Frau Rützler, was haben Sie heute gefrühstückt?
Wie die letzten Monate: Porridge. Ausgekühlt mit Melone, ein paar Nüssen und Tee mit Milch.
Ist Porridge ein neues Trend-Frühstück?
Für mich nicht. Es ist ein Mitbringsel aus England – schon vor Jahrzehnten. In Kopenhagen gibt es aber seit einiger Zeit ein Porridge-Restaurant. Da habe ich gestaunt, wie viele verschiedene Varianten es gibt: süß bis pikant mit verschiedenen Getreidearten und -flocken und auch Korngrößen. Das hat viel Potenzial.
Im diesjährigen Food-Report, den Sie jährlich herausgeben, beschreiben Sie "New Breakfast" als Trend. Wieso gerade Frühstück?
Beim Frühstück zeigt es sich, dass sich unsere Mahlzeiten-Struktur verändert. Das Frühstück war jahrzehntelang die stabilste Mahlzeit. Entweder man frühstückte – oder aber nicht. Und wenn doch, dann immer das Gleiche. Der Wandel der Esskultur verändert aber das Frühstück, das locker bis in den Lunch hineingehen kann. Es ist eine neue Art des Zelebrierens, das weit über das klassische Repertoire mit Ei und Speck, Marmelade und Brötchen hinausgeht.
Was gibt es dann zum Beispiel?
Asiatische Suppen, Avocados, Hummus und arabisch-inspirierte Gerichte und jede Menge verschiedene Eiergerichte wie Eggs Benedict.
In letzter Zeit gibt es eine rege Diskussion ums Billigfleisch. Essen wir etwa bewusster als früher?

Essen ist der neue Pop. Wie wir uns ernähren, ist ein hoch moralisches, hoch ethisch aufgeladenes Thema. Ernährung wird genutzt, um Individualität auszudrücken und um zu hinterfragen, wie sich Lebensmittelqualität definiert. Der Begriff des Foodies ist ein stimmiger Begriff für ein verstärktes Engagement. Die jungen Menschen versuchen, sehr bewusst zu essen und echauffieren sich über Fleischpreise. Das war auch an der Zeit! Solche Debatten führen dazu, dass man überlegt, was es sonst noch für Qualitäten gibt - das sieht man jetzt beim Fleisch.
Woher kommt dieser Protest?
Trends sind nicht Mainstream, sondern die Ränder der Gesellschaft. Das sind die kreativen Early-Adapter, Menschen, die nach neuen Lösungen suchen. Trends sind Antworten auf Probleme und Herausforderungen. Der Flexitarier ist so eine Lösung. Ein Esstypus, der kein Vegetarier ist, trotzdem den Wert eines Lebensmittels hinterfragt. Dadurch lernen wir beispielsweise über Fleisch differenzierter zu reden. Das wirkt sich wiederum auf die Industrie aus.
Beobachtungen haben gezeigt: Seit einigen Jahren essen wir wieder mehr Gemüse. Warum?
Gemüse schmeckt wieder gut. Da geht es um Zubereitungsarten. Fleisch hat seine Pole Position verloren. Einen großen Anteil haben dabei Köche wie der israelisch-britische Kochbuchautor Yotam Ottolenghi, der fleischlos kocht und Gemüse als Star wieder hip gemacht hat.
Wieso verändert sich eigentlich unsere Ernährung?
Wir sind im Lebensmittelüberfluss und die jüngere Generation übt sich im Umgang damit, sie wählt bewusster und hinterfragt. Die eigentlichen Treiber sind die Megatrends, die schieben den Wandel an und wirken in allen Branchen weltweit. Dazu zählt unter anderem: Konnektivität, Individualität, Bildung, Gender-Shift, New Work ... Wohin es geht, wird kulturell, politisch-gesellschaftlich entschieden.
Sie beschreiben die Levante-Küche als neuen Trend. Was ist das?
Levante ist der Ost-mediterrane Kulturraum, also die heutigen Staaten Syrien, Libanon, Jordanien und Israel. In diesen Ländern ist eine Vielfalt an verschiedenen Küchen beheimatet. Auch wir haben hierzulande große Migrationsströme dieses Kulturraums, die Küche ist uns vertraut, auch wenn wir die Produkte noch nicht alltäglich benutzen. In der Levante-Küche arbeitet man hauptsächlich mit Gemüse, sie ist frisch und gesund wie Hummus beispielsweise.
Die Millennials sind der Lebensmittelindustrie ein Dorn im Auge. Sie wollen Vielfalt auf dem Teller und wissen, woher ihr Produkt kommt. Welche Herausforderungen sehen Sie für die Industrie?

Die Industrie kann sich ihre Kunden nur bedingt aussuchen. Es lohnt sich also, die Millennials wertzuschätzen und genau anzuschauen. Sie sind sehr gute Zeiger für den Wandel. Wir sind mitten in einer Zeitenwende. Die Millennials erobern sich eigentlich die Lebensmittel zurück, eine klassische Reaktion der Entfremdung von Lebensmitteln. Es geht um die Sehnsucht, mit gutem Gewissen wieder genießen zu können. Lebensmittelqualität ist Lebensqualität. Der Anteil an Foodies wird immer größer, zwei Generationen vorher war man noch froh, wenn man nicht kochen musste. Jetzt verändert sich auch das wieder.
Was essen wir 2018?
Wir werden bunter essen, viele neue Salate und andere Rezepturen mit Fokus aufs Gemüse. Bei Trends versuche ich aber größere Zeiträume zu betrachten, nicht nur Modeerscheinungen.
