Ob Schlaftabletten, Bier oder Zigaretten - die Deutschen lassen nicht ab von ihren Suchtmitteln. Trotz Präventionsarbeit und Gesetzesverboten bleibt der Konsum von Rauschmitteln hoch, stellte die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen am Mittwoch in Berlin fest, wo sie ihr "Jahrbuch Sucht 10" präsentierte. Auffällig ist, dass hunderttausende Senioren in der Falle der Medikamentenabhängigkeit stecken - häufig ohne dies zu wissen.
Insgesamt etwa 1,9 Millionen ältere Menschen "haben ein Problem mit ihrem Medikamentenkonsum", sagte Armin Koeppe, Projektleiter bei der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen. Medikamentenabhängigkeit sei in Deutschland genauso verbreitet wie die Abhängigkeit von Alkohol: "Es gibt zwischen 1,7 und 2,8 Millionen Medikamentenabhängige oder Menschen mit problematischem Komsumverhalten bei Medikamenten", sagte er. Die Hauptbetroffenen seien Rentner, vor allem Frauen. Sie ließen sich Schlafmittel verschreiben, obwohl es im Alter natürlich sei, weniger zu schlafen. "Was die älteren Menschen nicht wissen, ist, dass diese Medikamente sehr schnell zu Abhängigkeit führen", sagte er. Der Prozess sei schleichend und werde häufig erst zu spät wahrgenommen.
Generell sei der Medikamentenkonsum älterer Menschen sehr hoch. "70 Prozent aller Medikamente werden von Menschen über 65 Jahren eingenommen", sagte er. Nach Erkenntnissen der Hauptstelle für Suchtfragen nehmen die Hälfte aller Senioren täglich Medikamente mit acht verschiedenen Substanzen ein, etwa 20 Prozent sogar Medikamente mit 13 verschiedenen Substanzen. Koeppe berichtete, dass für Senioren gefährliche Stürze mit Verletzungen wie Oberschenkelhalsbruch häufig durch Medikamente ausgelöst würden.
In Bezug auf Alkohol und Nikotin hat sich das Verhalten der Deutschen im vergangenen Jahr nicht oder nur wenig verändert. "Der Alkoholkonsum ist viel zu hoch", sagte Raphael Gaßmann, Geschäftsführer der Hauptstelle. Nach Berechnungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) liegt Deutschland im internationalen Vergleich auf Rang fünf hinter Luxemburg, Irland, Ungarn und Tschechien. Laut Gaßmann konsumiert jeder Deutsche jährlich rund 9,9 Liter reinen Alkohols - das sind umgerechnet knapp 610 Dosen Bier. Damit entspricht die aktuelle Ziffer der der Vorjahre.
Die Hauptstelle für Suchtfragen stellte einen starken Zusammenhang zwischen Alkohol und Gewalt her. "Drei von zehn aufgeklärten Gewaltdelikten wie schwere Körperverletzung, Totschlag oder Vergewaltigung werden unter Alkoholeinfluss verübt", sagte Christina Rummel, Projektleiterin in der Hauptstelle. In dem Zeitraum von 22.00 Uhr bis 06.00 Uhr morgens passierten die Hälfte aller Gewalthandlungen unter dem Einfluss von Alkohol. Frauen würden unter Alkoholeinfluss selten gewalttätig. Sie tränken, um mit Gewaltsituationen klarzukommen.
Die Zahl der Raucher ist trotz gesetzlicher Maßnahmen wie dem Rauchverbot in Gaststätten nur leicht gesunken: Rauchten 2006 rund 31,9 Prozent der Deutschen, so waren es im vergangenen Jahr etwa 29,9 Prozent. "Allerdings hat sich die gesellschaftliche Einschätzung vom Rauchen verändert", sagte Gaßmann. "Heute werden Raucher eher mit einem schelen Augen angeguckt, denn Rauchen gilt als unvernünftig." Tabakkonsum führt laut der Hauptstelle bei noch mehr Menschen zu einem verfrühten Tod als Alkohol: "Hier gehen wir von 110.000 bis 140.000 Fällen aus", sagte Gaßmann.