Julian Melchiorri arbeitet mit den kleinsten Organismen, um Großes zu retten. Sein Spezialgebiet sind Mikroalgen. Sie sind die am schnellsten wachsenden Organismen des Planeten. Mit ihrer Hilfe will Melchiorri Treibhausgase und globale Erwärmung bekämpfen und zudem noch einen Betrag zur Welternährung leisten.
Um dem Klimawandel begegnen zu können, sollte man auf den Rat der Natur hören, sagt Julian Melchiorri. "Alle denkbaren Technologien existieren in der Natur. Die Fotosynthese ist nur eine davon, und sie wurde über Milliarden von Jahren entwickelt. Ich denke, es ist logisch, dass der Mensch die Natur betrachtet, sich von ihren Innovationen inspirieren lässt und dann etwas schafft, das sie nachahmt."
Grundmodul ist ein Blatt
Bekannt wurde Melchiorri mit dem Biosolar Blatt. Es wird künstlich geschaffen und imitiert die Arbeit eines echten Blattes. Es absorbiert Kohlendioxid aus der Luft und setzt Sauerstoff frei. Dazu benötigt das Biosolar Blatt nur noch Sonnenlicht. Dabei handelte es sich zunächst nicht einfach um ein Glas, das mit Algenwasser gefüllt wurde.
Um die ersten Typen herzustellen, extrahierte Melchiorri Chloroplaste aus den Algen und löste sie in einem Seidenprotein. Über komplexe Kanäle wurde die Substanz in den Blättern bewässert. "Ein Blatt hat eine Reihe von winzigen Kanälen oder Adern, die Wasser liefern", sagte Melchiorri. "Ich war inspiriert von der Art und Weise, wie ein Blatt funktioniert."
Inzwischen wurde die Technik weiterentwickelt, sodass auch natürliche Algen als Sauerstofflieferanten dienen können. Die Algen enthalten doppelt so viel Eiweiß wie Fleisch, sie besitzen Vitamine, Mineralien, essenzielle Fettsäuren und Nährstoffe und vertilgen vor allem Kohlendioxid. Algen könnten daher das Lebensmittel der Zukunft sein.
Der Wald der Städte
Die Fotosynthese geschieht auch in allen anderen Pflanzen – was ist das Besondere an den Mikroalgen? Sie sind ein besonders einfacher Organismus, anspruchslos und leicht zu vermehren. Gleichzeitig kann ihr Ertrag in Gänze zu Lebensmitteln verarbeitet werden.
Das künstliche Ambiente bietet weitere Vorzüge. Durch das umhüllende künstliche Blatt gedeihen die Algen immer im kleinen geschützten "Gewächshaus" - so benötigen sie weit weniger Wasser, als unter natürlichen Bedingungen, weil keine Feuchtigkeit verdunstet.
Außerdem ist es leicht möglich, künstliche Bauten innen und außen mit den Blättern zu bedecken. Die winzigen Pflanzen könnten wie Solarmodule auf Gebäuden und Landschaften installiert werden. Innerhalb weniger Tage könnten auch gigantische Kunstbäume mit großer Höhe installiert werden. Melchiorris Firma Arborea arbeitet derzeit mit dem Imperial College London zusammen, um einige Dächer des Colleges mit den Modulen zu bedecken.
Kunst und Technik in einem Objekt
Das einzelne Blatt ist nur ein Modul, aus denen sich leicht größere Strukturen wie ein Biotree formen lassen. Arborea behauptet, ein Biotree könnte "die Luft mit der gleichen Geschwindigkeit wie 100 Bäume reinigen". Das mag theoretisch richtig sein, allerdings dürfte der Lichteinfall die tatsächliche Leistung limitieren.
Melchiorris "Exhale Bionic Chandelier" ist sein optisches Meisterstück. Es ist eine lebendige und atmende Struktur, die die Luft in Innenräumen reinigen soll. Eigentlich ist Melchiorri Ingenieur – ausgebildet, um Probleme zu lösen. Der gebürtige Italiener sieht sich selbst in der Tradition der italienischen Renaissance. Eine Zeit, in der Technik, Wissenschaft und Kunst noch in einer Person zusammenkamen. Der Algenleuchter ist Teil der ständigen Sammlung des Victoria and Albert Museum in London.
Quelle: Julian Melchiorri
Dieser Artikel erschiene erstmals am 21. Januar 2020
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