zuzulassen. Auf der Playstation und der Nintendo Switch lassen sich die Kinder-Accounts auf Spiele für bestimmte Altersgruppen und eine zugelassene Höchstspielzeit begrenzen. Ausnahmen gibt es dann nur auf Nachfrage.
Auch bei den Streamingdiensten ist das Bedürfnis der Eltern nach einem sicheren Raum für die Kinder längst umgesetzt. In Kinder-Accounts bei Netflix stößt man auf keinen Fall auf schlimme Inhalte, Disney hat sich gleich eine Altersfreigabe ab 12 als Höchstlimit für den gesamten Dienst auf die Fahne geschrieben.
Und selbst die Smartphone-Hersteller haben das Potenzial erkannt. Apples iOS erlaubt bereits mit Bordmitteln, den Geräte des Nachwuchses deutliche Grenzen zu setzen, bei Modellen mit Googles System Android geht das nach Installation einer Hauseigenen App ebenfalls. Mehr erfahren Sie hier.
Zukünftige Kunden
Natürlich tun die Firmen das nicht aus Eigennutz. Während es bei kostenlosen Diensten wie Youtube, Tiktok und Facebook Messenger darum gehen dürfte, die Kleinen als mögliche zukünftige Kunden an die eigenen Dienste zu gewöhnen, erhoffen die meisten der Dienste sich aus dem Familienmodell einfach bessere Einnahmen.
Zum einen ist da natürlich die größere Akzeptanz der Eltern, den Kindern eine Playstation oder das Smartphone zu erlauben, wenn sie sich eine gewisse Kontrolle darüber erhoffen können. Zum anderen steht bei Spotify, Netflix und Co. ein knallhartes Kalkül dahinter. Je mehr Menschen in der Familie einen Account haben, desto attraktiver sind etwa die teureren Netflix-Abos. Auch bei Spotify braucht man das teurere Familien-Abo, statt einfach auf allen Geräten den gleichen – günstigeren - Account nutzen zu können. Das beliebte Teilen unter Freunden wird dadurch ebenfalls schwerer: Schließlich nimmt jedes Kind einen der fünf möglichen Plätze in Spotify-Familienabo weg.
Das Kalkül dürfte aufgehen. Vielen Eltern dürfte das Mehr an Kontrolle und das sichere Gefühl den meist ja nur etwas höheren Preis wert sein. Ob die Kinder sich immer darüber freuen, steht dann auf einem anderen Blatt.