"Der Klimawandel ist da und nicht mehr aufzuhalten", stellt Winzerin Juliane Eller fest. Die 30-Jährige lebt und arbeitet eng mit der Natur zusammen und hat bereits über Jahre hinweg die Veränderungen ihrer Umwelt zu spüren bekommen. Ihren Kolleginnen geht es nicht anders. "Es gibt auf jeden Fall viel mehr extreme Wetterereignisse", berichtet Katharina Wechsler dem stern. Vor allem die warmen Jahre hätten zugenommen, erzählt Gesine Roll, die den Klimawandel auf ihrem Weingut ebenfalls bemerkt. Schwankungen habe es aber schon immer gegeben, fügt sie hinzu.
Alle drei Winzerinnen leben in Rheinhessen und teilen neben dem Beruf auch die Einstellung zum Klimawandel: Sie lassen sich davon nicht aus der Fassung bringen. Die Frauen haben jeweils das Weingut der Eltern übernommen und konnten beobachten, wie sich im Laufe der Zeit die Ernte zeitlich immer weiter nach vorne verlagert hat.
Wetterextreme nehmen zu
Während man früher im Oktober mit kalten Fingern die Trauben pflückte, sei die Lese inzwischen zu einem "Herbst in Hotpants" geworden, berichtet Gesine Roll im Gespräch mit dem stern. Dementsprechend treiben auch die Weinreben früher aus. "Anfang oder Mitte April, was in dem Fall das Risiko von Spätfrösten erhöht, die meist im Mai kommen", erläutert Katharina Wechsler. Eine schwierige Situation, in der die Winzer nicht eingreifen können.
"Zudem machen die extremen Witterungsbedingungen den Weinerzeugern seit einigen Jahren zunehmend Probleme", berichtet Ernst Büscher vom Deutschen Weininstitut. Hitze und Dürre einerseits, aber auch Unwetter, Starkregen oder "Hagel zu Zeiten, in denen du keinen mehr erwartest", zählt Katharina Wechsler auf. Das sei im August 2017 der Fall gewesen. Solche unvorhersehbaren Lagen erschweren die Arbeit der Weinbauer. Die Tendenz geht jedoch in Richtung wärmere Temperaturen. Darauf könne man sich einstellen.
"Wahnsinnig viel und lange vorausdenken"
"Ein gesunder Boden, der Wasser speichern kann, ist essentiell", betont Katharina Wechsler. Deshalb arbeitet die Winzerin darauf hin, den Humusaufbau ihrer Böden zu verbessern, sodass die Pflanzen auch in trockenen Phasen versorgt sind. Damit möglichst wenig Wasser aus der Erde verdunstet, sei es laut Gesine Roll sinnvoll, den Boden zu beschatten.
Der Klimawandel erfordert ebenso einen anderen Umgang mit den Reben. Das beginnt noch vor dem Anpflanzen der Weinstöcke. Die Wahl der Rebsorten, den genauen Platz für die Pflanze und die Abstände zwischen den Weinstöcken sind Punkte, die die Winzer beim Anlegen des Weinberges berücksichtigen müssen.

Juliane Eller setzt die Reben mittlerweile dichter zusammen. Damit stehen die Pflanzen in Konkurrenz zueinander und sind gezwungen, sich tiefer im Boden zu verwurzeln und das Wasser aus der Tiefe zu holen. Diese Maßnahme hat die Winzerin schon vor Jahren ergriffen, "dass wir an einen Punkt kommen, an dem wir den Wasserstress möglichst vermeiden", erklärt sie. "Wir müssen wahnsinnig viel und lange vorausdenken."
Trauben langsamer reifen lassen
"Man muss handwerklich anders an den Reben arbeiten", sagt Gesine Roll. Dazu zählt zum Beispiel das Laubmanagement: Im Inneren der Rebe nimmt man die Blätter weg, damit die Trauben nicht aufeinanderhängen oder nass vom Tau werden. Außen lässt man das Laub als Schattendach stehen, was einen kühlenden Effekt auf die Früchte hat. Mit mehr Blättern muss die Rebe außerdem mehr Pflanzen-Organe versorgen. Deshalb reifen die Trauben langsamer mit mehr Laub am Stock.

Das ist vor allem für den Riesling entscheidend, der sich durch seine knackige, spritzige Säure auszeichnet. "Davon lebt der Riesling", betont Katharina Wechsler. Die spät reifende Rebsorte braucht ein gemäßigtes, kühles Klima, um nicht zu schnell zu reifen. Denn sonst haben die Früchte zu viel Zucker und weniger Säure. "Da muss man schon aufpassen, dass der Riesling einem nicht abhaut", sagt Juliane Eller im stern-Interview. Das Geschmacksprofil sei dann ein anderes. "Man schmeckt warme Jahrgänge schon raus", erläutert Katharina Wechsler.
Riesling wird weiterhin in Deutschland wachsen
Allerdings haben die Winzer – wie bei anderen Rebsorten auch – Stellschrauben, an denen sie drehen können, "dass man weiterhin den Stil des 'Cool Climate Riesling' in Deutschland erhalten kann", prophezeit Gesine Roll. "Es steht völlig außer Frage, dass der Riesling bei uns nicht mehr wachsen wird", meint auch Juliane Eller. Sie beschreibt die Weinsorte als "wahnsinnig filigran", die zwar an vielen Standorten breit aufgestellt sei, wenn man aber einen bestimmten Stil erzeugen wolle, müsse man als Winzer eingreifen.
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Ausschlaggebend dafür sei vor allem der Zeitpunkt der Traubenlese. Katharina Wechsler beginnt damit teils sogar Ende August. Von klassischen Daten müsse man sich verabschieden und als Weinbauer von Jahr zu Jahr flexibel reagieren. Wegen des früheren Erntezeitpunktes müsse man inzwischen anders mit der Lese umgehen, berichtet Gesine Roll. Die Trauben müssen unbedingt gekühlt "und am besten zu einem kühlen Zeitpunkt ins Weingut gebracht werden", sagt sie. Also früh morgens mit der Ernte beginnen und mittags pausieren.
Riesling-Reben in höhere Lagen versetzen
Langfristig müsse man als Weinbauer auch bedenken, wo genau man die Reben anbaut. Denn Böden, die unter Wassermangel leiden, seien für Weißweinsorten nicht geeignet. "Sie brauchen eine gewisse Wasserversorgung, sonst schmecken die Weine gestresst", sagt Katharina Wechsler. "Das Schlimmste, was beim Riesling passieren kann", findet sie.
Laut Ernst Büscher vom Weininstitut seien einige Weinbauer bereits dazu übergegangen, die Pflanzen in höhere oder weniger sonnenreiche Lagen anzulegen. Neue Rebzeilen könne man zudem so ausrichten, dass sie weniger von der Sonne beschienen werden. "So kommt man im Herbst wieder in die kühleren Phasen, die der Riesling bevorzugt", erklärt der Experte.
Riesling in Deutschland nicht gefährdet
In Anbetracht der vielen Möglichkeiten, auf die Auswirkungen des Klimawandels zu reagieren, sei der Rieslinganbau in Deutschland mittelfristig nicht gefährdet. Das bestätigen auch die drei Winzerinnen. "Man kann selbst viele Hebel betätigen, damit der Riesling uns auch in den nächsten Jahren noch geschmacklich so erhalten bleibt", sagt Katharina Wechsler.

Gesine Roll glaubt, dass in Deutschland noch viel Luft nach oben sei und die Winzer gewiss noch nicht alle Maßnahmen ausgeschöpft haben. "Sachen, die sich mit einem logischen Durchdenken und einem engen Zusammenleben mit der Pflanze förmlich aufdrängen", sagt die Weinbäuerin. Bis sich die Stilistik des Rieslings spürbar verändern könnte, werden noch viele Jahre vergehen. Und selbst dann bleiben die drei Frauen entspannt.
Riesling noch immer die "Königin der Weißweine"
"Es gibt viele Leute, die es mögen werden, wenn der Wein runder ist und ein bisschen weniger Säure hat", denkt Katharina Wechsler. Juliane Eller fände es spannend, die Säure des Rieslings mit der Süße einer reiferen Frucht zu kombinieren. Selbst wenn sich die Aromatik des Weißweins in ferner Zukunft wandeln sollte, steht für die Winzerin aus Rheinhessen eines fest: "Der Riesling wird immer die Königin der Weißweine bleiben."
Ob 2022 ein feuchtes oder trockenes Jahr wird, kann man zu diesem Zeitpunkt noch nicht sagen. "Die Natur ist der Boss und es ist nichts planbar", betont die 30-Jährige. Man müsse mit offenen Augen durch den Weinberg gehen und den Wandel beobachten.
Winzerinnen sehen Klimawandel als Herausforderung
"Wir hatten letztes Jahr ein extrem feuchtes Jahr", berichtet Katharina Wechsler. In den Jahren zuvor habe man stattdessen eher mit wenig Regen und langen Hitzeperioden zu kämpfen gehabt. "2021 war auf eine ganz andere Art herausfordernd", stimmt Juliane Eller zu. Knapp 8,45 Millionen Hektoliter oder 1,1 Milliarden Flaschen Wein und Most haben die Winzer nach Angaben des Statistischen Bundesamtes 2012 insgesamt erzeugt. Das sind 2,9 Prozent weniger als der Durchschnitt von 2015 bis 2020. Neben kühlen Temperaturen und Niederschlag machten Pilzkrankheiten an den Pflanzen den Weinbauern zu schaffen.

Solche unberechenbaren Ereignisse erfordern neben den langfristigen Anpassungen immer wieder kurzfristiges Handeln. "Es gibt viele Schrauben, an denen man drehen kann", unterstreicht Juliane Eller. Das ermöglicht es ihr und ihren Kollegen, die Arbeit jedes Jahr individuell an das jeweilige Wetter anzupassen. Egal was passiert, die Winzerinnen bleiben cool. "Der Klimawandel ist für mich kein Problem, sondern maximal eine Herausforderung", sagt Gesine Roll.