Es ist eine harte Zeit für Whatsapp. Mit der verpatzten und mehrfach verschobenen Einführung seiner neuen Benutzungsbedingungen hat der Messenger viel Vertrauen verloren, die Konkurrenten wie Signal freuen sich über einen regen Zulauf wechselwilliger Nutzer. Jetzt kommt der nächste Hammer: Indien will den Konzern zwingen, seine Verschlüsselung massiv zu untergraben. Die Folgen sind bisher kaum abzusehen.
Das entsprechende Gesetz wurde schon im Februar verabschiedet, jetzt ist die dreimonatige Frist zur Umsetzung abgelaufen. Es bezieht sich nicht nur auf Whatsapp, sondern soll sämtliche sozialen Netzwerke zu einer engeren Zusammenarbeit mit der Regierung zwingen. Für Messenger wie Whatsapp sieht es eine besonders aufwendige Maßnahme vor: Sie sollen bei jeder Nachricht den ursprünglichen Versender und den Empfänger speichern, selbst, wenn sie weitergeleitet wurde. Doch das ist mit der bisherigen Funktionsweise des Messengers schlicht unvereinbar.
Nur ohne Verschlüsselung umsetzbar
Wegen der Verschlüsselung kann Whatsapp nur verfolgen, wann die Nutzer miteinander in Kontakt sind. Der Inhalt der Nachrichten bleibt für sie unsichtbar. Selbst daraus kann der Messenger schon viel über seine Nutzer erfahren. "Von Messengern zu verlangen, die Nachrichten verfolgen zu können, ist als ob wir gefragt würden, einen Fingerabdruck für jede einzelne Nachricht behalten zu müssen", erklärte ein Whatsapp-Sprecher gegenüber "Wired". "Das würde Ende-zu-Ende-Verschlüsselung aufheben und fundamental das Recht der Nutzer auf Privatsphäre untergraben." Whatsapps Konzern-Mutter Facebook versucht daher, gegen die Regelung gerichtlich vorzugehen und reichte am Dienstag Klage ein.
Sollte der Messenger der Forderung nachkommen müssen, stünde er vor einer schweren Entscheidung. Indien ist für Whatsapp nicht ein Land unter vielen: Mit knapp 400 Millionen Nutzern ist es der größte Markt für Whatsapp weltweit, knapp ein Fünftel der 2,5 Milliarden Nutzer wären betroffen. Gleichzeitig befindet sich Facebook in einem engen Kampf um Marktanteile: Konkurrent Telegram wuchs in Indien in den letzten Monaten immer weiter, ist mittlerweile auf 500 Millionen indischen Smartphones installiert. Für Whatsapp geht es also um viel.
Sollte der Konzern einknicken, dürfte das aber auch für die Whatsapp-Nutzer in der übrigen Welt Folgen haben. Schließlich könnten dann auch andere Regierungen sich ermutigt fühlen, Zugang zu den Chats zu verlangen. Auch die Bundesregierung hatte etwa im letzten Herbst beschlossen, Geheimdiensten den Zugang zu Whatsapp zu erlauben.
Die Überwachung dürfte aber kaum bei möglichen Kriminellen enden, fürchten Kritiker. "Sobald man ein System baut, das Nachrichten verfolgen und einige Nutzer enttarnen kann, die bestimmten Content geteilt haben, hat man ein System gebaut, das alle Nutzer enttarnen kann", erklärte der Verschlüsselungs-Experte Matthew Green gegenüber "Wired". Die indische Nutzerschaft aus Whatsapp herauszutrennen, dürfte technisch kaum möglich sein. Um dort Nachrichten mitverfolgen zu können, müsste es vermutlich überall möglich werden.

Kampf um Glaubwürdigkeit
Die Entscheidung kommt für Facebook in einer schweren Zeit. Nachdem zuerst im Februar und dann noch einmal Mitte Mai die neuen Benutzungsrichtlinien eingeführt werden sollte, musste der Konzern wegen Nutzerprotesten die eigentlich als harten Schnitt geplante Einführung als langsamen Übergang umsetzen. Vor allem die angekündigte Zusammenführung der Daten mit dem Mutterkonzern Facebook stieß vielen Menschen sauer auf, die Konkurrenten Signal und Telegram verzeichneten entsprechend einen starken Anstieg der Downloads.
Sollte Facebook tatsächlich die Verschlüsselung bei Whatsapp aufgeben müssen, dürfte das vor allem Signal in die Hände spielen. Zwar ist auch dieser Messenger von dem indischen Gesetz betroffen, mit nur fünf Millionen Installationen ist seine Nutzerschaft dort aber deutlich kleiner. Zudem könnte man mit einem Ausstieg aus dem indischen Markt Glaubwürdigkeit im Kampf für die Privatsphäre gewinnen. Anders als Whatsapp wird Signal nicht von einer Firma, sondern von einer Stiftung betrieben, deren Leitung für seinen Idealismus in Bezug auf Privatsphäre bekannt ist. Auch der ehemalige Whatsapp-Gründer Brian Acton finanziert die Stiftung und arbeitet selbst an der Entwicklung Signals mit.
Geht es um Kontrolle?
Das Social-Media-Gesetz ist allerdings auch ohne die Messenger-Klausel umstritten. Kritiker glauben, dass es sich bei dem Vorgehen gegen Fake News nur um einen Vorwand der zunehmend autoritären Regierung handelt, die Kontrolle über die Narrative in den sozialen Medien übernehmen zu können. So versuchte die Regierung im Frühjahr, die zunehmende Kritik der Bevölkerung am staatlichen Umgang mit der eskalierenden Corona-Pandemie aus den sozialen Medien entfernen zu lassen. "Diese Regeln zeigen das tiefe Bedürfnis der Regierung, den Online-Diskurs zu kontrollieren", sagte der indische Bürgerrechtler Apar Gupta gegenüber "Time".
In der Vergangenheit hatte Whatsapp Sondermaßnahmen eingebaut, um auf Probleme in der indischen Nutzerbasis einzugehen. So waren die auch weltweit grassierenden Kettenbriefe dort in besonderem Maße eskaliert, gleich mehrfach hatten sich über weiterverbreitete Nachrichten in dem Messenger Lynchmobs gebildet, es gab Tote. Schon 2018 führte Whatsapp deshalb eine Begrenzung ein, die das zu häufige Weiterleiten von Nachrichten unterbindet. Dabei bediente man sich eines cleveren Tricks: Statt die Nachrichten zu verfolgen, machte man die Markierung der Weiterleitung zum Teil der Nachricht selbst. So konnte man die Verbreitung einschränken, ohne den Inhalt sehen zu müssen. Doch das reichte der indischen Regierung offenbar nicht aus.