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Nachhaltige Gastronomie Fine Dining mit CO2-Menü: "Wir wollen den nachhaltigsten Teller Deutschlands servieren"

Simon Tress
In seinem Restaurant "1950" serviert Simon Tress ein CO2-Menü, das ausschließlich aus regionalen Zutaten gekocht wird.
© Simon Tress
Simon Tress kombiniert Fine Dining mit Nachhaltigkeit. Dafür wurde er mit einem grünen Stern vom Guide Michelin ausgezeichnet. Jetzt bietet der Bio-Koch auch ein CO2-Menü an. Es soll die Welt ein bisschen klimafreundlicher machen.

Herr Tress, in diesem Jahr wurden Sie vom Guide Michelin mit einem grünen Stern für besonders nachhaltige Küche ausgezeichnet. Insgesamt betreiben Sie vier Bio-Restaurants, das neueste darunter ist das "1950" mit gehobener Küche. Fine Dining und Nachhaltigkeit, wie geht das zusammen?

Zunächst einmal: Wir sind keine Hipster, die sich jetzt plötzlich die Nachhaltigkeit auf die Fahnen schreiben. Wir haben schon immer so gearbeitet. Meine Familie wirtschaftet seit 70 Jahren nach Demeter-Richtlinien. Ich führe nur fort, was mein Großvater und mein Vater gesät haben. Dass nun auch der Gastro-Führer Michelin das Thema aufgreift und sich an den Zeitgeist anpasst, zeigt, dass sich wirklich etwas ändern muss.

Fine Dining war aber bislang eher nicht Ihr Steckenpferd.

Stimmt. Hätte mich vor vier Jahren jemand gefragt, ob ich das mal mache, hätte ich gesagt: Wer braucht das? Fine Dining braucht kein Mensch. Ich habe mich geirrt. Denn es hat sich herausgestellt, dass wir es eben doch brauchen. 

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Wie kam es zu der Kehrtwende?

Wir betreiben mehrere Restaurants und beliefern Supermärkte mit frischen Bio-Suppen fürs Kühlregal. Jeder einzelne dieser Kanäle muss anders bespielt werden. In jedem Bereich müssen wir überlegen, wie wir unsere Gerichte rentabel auf die Straße bekommen. Für uns ist die Ganztierverwertung nach dem Nose-to-Tail-Prinzip ungemein wichtig und wir verwerten stets das ganze Tier und nicht nur die Edelstücke. Ein Edelstück wie Rinderfilet kann man darüberhinaus nicht überall anbieten. Da wir aber ganze Tiere kaufen und die auch komplett verwerten, hatten wir einen Überschuss an diesen Stücken, was natürlich ein Luxusproblem ist. Im "1950" können wir diese Teile jedoch sehr gut anbieten. Das Restaurant ist unsere Möglichkeit, den Edelteilen einen wertigen Platz zu geben. Mit dem "1950" möchten wir aufzeigen, dass Fine Dining auch nachhaltig sein kann. 

Seit August bieten Sie im "1950" ein CO2-Menü an, was ist das?

Die Idee ist für uns nicht neu. Schon 2010 haben wir uns die Wortmarke CO2-Menü schützen lassen. Entstanden ist es aus dem Bedürfnis, allen Produzenten, mit denen wir zusammenarbeiten, ein Gesicht zu geben und aufzuzeigen, dass es möglich ist, mit ausschließlich regionalen Zutaten ein Fine-Dining-Menü zu kochen. Dafür haben wir bei jedem Menü aufgelistet, woher die Zutaten stammen, wie der Bauer heißt und wie weit die Lebensmittel transportiert wurden. Alles so transparent wie möglich für die Gäste. Im neuen Restaurant haben wir dieses Konzept jetzt ausgeweitet. 

Erklären sie mal.

Jeder Gast bekommt eine kleine Box, die sich mit jedem Gericht um mehr und mehr Kärtchen füllt. Jede Zutat hat ein eigenes Kärtchen. Auf der Vorderseite ist der zugehörige Landwirt abgebildet, auf der Rückseite finden sich alle wesentliche Informationen zum Produkt bis hin zur CO2-Emission. Indem wir den Gästen die Menschen hinter den Produkten zeigen, geben wir den Landwirten eine Plattform. Und auch jedes einzelne Produkt erfährt so seine Wertschätzung.

Was bringt das dem Gast?

Wir wollen niemanden mit dem erhobenen Zeigefinger von irgendetwas überzeugen, das wäre arrogant. Wir sind weder radikal noch dogmatisch, die Gäste sollen schon noch Spaß haben bei uns. Durch das CO2-Menü geben wir den Gästen die Möglichkeit, sich spielerisch mit Lebensmitteln und ihrer Herkunft auseinanderzusetzen. Und zeigen auf, welchen Beitrag jeder Einzelne leisten kann. Das ist unsere Mission für die Gesellschaft. 

Memorie
Zum CO2-Menü bekommen die Gäste Kärtchen mit Informationen zu den Produkten und den Landwirten.
© Simon Tress

Das Menü soll einen Beitrag zur klimafreundlicheren Welt leisten. Inwiefern nutzen die Gerichte dem Klima?

Wir haben das Ziel, den nachhaltigsten Teller Deutschlands zu servieren. Alle unsere Lebensmittel stammen aus einem Umkreis von maximal 25 Kilometern und haben Demeter- oder Bioland-Qualität. Alle bis auf das Salz. Schokolade, Zitronen und sowas gibt's bei uns nicht. Außerdem steht bei uns der Fleischkonsum nicht im Vordergrund. Fleisch ist ein Luxusgut, das die Gäste bei Bedarf bei drei von fünf Gängen zubuchen können – als Beilage. Die Eindämmung des Fleischkonsums ist das größte Klimaplus.

25 Kilometer, das ist eng gesteckt.

Wir arbeiten mit der Vielfalt, die es im Lokalen gibt. Vieles bauen wir selbst an. Wir haben zum Beispiel einen riesigen Kräutergarten, in dem sogar Szechuan-Pfeffer wächst. Das Spannende bei uns ist ja, dass wir mit dem echten Geschmack arbeiten und bei der Zubereitung nicht überdrehen. Die Gerichte sollen natürlich schmecken, pur. Immer wieder kommen Gäste zu uns, die sagen, dass sie diesen Geschmack ganz vergessen hatten. Dafür gibt es bei uns kein Wagyu-Beef oder Jakobsmuscheln. Von diesem Vielfalt-Überfluss, dem Lebensmittel-Luxus, der anderswo geboten wird, haben wir uns losgemacht. 

Menü
Simon Tress arbeitet nach den Prinzipien "Nose-to-Tail" und "Leaf-to-Root" - alle Lebensmittel sollen möglichst komplett verwertet werden.
© Simon Tress

Ist Nachhaltigkeit ohne Regionalität überhaupt denkbar?

Nachhaltigkeit ist so ein Unwort geworden. Nachhaltigkeit würde ich nicht allein auf Regionalität beziehen. Zumal Regionalität kein geschützter Begriff ist. Bio-Produkte aus dem Ausland muss man nicht verteufeln. Eine Bio-Banane zu kaufen, ist auch nachhaltig. Genauso wichtig sind Fairtrade-Produkte, weil man durch sie die Menschen an den Produktionsorten unterstützen kann. Es geht darum, ein Bewusstsein für die Produkte zu entwickeln und das beim Kauf im Supermarkt einzubeziehen. Bei unseren Getränken beispielsweise sind wir auch nicht so rigoros. Klar, enthalten wir unseren Gästen den Kaffee nicht vor, und Wein gibt es auch. Der kommt aus Baden-Württemberg.

Fleisch hat nicht die beste Ökobilanz. Welche Rolle spielt das in Ihrem Konzept?

Wir haben qualitativ sehr hochwertiges Fleisch, haben die Prozesse im Griff und zahlen den Bauern einen fairen Preis.Wir achten genau darauf, woher unser Fleisch kommt. Wir arbeiten mit einem Rinderhof, drei Schweinehöfen und einem Schäfer zusammen. Diese Höfe beliefern nur uns. Dafür zahlen wir gern etwas mehr. Wenn ein konventionelles Schwein pro Kilo 1,60 Euro kostet, zahlen wir 4,80. Das ist es uns wert. Die Tiere, die wir verarbeiten, verwenden wir nahezu komplett. Viele Menschen haben vergessen, was vom Tier alles essbar ist und welche Vielfalt uns die Natur schenkt. 

Eine Frau wickelt belegte Brote in ein Bienenwachstuch

Sie haben sich auch den Kampf gegen Lebensmittelmüll auf die Fahnen geschrieben. Wie läuft das?

Da wir zum großen Teil vegetarisch kochen, produzieren wir kaum Müll. Vom Blatt bis zur Schale verwerten wir komplett alles. Was wir aus Kohlrabischale, Blatt und Stängel gemacht haben, erklären wir auf den Kärtchen. Da bei uns das Fleisch extra bestellt werden muss und auf einem Beilagenteller kommt, bleibt auch dort weniger übrig. Wird es zum Star auf dem Teller gemacht, ist meine Erfahrung, dass sich die meisten erst aufs Fleisch stürzen und eher mal was vom Gemüse übrig bleibt. Dadurch, dass es ein Extra ist, entscheiden sich viele Gäste dafür, das Fleisch miteinander zu teilen. Unsere Teller werden fast immer aufgegessen. Und wir sind Schwaben, die Teller sind groß.

Schauen Sie mal in die Glaskugel: Wie wird die Gastronomie der Zukunft aussehen?

Wir können nicht von jetzt auf gleich alles von rechts nach links drehen. Ich glaube aber, dass es mehr Differenzierung und Transparenz geben wird. Wir brauchen die Schnitzel-, Döner- und Burger-Buden, aber das Profil muss geschärft werden. Sozusagen die Schnitzelbude mit Charakter, in der genau aufgeführt wird, woher die Schweine stammen, die zum Schnitzel gemacht wurden. Das echte Storytelling wird immer wichtiger – aber wie gesagt: das echte, authentische. Die Welt braucht nicht noch mehr Menschen, die einfach nur Quatsch erzählen, um mehr zu verkaufen.

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