Es war eine Welle der Solidarität, die in der Dunkelheit durch Europa schwappte: Zu Beginn der Coronakrise gingen Menschen allabendlich auf ihre Balkone, um zu klatschen. Sie wollten vor allem Ärzten, Krankenpflegern und Sanitätern, aber auch Kassierern, Verkäufern, Lehrern und anderen ihre Dankbarkeit in dieser schwierigen und stressigen Zeit zeigen. Es war eine nette Geste für all jene, die in der Pandemie als systemrelevant gelten, aber dafür häufig nicht genug gewertschätzt werden – vor allem finanziell.
Das ging auch an Bundesgesundheitsmnister Jens Spahn nicht vorbei, der sich Anfang April für Bonuszahlungen für Pflegerinnen und Pfleger aussprach: "Ich würde gerne zusammen mit den Arbeitgebern schauen, wie wir Wege finden, denjenigen, die jetzt Großartiges leisten, jeden Tag, dafür noch mal eine besondere Anerkennung zu geben", sagte er Anfang April gegenüber "Bild". Es sollte ein Zeichen der Dankbarkeit für all jene sein, die in dieser Zeit in Kliniken, Praxen und der Gesundheitspflege besonders mit anpackten.
Klatschen ja, Geld nein
Vier Monate später scheint das in Vergessenheit geraten zu sein. Lediglich Personal in der Altenpflege soll einen Bonus für die besonderen Belastungen in der Corona-Krise bekommen, die Krankenpflege geht leer aus. Eine Entscheidung, die nicht von allen Politikern getragen wird: "Die Betroffenen empfinden es zu Recht als ungerecht, dass der Pflegebonus nicht in der Krankenpflege ankommt", sagte der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach der "Augsburger Allgemeinen".

Familienministerin Franziska Giffey von der SPD ist allerdings hart geblieben. Es sei nur gerecht, wenn Mitarbeiter der Altenpflege den Bonus kriegen, da diese deutlich weniger verdienen als Pflegerinnen und Pfleger in den Kliniken, so ihr Standpunkt.
Eine Entscheidung, die Michael Wünning, Chefarzt des Hamburger Marienkrankenhauses, zutiefst ungerecht findet. Als Experte ordnet er im Podcast "STERN nachgefragt" seit Monaten die Entwicklungen der Corona-Pandemie ein. Nun wendet er sich mit einem emotionalen Appell an die Politik.
Das volle Statement von Michael Wünning
"Diese Entscheidung macht mich betroffen, und sie macht mich wirklich wütend. Denn damit verspielt die Politik im Augenblick genau das letzte bisschen Vertrauen, das Mitarbeiter in Krankenhäusern und der Pflege haben. Der Bundestag hat gesagt, dass die zusätzliche Pflege-Gratifikation von 1500 Euro, sogar abgestuft nach Beschäftigungs- und Qualifikationsgrad, ausschließlich für die Pflege-Mitarbeiter in Altenheimen sein soll.
Jetzt ist es sogar so, dass das nicht nur für die Pflege in den Altenheimen gelten soll, sondern auch noch für andere Berufsgruppen. Und das mit der Begründung, dass im Altenheim weniger verdient wird als in der Pflege. Das heißt im Umkehrschluss: Weil in der Pflege im Krankenhaus besser verdient wird, reicht das – und im Altenheim im Endeffekt nicht.
Wir haben dieses Klatschen auf dem Balkon gehabt, das wir so oft erwähnt haben. Wir haben so oft gesagt, die Pflege in Krankenhäusern verdient zu wenig und wird zu gering gewertschätzt. Und jetzt ist es zu wenig, aber immer noch mehr als im Altenheim. Also wird nichts hergegeben. Das trifft mich wirklich innerlich. Das ist eine Minderwertschätzung. Das ist ein Verkennen der Realitäten. Das kann nicht sein.
In den Momenten, wo in den Altenheimen in Deutschland noch gar nicht flächendeckende Corona-Patienten wirklich infektiös vorhanden waren, haben unsere Mitarbeiter in den Krankenhäusern – damit meine ich nicht nur Pflege, sondern auch Ärzte, Reinigungspersonal, Administration, also alles, was dazugehört – an der ersten Linie gestanden. Sie hatten schon über mehrere Wochen Kontakt mit Covid-19 positiven Patienten. Unsere Mitarbeiter sind dort in eine Situation geraten, in der einige fälschlich, aber emotional das Wort Krieg in den Mund genommen haben. Im Sinne von "wir ziehen in einen Krieg gegen einen Gegner, den wir nicht kennen". Der in unseren europäischen Nachbarländern wie Italien 10 Prozent der Pflege- oder ärztlichen Kollegen das Leben gekostet hat, die sich infiziert haben.
Das heißt, sie wussten gar nicht, auf was sie sich einlassen. Und sie haben das mit einem Gottvertrauen und einem Vertrauen darin gemacht, dass das Ihr Beruf ist. Ihre Berufung. Und sie haben sich gefreut, dass sie in dieser Situation nicht nur emotional, sondern auch versprechend finanziell gewertschätzt werden.
Und alles das kommt jetzt nicht.
Es ist nicht nur, dass es nicht kommt, sondern dass eine andere Beschäftigungsart sogar noch vorgezogen wird. Ich bitte darum, dass all jene, die in der Altenpflege tätig sind, das nicht falsch verstehen – Altenpflege ist ein unheimlich wichtiger Bereich. Sie wird gebraucht, und die Mitarbeiter sollen das gerne natürlich auch bekommen. Aber dort eine Abstufung zu machen auf Grund der Einkommensklasse – wer von denen, die schon sowieso zu wenig verdienen, noch weniger als der andere verdient – ist furchtbar.
Und wenn man dann überlegt, dass in Ausbildung befindliche Pflegeschüler in Altenheimen einen Bonus bekommen und eine examinierte Krankenschwester einer Notaufnahme oder Intensivstation, die unter Vollmontur wochenlang unter persönlichen Risiken diese Patienten gepflegt hat, nicht – dann ist das nicht verständlich. Das ist absolut nicht verständlich und auch nicht zu akzeptieren.
Meine Mitarbeiterinnen sind wütend und resigniert. Die haben gesagt: "Chef, Sie haben das doch im Podcast angesprochen und Sie haben doch die Berliner Leute aufgefordert, sich zu melden und in Diskussion zu kommen - hat sich da jemand gemeldet?" Nein, es hat sich niemand gemeldet.
Wir müssen in die Diskussion kommen. Es ist absolut nicht einzusehen. dass es so heterogen gelöst ist: In Schleswig-Holstein zahlt die Landesregierung abgestuft den Pflegekräften in den Krankenhäusern diese Gratifikation, und in anderen Bundesländern, wie zum Beispiel derzeit in Hamburg, wird das nicht bezahlt.
Ich denke, das ist eine Sache, die auf Bundesebene geklärt werden muss. Es kann nicht sein, dass die Krankenhäuser, die sowieso schon einen Großteil auch an ökonomischer Verantwortung in dieser Krise mittragen, wie viele andere Sparten auch, dann zusätzlich noch jedes Haus in Millionenhöhe diese Gratifikation aus eigenen Mitteln zahlen soll. Das ist in dem Punkt nicht einzusehen, weil es eine staatliche Aufgabe ist bei einer nationalen Krisensituation. Und da ist der Bund gefordert.
Und da ist auch die Presse gefordert: Unterstützen Sie uns doch bitte! Dieser Aufruf, dass ich zum Beispiel gerne mit Herrn Spahn persönlich über die Rolle der Pflege, der Ärzte in der Covid-Situation sprechen würde und ihm da gerne nochmal einen anderen Winkel aufzeigen möchte.
Ich habe meinen Mitarbeitern versprochen, dass ich alles tun werde, damit sie diese Gratifikation bekommen. Und zwar von denen, die es zahlen müssten – die Bundes-, nicht die Landespolitik. Denn das ist eine nationale Aufgabe. Und wenn ich dafür bis zum Gesundheitsminister dazu gehen muss."