Krieg in der Ukraine Kiew setzt über den Dnjepr und Moskau schnürt Awdijiwka ab – ein Wettlauf gegen die Zeit

Ein ukranischer Soldat in einem improvisierten Graben.
Ein ukranischer Soldat in einem improvisierten Graben.
© Kostya Liberov/ Libkos / Getty Images
Die Sommeroffensive ist zu Ende, die Kämpfe gehen weiter. Beide Seiten suchen in diesem Jahr einen Erfolg. Die Russen versuchen die Festungsstadt Awdijiwka zu erobern und Kiew will das östliche Ufer des Dnjepr befreien.

Die Welt blickt auf den Gazastreifen, doch auch in der Ukraine dauern die Kämpfe an. Moskau und Kiew suchen beide eine Entscheidung noch vor dem Winter, selbst der Beginn der Schlammperiode hält sie nicht auf. Russland versucht die Stadt Awdijiwka einzunehmen und die Ukrainer wollen in breiter Front den Dnjepr überqueren.

Die ukrainische Sommeroffensive ist zu Ende, bei bescheidenen Erfolgen. Das war überall zu hören, aber stimmt nicht ganz. Südlich von Bachmut und vor allem im Raum von Robotyne, also den Orten ihrer tiefsten Einbrüche, versuchen die ukrainischen Streitkräfte weiterhin ihre Position zu verbessern. Zusätzlich haben sie eine weitere Front eröffnet, in Cherson entlang des Dnjepr. Schon im Sommer sind einzelne Kommandos über den Fluss gesetzt, dann wurde ein Brückenkopf an der Antoniwkabrücke errichtet und nun gibt es insgesamt vier. Sie verteilen sich auf etwa 30 Kilometer Flussufer. 

Bislang konnten die Russen die Ukrainer nicht vom östlichen Ufer vertreiben. Das liegt auch an der Geografie. Am östlichen Ufer befindet sich in diesem Gebiet ein schmaler Streifen mit Siedlungen, an ihm schließt sich zumindest teilweise ein Marschland an. Feucht, bewaldet und ohne Bebauung. Dieser Streifen endet im Norden bei der von den Russen besetzten Stadt Nowa Kachowka. Haben die Ukrainer erstmal in dem "festen" bebauten Streifen Fuß gefasst, können die Russen sie kaum angreifen, außer in kleinen Gruppen. Außerdem sind sie nicht in der Lage, den Bootsverkehr über den Fluss wirksam zu sperren.

Basis für die nächste Offensive 

Das ist ein deutliches Zeichen, dass die russischen Drohnen von den Ukrainern gestört werden. Die Ziele Kiews sind nicht so leicht zu identifizieren. Nach dem Misserfolg der meisten Operationen im Sommer kann Kiew einen Erfolg auch für die PR gut gebrauchen. Die Cherson-Front zwingt die Russen, Einheiten zu verlegen, die ihnen dann an anderer Stelle fehlen. Einen strategischen Erfolg kann es in der Zukunft geben. Dafür müsste die Brückenköpfe verbreitert werden und mehr Tiefe in östlicher Richtung gewinnen. So dass sie als Sprungschanze für eine Offensive dienen können. 

Davon sind die Ukrainer noch weit entfernt. Schon allein, weil dann der Transport über den Fluss mit Brücken und nicht mit Booten geschehen muss. Trotz des operativen Erfolges befinden sich die ukrainischen Truppen am Ostufer in einer prekären Situation. Die Russen vernichten die Bebauung systematisch mit Gleitbomben und mit Artillerie. Bedingt durch den Fluss entfernen sich die ukrainischen Truppen von den Feuerstellungen der eigenen Artillerie, rücken dafür aber näher an die der russischen Invasoren heran. Ein tödliches Ungleichgewicht.

Druck auf der ganzen Front

Während die Ukrainer am Flussufer offensiv vorgehen, haben die Russen an vielen Stellen der Front ebenfalls Angriffe gestartet. Ihr Ziel ist es, Positionen zurückzugewinnen, die sie im Laufe des Sommers verloren haben. Die Vielzahl an Angriffspunkten soll die ukrainische Front sättigen, die Ukrainer so in Atem halten, dass sie keine Truppen an der Front verlegen können und ihre Reserven binden. Schwerpunkt der russischen Angriffe ist die Stadt Awdijiwka

Seit dem Beginn des Oktobers versuchen die Russen, die Stadt abzuschnüren. Teils haben sie dabei gewaltige Verluste erlitten. Doch das bereinigt die Lage für die Verteidiger nicht, die Russen rücken weiter vor, wenn auch im Zeitlupentempo. Auch nach Wochen ist es ihnen nicht gelungen, die für eine Umfassung wichtigen Orte Stepove im Norden und Sjeverne im Süden zu nehmen. In beiden Orten wurde bereits gekämpft, doch die Russen mussten sich zurückziehen. 

Das ist aber kein Grund zur Beruhigung, alle Versuche der Ukrainer die Russen zurückzudrängen, blieben ebenfalls erfolglos. Tatsächlich konnten sie ihre Positionen verbessern. Insbesondere bei Stepove kann man erwarten, dass die Russen zunächst versuchen werden, die Höhe nördlich der Siedlung einzunehmen.

Trotz des mühsamen und verlustreichen Vorgehens sind die Russen grundsätzlich im Vorteil. Selbst wenn es Kiew gelingt, die Höhen westlich von Robotyne zu erobern oder die Brückenköpfe auf dem Dnjepr zu verbreitern, folgt daraus erstmal nichts weiter. Russland hingegen hat die Stadt Awdijiwka ohnehin von drei Seiten eingeschlossen. Wenn hier die russischen Vorstöße im Norden und Süden nur einige Kilometer weiter voranschreiten, ist die Stadt mitsamt ihren Verteidigern verloren.

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