Krieg in der Ukraine Putins Luftwaffe ist wieder da – so tödlich sind die neuen, improvisierten Gleitbomben

Der Bausatz ist roh zusammengeschweißt, funktioniert aber.
Der Bausatz ist roh zusammengeschweißt, funktioniert aber.
© Social Media
Einsätze über der Ukraine sind gefährlich für Russlands Piloten. Nun setzen sie Gleitbomben ein, die allein ins Ziel finden. Mit einem billigen Bausatz können alte Bomben so zu tödlichen Präzisionswaffen umgerüstet werden.

Zu Beginn des Überfalls auf die Ukraine dominierte die russische Luftwaffe den Himmel. Doch die Herrschaft währte nicht lang, denn es gelang den Russen nie, die Luftverteidigung der Ukrainer wirklich niederzukämpfen. In der Höhe wurden Putins Flieger von den S300-Batterien bedroht, wollten sie sich in Bodennähe vor den weitreichenden Systemen verstecken, kamen sie in den Wirkungsbereich der Manpads, tragbare Mini-Raketen. Die Folge waren starke Verluste von Jets und Kampfhubschraubern. Die Russen setzten weiterhin ihre Luftwaffe ein, doch erreichten sie nie eine uneingeschränkte Luftherrschaft. Die Einsätze mussten sorgsam geplant werden und blieben doch riskant.

Schlag aus der Ferne 

Seit einigen Wochen hat sich das geändert. Seit etwa Mitte März setzt Putins Luftwaffe entlang der Front Gleitbomben ein. Gleitbomben werden in großer Höhe weit entfernt vom Ziel und außerhalb der Reichweite der ukrainischen Luftverteidigung ausgeklinkt und gleiten dann ihrem Ziel entgegen. Dank der Steuerung sind so präzise Treffer möglich. Vor dem Krieg hat Russland das Thema vernachlässigt. Man wollte die aufwändige Steuerung in den Bomben einsparen und entwickelte ein Abwurfsystem, das präzise Treffer auch mit dummen Bomben möglich machen sollte. Das funktionierte schon in Syrien nicht so exakt wie gedacht. Doch vor allem mussten die Bomben nahe am Ziel und damit nahe der Luftverteidigung des Gegners abgeworfen werden.

Russland besaß dennoch einige Gleitbomben mit Präzisionssteuerung und entwickelte in den letzten Jahren besonders schwere Varianten. Zusätzlich rüsten die Russen alte Freifallbomben mit Stummelflügeln und einer Steuerung auf. Diese Umrüstung ist technisch einfach möglich, auch im Westen wurden ähnliche Systeme entwickelt, die kostengünstig "dumme" Bomben in Präzisionswaffen verwandeln. Offenbar gelingt es dem Putin-Regime trotz der Sanktionen genügend Halbleiter für die Steuerung zu beschaffen. In von der Ukraine erbeuteten Kamikaze-Drohnen vom Typ Lancet wurden zum Beispiel Ein-Platinen-Computer der US-Firma Nvidia gefunden. Vereinfacht kann man sagen, dass die Steuerung einer Bombe nicht aufwändiger ist, als die einer kleiner Drohne. Die Bombe bringt 1000 Kilogramm Sprengstoff ins Ziel, die kleine Drohne nur zehn. Der Gleitbausatz soll nur umgerechnet etwa 24.000 Euro kosten, das ist ein Bruchteil dessen, was für einen Marschflugkörper ausgegeben wird. Neben den Größen von 500 and 1500 Kilogramm sollen sogar Bomben von 3000 und 5000 Kilogramm für das Programm bereit gemacht werden.

Einsatz entlang der Front 

Die Einsatzmöglichkeiten sind begrenzt, für die Ukraine aber dennoch bedrohlich. Damit die Bomber selbst gefahrlos operieren können, müssen sie sich von der Luftverteidigung Kiews fernhalten. Bedingt durch die Reichweite der Bomben können sie nur entlang der Frontlinie eingesetzt werden. Schläge tief im ukrainischen Hinterland wie die Angriffe gegen die Stromversorgung sind damit nicht möglich.

Doch in den umkämpften Städten ändert sich die Lage, weil die Russen schwere Bomben gegen die ukrainischen Verteidiger einsetzen können. Damit verlieren sie den Schutz ihrer Befestigungen. Armierte und tiefliegende Bunker können von einer Artilleriegranate nicht zerstört werden, eine Lektion, die man schon im Ersten Weltkrieg lernen konnte. In solchen befestigten Unterständen waren die ukrainischen Soldaten sicher – heute sind sie es nicht mehr, wenn ihr Standort einmal entdeckt wurde. Dazu kommt eine Besonderheit des Kampfes um die Städte. Hier versuchen die Verteidiger, große Hochhäuser zu befestigen. Beobachtungsposten und Schützen in den oberen Etagen beherrschen mit ihrem Schussfeld die Umgebung. Eine Strategie wie in "Pawlows Haus" aus der Rattenkampf-Phase in Stalingrad.

Der Rest der Truppe, Vorräte und Verwundete werden im Erdgeschoss und im Keller untergebracht. Beschuss mit Artillerie und Kanonen kann die Soldaten im oberen Bereich zeitweise vertreiben, die Festung aber nicht zerstören. So etwas ist mit den TOS-1A-Werfen der Russen möglich, deren Reichweite ist aber so gering, dass sie von den Ukrainern bekämpft werden können. Ein schwerer und präziser Bombentreffer führt zur vollständigen Zerstörung der getroffenen Stockwerke und dem Tode alles Soldaten darin. Die Vernichtungswirkung ist so groß, dass das restliche Gebäude unter seinen eigenen Trümmern zusammenbricht. Die Truppen in den unteren Etagen werden in einem gewaltigen Schuttkegel verschüttet. So wollen die Russen die Eckpfeiler der ukrainischen Verteidigung zum Einsturz bringen.

Ende der uneinnehmbaren Festungen 

Abhilfe könnte auf zwei Arten geschehen. Entweder gelingt es den Ukrainern, die anfliegenden Bomben anzumessen und abzuschießen, oder sie bräuchten Luftverteidigungssysteme sehr großer Reichweite, die die Bomber angreifen können. Gelingt das nicht, wird sich das Bild der Kämpfe um die Städte ändern. Die Russen hätten dann einen Weg gefunden, ohne großes Risiko die Festungsstädte der ukrainischen Verteidigungslinien zu schwächen. Die USA fürchten, dass Kiew die Abfangraketen für ihre Systeme aus der Sowjetzeit im Mai ausgehen könnten, dann hätte die Luftverteidigung große Lücken. Die wenigen West-Systeme könnten das Land nicht schützen, entsprechend würde sich das Einsatzgebiet der Gleitbomben vergrößern.

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