Der Erreger der Vogelgrippe ist der Weltgesundheitsorganisation zufolge durch Mutationen für Hühner und Mäuse gefährlicher geworden; Menschen gelten aber bislang noch nicht als gefährdet. Untersuchungen hätten gezeigt, dass das Virus zunehmend tödlicher für Hühner und Mäuse werde und nun etwa drei Mal so lang - sechs Tage - bei warmen Temperaturen im Freien überdauern könne. Allerdings gebe es keinen Beleg dafür, "dass das Virus seine Fähigkeit verbessert hat, leicht von einer Person zur nächsten übertragen zu werden", heißt es auf der Internet-Seite der WHO.
Die Vogelgrippe wird bislang nur von Tier zu Tier oder Tier zu Mensch übertragen. Experten fürchten eine weltweite Epidemie, sollte das Virus so mutieren, dass es von Mensch zu Mensch verbreitet werden kann.
WM in Gefahr?
Mit der Dauer der Vogelgrippe wächst nach Ansicht der Weltgesundheitsorganisation WHO die Gefahr einer Pandemie unter Menschen. Je länger das Virus existiere, desto "mehr Chancen" gebe es, "auf den Menschen überzugehen", sagte der Leiter des WHO-Influenza-Programms, Klaus Stöhr, am Montagabend im Sender N24. "Wenn dieses Virus sich verändert, haben wir nichts in der Hand, um den weltweiten Zug hinauszuzögern." Nach drei Monaten wären dann alle Kontinente davon betroffen, sagte Stöhr.
Deutschland sei im weltweiten Vergleich besser auf die Seuche vorbereitet als andere Länder. Dennoch sei nun "Klotzen wichtiger als Kleckern", um eine Übertragung des Virus von Wild- auf Nutztiere zu verhindern, warnte Stöhr einer N24-Mitteilung zufolge.
Im Falle einer Pandemie müsste nach Ansicht der Vorsitzenden des Agrarausschusses im Bundestag, Bärbel Höhn, vermutlich auch die Fußball-WM abgesagt werden, wie die Grünen-Politikerin im selben Sender sagte. Stöhr sagte dazu, dies sei "keine Schwarzmalerei". Sollte während der Fußball-WM in Deutschland eine Pandemie ausbrechen, "muss man sich ganz genau überlegen was man tut".
Katastrophenalarm in fast ganz Vorpommern
Unterdessen wurde, nach den ersten Vogelgrippefällen auf dem deutschen Festland, der Katastrophenalarm auf nahezu ganz Vorpommern ausgeweitet. Nach dem Landkreis Rügen riefen vorsorglich auch die betroffenen Nachbarkreise Nord- und Ostvorpommern den Katastrophenfall aus. Zudem wurden alle Landkreise und großen Städte an der Küste Mecklenburg-Vorpommerns zur Überwachungszone erklärt. Die Bundeswehr stockte ihre Kräfte auf Rügen um 250 Kräfte auf, Ostvorpommern forderte ebenfalls Hilfe der Bundeswehr an. Die mit Schutzanzügen ausgestatteten Soldaten sollen auch am Dienstag auf der Ferieninsel tote Vögel einsammeln. Außerdem wird in den Landkreisen und großen Städten an der Küste gezielt nach toten Vögeln gesucht.
Nach Einschätzung des Agrarministers von Mecklenburg-Vorpommern, Till Backhaus (SPD), hat das Land die Situation "insgesamt noch nicht im Griff". Bislang wurde das auch für Menschen gefährliche Virus H5N1 bei 103 Vögeln festgestellt.
Vorsorgliche Keulungen auf Rügen
Mit weiteren infizierten Tieren sei zu rechnen, das Risiko der Einschleppung in Hausgeflügelbestände wachse, sagte Backhaus. Mit den Vertretern der Kreise und Städte habe es keine Differenzen über den Ernst der Lage gegeben. Man sei sich einig, dass Fundorte infizierter Vögel abgesperrt würden und das Betreten verboten sei.
Auf Rügen waren bereits am Sonntag vorsorglich 2463 Tiere aus einem großen Betrieb und einigen Kleinsthaltungen getötet worden. Am Montag sollten Tiere aus weiteren fünf Kleinstbeständen getötet werden. Sie sind Backhaus zufolge aber nicht infiziert. Die vorsorglichen Tötungsmaßnahmen seien auch ein Signal an die EU, dass das Land ernsthaft gegen die Vogelgrippe vorgehe.
Landwirte fordern großzügige Entschädigungen
Die deutschen Landwirte forderten eine großzügige Entschädigung der betroffenen Bauern. "Bund und Länder müssen solidarisch einstehen, falls sich die Seuche weiter ausbreitet", sagte der Generalsekretär des Bauernverbandes, Helmut Born, der "Berliner Zeitung". Der Schweriner Landesbauernverband forderte, nicht nur den Wert der getöteten Tiere, sondern auch den Ertragsschaden zu ersetzen. "Der Staat darf die Bauern mit den Folgeschäden nicht allein lassen", sagte Pressesprecher Harald Kienscherf derselben Zeitung. Weder der Einnahmeverlust durch ausbleibende Eier noch die Kosten von Desinfizierung der Ställe und Wiedereinstieg in die Haltung würden übernommen.
An der einzigen Zufahrt zur Insel Rügen, dem Rügendamm, staute sich der Verkehr am Montag wegen der Desinfizierungsmaßnahmen auf bis zu 15 Kilometer Länge. Autofahrer mussten teilweise rund drei Stunden warten, teilte die Polizeidirektion Stralsund mit. Wegen der kilometerlangen Staus werden die eingerichteten Seuchensperren für Fahrzeuge vom Festland auf die Insel Rügen wieder abgebaut. "Damit soll eine spürbare Entlastung des Verkehrs erreicht und den Bürgern der Zugang zur Insel erleichtert werden", sagte Landwirtschaftsminister Till Backhaus (SPD) am Dienstagmorgen. Nur noch Fahrzeuge, die die Insel verlassen, würden desinfiziert.
Kein EU-Impfprogramm für Tiere geplant
Die EU-Agrarminister einigten sich in Brüssel trotz Initiativen einzelner Mitgliedsländer nicht auf ein Impfprogramm für Tiere. Die Deutsche Geflügelwirtschaft und der Tourismus auf Rügen bekamen erste Auswirkungen der Vogelgrippe zu spüren. Die Gesundheitsminister von Bund und Ländern kommen wegen der Vogelgrippe am Donnerstag zu einer Sondersitzung zusammen, um sich über den Stand der Vorbereitungen auf eine mögliche weltweite Grippe-Epidemie auszutauschen. Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) hatte einen aus ihrer Sicht mangelnden Vorrat der Länder an Grippemitteln kritisiert.
H5N1 breitet sich weltweit weiter aus
Der aggressive Vogelgrippe-Erreger H5N1 ist nun auch erstmals in Ungarn nachgewiesen worden. Das teilte die Regierung in Budapest unter Berufung auf das EU-Referenzlabor im britischen Weybridge mit.
Es handle sich um Proben von drei verendeten Schwänen, die vergangene Woche am Dreiländereck Kroatien-Serbien-Ungarn im ungarischen Dorf Nagybaracska gefunden worden waren. Vier weitere Proben von toten Schwänen aus demselben Ort würden derzeit in Weybridge untersucht, hieß es. Bei allen sieben Tieren handelte es sich um Höckerschwäne (Cygnus olor).
Erstmals wurde auch in Bosnien-Herzegowina ein Vogelgrippevirus vom Typ H5 nachgewiesen. Ob es sich um den gefährlichen Erreger H5N1 handelt, wird noch untersucht.