Soziales Mehr Kinderarmut durch Hartz IV

Ende 2002 war über eine Million Kinder von Sozialhilfe betroffen. Durch die Umsetzung von Hartz IV könnten es deutlich mehr werden - die Politiker reagierten auf diese Annahme heftig.

Besonders Leid tragende seien Kleinkinder und Kinder von allein Erziehenden, heißt es in dem am Montag in Berlin vorgestellten "Kinderreport 2004" des Deutschen Kinderhilfswerks. Die Eltern jedes zehnten Kleinkindes unter drei Jahren müssten von Sozialhilfe leben. Bundesfamilienministerin Renate Schmidt (SPD) wies die Zahlen des Reports zurück. Zum Jahresende 2002 sind laut Report gut eine Million Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren von Sozialhilfe betroffen gewesen. Eine weitere Verschärfung durch die Arbeitsmarktreform Hartz IV könne nur abgefangen werden, wenn die darin enthaltenen Erleichterungen für Sozialhilfeempfänger mit Kindern tatsächlich umgesetzt und zugleich die Betreuungsangebote ausgebaut würden, mahnte der Präsident des Kinderhilfswerks, Thomas Krüger.

Thierse: "Hysterische Kommunikation"

Der Schirmherr, Bundestagspräsident Wolfgang Thierse, griff den Autor des Reports, den Armutsforscher Thomas Olk (Halle-Wittenberg), heftig an. Olk hatte am Wochenende vorausgesagt, dass mit der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe vom 1. Januar an weitere 1,5 Millionen Kinder mit der Sozialhilfe ihrer Eltern zurecht kommen müssten. Thierse nannte dies eine "hysterische Kommunikation". Nach seinen Berechnungen werde es Sozialhilfeempfängern mit Kindern zum Großteil besser gehen. Ab Januar erhielten entsprechend bedürftige Eltern zusätzlich 140 Euro.

Thierse kritisierte bei der Vorstellung des zweiten Reports dieser Art eine "strukturelle Rücksichtslosigkeit und Gleichgültigkeit" in Deutschland gegenüber Kindern. Laut Umfragen entschieden sich 83 Prozent vor allem aus finanzieller Sorge gegen Kinder. "In keinem Land der Welt ist die Zahl der Kinderlosen so hoch wie in Deutschland", sagte Thierse. Ein Kinder freundliches Land müsse aber auch ein Eltern freundliches Land sein und dies hänge wiederum eng mit dem Angebot auf dem Arbeitsmarkt vor allem für Frauen zusammen.

Weniger als 50 Prozent des Durschnittseinkommens

Armut bedeutet nach Angaben des Kinderhilfswerks, in einem Haushalt mit weniger als 50 Prozent des durchschnittlichen deutschen Haushaltseinkommens zu leben. Dies meine keine Armut unter Brücken, sagte Autor Olk. Sie sei vielmehr immer im Verhältnis zur Gesellschaftsstruktur zu sehen. Armut sei folglich nicht nur eine Geldfrage, sondern ebenso eine Frage des sozialen Umfeldes und der damit verbundenen Chancen. Beeinträchtigt würden diese bereits vor der Geburt etwa durch das Risikoverhalten der Mütter bei Alkohol- oder Zigarettenkonsum. Wenn den Eltern die Situation später entgleite, könne dies entweder zu Gewalttätigkeit gegen die Kinder oder zu Vernachlässigung führen: kein morgendliches Wecken, kein Pausenbrot, keine Schulreisen. So oder so leide das Kind und ziehe sich mehr und mehr zurück. Zusätzlich schlechte Wohnverhältnisse führten zu einer Form von "Straßenkindheit".

Auf der anderen Seite sei die Kaufkraft von Kindern gestiegen. Shopping werde als Freizeitbeschäftigung gesehen. Thierse wies hier auch der Wirtschaft eine Mitverantwortung zu, die durch ihre auf die jeweilige Alterszielgruppe ausgerichtete Werbung Kinder zum Konsum verführten. Nach den Worten Thierses bestünden 15 Jahre nach dem Mauerfall im Osten immer noch "deutlich bessere Strukturen für die Kinderbetreuung" als im Westen. Olk sprach bei der Zahl der Sozialhilfeempfänger von einem Süd-Nord- und einem West-Ost-Gefälle.

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