Die Milchviehwirte haben es nicht leicht. Der Milchpreis ist niedrig und obendrein macht sich die Konkurrenz mit den pflanzlichen Ersatzprodukten im Kühlregal breit. Unternehmen wie der Hafermilch-Hersteller Oatly orchestrieren schon länger den vermeintlichen Abgesang der Kuhmilch. Die Kuh wird zum Buhmann von der Weide gemacht, zur furzenden und rülpsenden Methanschleuder, zum Klimafeind Nummer eins.
Ganz falsch ist das nicht. Eine Kuh stößt mehr als 300 Liter Methan aus - am Tag. Methan macht einen substanziellen Teil des Treibhauseffektes aus. In einer Zeit, in welcher der Kampf gegen den Klimawandel in der Prioritätenliste immer weiter nach oben rückt und nachhaltiger Lifestyle in den Mainstream vordringt, müssen sich die Landwirte bewegen, um nicht abgehängt zu werden. Zwei junge Milchbäuerinnen gehen voran und arbeiten daran, ihre Höfe klimaneutral zu machen - 2050 soll die Netto-Null stehen.
Der CO2-Fußabdruck
Die eine ist Marlen Biß, die andere Birka Thöming. Beide Ende Zwanzig, beide in die Milchviehwirtschaft hineingeboren. Sie gehören zur jungen Generation der Milchviehwirte und sie wollen nicht die letzte sein. Sie richten den Blick gen Zukunft, krempeln die Ärmel hoch und packen dort an, wo es weh tut - am CO2-Fußabdruck. Sie sind nicht allein. Die Höfe gehören zur Molkereigenossenschaft Arla Foods. Die hat sich die Reduzierung des CO2-Ausstoßes auf die Fahnen geschrieben. Bis 2030 sollen entlang der gesamten Wertschöpfungskette 30 Prozent Emissionen eingespart werden, in etwa 30 Jahren will man komplett klimaneutral sein.
Milchproduktion ohne Treibhausgase, ist das überhaupt möglich? Ob durchs Futter, den Einsatz von Geräten, Düngemittel oder schlicht die Kuh und ihre Verdauung - es entstehen Emissionen, namentlich Kohlendioxid, Methan, Lachgas. Die auf Null zu bekommen, klingt wie der Griff nach den Sternen. Doch Arla strebt genau das an und startete im vergangenen Jahr europaweit das Klimacheck-Programm, an dem auch Biß und Thöming teilnehmen.

Bücher wälzen fürs Klima
Dafür mussten die Landwirtinnen erst einmal die Bücher wälzen. Denn es geht um Zahlen, Zahlen und noch mehr Zahlen. Für den Fußabdruck müssen sie offen legen, wie viel Kraftstoff auf dem Hof verbraucht wird, welches Futter verwendet wird, wie es um das Güllemanagement steht. Geprüft werden diese und mehr Daten von einem externen Berater, der dann mit den Landwirten analysiert, an welchen Stellschrauben gedreht werden kann. "Der erste Schritt der Datenerfassung ist vergleichsweise unspektakulär. Das muss man sich ein bisschen wie beim Steuerberater vorstellen", erklärt Markus Teubner, Arla-Pressesprecher.
"Im Vergleich mit anderen Bauern ist mein Betrieb im unteren Durchschnitt", sagt Marlen Biß. Der CO2-Fußabdruck liegt derzeit bei 1,17 Kilogramm pro Kilo produzierte Milch. Zu Arla gehören europaweit rund 9700 Landwirte. Jeder von ihnen produziert laut einer Ermittlung der Molkereigenossenschaft im Schnitt 1,15 Kilogramm CO2 pro Kilogramm Milch. Im Vergleich zum Weltmarkt ist das sehr wenig: Der globale Schnitt liegt bei 2,5 Kilogramm CO2, wie die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) ermittelte. Biß Hof ist also schon zum Start besser aufgestellt als viele andere.
Problemfelder erkennen
Zu dem Hof mitten in Schleswig-Holstein gehören 76 Milchkühe. Jede einzelne gibt im Schnitt 35 Liter am Tag. Gewirtschaftet wird konventionell. Ein Großteil des Futters kommt von den eigenen Feldern, der benötigte Strom wird fast komplett in der eigenen Photovoltaikanlage produziert. Dass sie beim Strom schon fast klimaneutral seien, sei eine positive Überraschung gewesen, sagt Biß. Doch der Check hat auch ein Problemfeld aufgedeckt. So wurde bei der Untersuchung festgestellt, dass der Eiweißgehalt im Futter unnötig hoch ist - ein Zeichen für zu viel Dünger. Viel Eiweiß im Futter, bedeutet auch viel Eiweiß in der Gülle. "Was die Kühe fressen, kommt hinten wieder raus. Das ist dann der Stickstoff, der die Umwelt belastet", erklärt sie. Stickstoffüberschüsse führen zu einer Freisetzung von Lachgas, diese Stickstoffverbindung schadet dem Klima. Indem Biß künftig weniger Dünger aufbringt, dreht sie gleich an zwei Stellschrauben: Sie spart Kosten und reduziert Emissionen.
Auf dem Hof von Birka Thöming wird bereits in sechster Generation gewirtschaftet. Die Milch kommt von 100 Kühen. "Mein Vater hat schon immer auf Nachhaltigkeit geachtet und entsprechend gewirtschaftet", sagt sie. Auch auf dem Weidebetrieb wird Strom aus einer Photovoltaikanlage gezogen. Die Melkanlage läuft über Frequenzsteuerung, ein Plattenkühler im Milchtank sorgt für die richtige Temperatur. Allein diese beiden Technologien sorgen dafür, dass der Hof jährlich etwa 6000 Kilowattstunden Strom einspart. Das entspricht dem Jahresverbrauch eines mindestens fünfköpfigen Haushalts. Der CO2-Fußabdruck aktuell: 1,03 Kilogramm pro Kilo Milch - und damit weit besser als der Schnitt.

"Wir stehen schon gut da. Es geht eher um kleine Stellschrauben, Details", sagt sie. Auch bei Thömings will man sich jetzt vermehrt um das kümmern, was aus der Kuh wieder rauskommt, indem man an dem dreht, was reinkommt. Die Fütterung soll weiterhin angepasst werden, die Eiweißzufuhr reduziert werden. "Die Anforderungen werden größer, die Gesetze ändern sich. Man muss mit der Zeit gehen, sonst hat man in ein paar Jahren keine Landwirtschaft mehr", sagt Birka Thöming.
Die Wissenschaft muss weiterkommen
Aber reicht das? Um das ausgegebene Ziel bis 2030 zu erreichen, müssen die Arla-Landwirte in Summe im Schnitt drei Prozent ihrer Emissionen jährlich einsparen. Am Anfang, meint Marlen Biß, wird das kein Problem sein, auf die Strecke wird es spannend. Sie hofft daher, dass in Zukunft auch sogenannte Knicks, also bepflanzte Wallherde, welche die Felder voneinander trennen, in der CO2-Bilanz berücksichtigt werden. "Da schlummert noch gebundenes CO2, wenn das angerechnet wird, geht es schnell voran", sagt sie. Derzeit gebe es noch kein wissenschaftlich und global anerkanntes Verfahren, das es ermögliche, Biomasse, die Kohlenstoff binde, beim CO2-Fußabdruck gutzuschreiben, erklärt Arla-Sprecher Teubner. "Aber es gibt bereits ein Projekt, indem wir das erforschen. Im Sommer soll es dazu Piloten geben."
Aber selbst mit den Knicks wird es schwer. Zumindest Stand jetzt. Die Landwirte hoffen darauf, dass auch die Wissenschaft vorankommt und sich in der Zukunft neue Möglichkeiten für Einsparungen eröffnen. So gibt es bereits Vorstöße, mit Futterzusätzen den Methanausstoß der Kühe zu reduzieren, marktreif ist das aber noch nicht. Und einfach nur abwarten, das können die Landwirte sowieso nicht. Denn den Klimawandel spüren sie schon jetzt. Dürrejahre können die CO2-Bilanz schnell zunichte machen. Kann beispielsweise nicht genügend eigenes Futter geerntet werden, muss zugekauft werden. Allein das ist ein Schlag ins Kontor - nicht nur finanziell, auch für die Umwelt.
"Betriebe werden sich verändern müssen"
Und auch die Verbraucher achten mehr und mehr auf nachhaltige Produktion, die Politik zieht schrittweise nach. "Wir können nicht warten, bis alles reguliert ist, wir müssen vorher etwas tun", sagt Teubner. Es gehe auch darum, ein Zeichen zu setzen, Handel und Verbrauchern zu zeigen, dass strukturiert und wissenschaftlich an dem Thema gearbeitet werde, erläutert er. Und darum, sich von der Konkurrenz abzuheben, einen Marktvorteil zu etablieren. "Über kurz oder lang werden sich alle Betriebe verändern müssen, denke ich. Ich finde es aber besser, vorweg- als hinterherzulaufen", sagt Biß. Sie setzt darauf, dass die Verbraucher das Engagement registrieren und "unsere Milch irgendwann als erste aus dem Kühlregal gegriffen wird, weil alle wissen, dass wir ein Auge auf unsere Natur und Umwelt haben."
Gut 90 Prozent der Arla-Höfe machen beim jährlichen Klimacheck mit. Das Engagement wird gefördert. Alle die teilnehmen, bekommen einen Cent pro Kilo Milch mehr. Das rechnet sich für die Landwirte in jedem Fall. Sanktionen, wenn das Jahresziel nicht erreicht wird, gibt es nicht. In Schweden und Dänemark hat Arla bereits eine klimaneutrale Milch auf dem Markt. "Das läuft momentan über Kompensation, also Aufforstungsprojekte", so Teubner. Wie groß die Bereitschaft der Menschen ist, für ein nachhaltigeres Produkt mehr zu zahlen, sei aber sehr länderspezifisch. "In Deutschland entscheidet sich das Gros am Kühlregal dann häufig doch für die normale Durchschnittsmilch fürs kleine Geld."
Der Weg zur klimaneutralen Milch ist weit und wird wohl Jahrzehnte dauern. Einige Hebel zur Reduzierung des CO2-Ausstoßes können die Landwirte schon jetzt bedienen, andere müssen erst noch erfunden werden. Denn Kuh bleibt Kuh, ihr Methanausstoß bleibt auf den Höfen der Posten, der sich am meisten auf das Klima auswirkt. Kein Knicks, kein E-Traktor kann das bislang ausgleichen. Das schafft derzeit nur Kompensation, aber die ist teuer und lohnt sich nur, wenn die Verbraucher die Kosten mittragen. Bis die Netto-Null steht, muss noch viel passieren - auf den Höfen, in den Laboren und in den Köpfen der Menschen. Marlen Biß und Birka Thöming lassen sich davon nicht entmutigen. Sie sind die Generation Landwirte, für die nachhaltige Landwirtschaft keine Option, sondern die Zukunft ist.