Siebengebirge in der Ferne statt Alpen vor der Tür, Auffahrt zur A3 statt Tor zur Welt: Köln macht es uns Kölnern tatsächlich schwer, mit der eigenen Heimat zu prahlen. Entgegen den populären Zeilen von Cat Ballou gibt es dementsprechend so einige Worte, die "sage künnt, wat ich föhl, wenn ich an Kölle denk". "Schmutzig", "verbaut" und "hässlich" zum Beispiel. Und trotzdem hänge ich so sehr an diesem Versuch einer Großstadt wie Hans-Georg Maaßen an seiner CDU-Mitgliedschaft (Tätäää, tätäää, tätäää). Lieber Lokalpatriot als Nationalist, soviel ist sicher. Und zu keinem Zeitpunkt sind wir Kölner stolzer auf etwas, für das wir wenig bis nichts können, als an Karneval. Zeit für eine Liebeserklärung.
Ja, Kölsch ist Bier
Vor zwei Jahren schrieb ich an dieser Stelle einen ähnlichen, aber weitaus schlecht-gelaunteren Text. Die fünfte Jahreszeit war im zweiten Lockdown, die Stimmung tiefer als der Rheinpegel im Hitzesommer (den Text lesen Sie hier). Umso mehr lechzt diese Stadt nach Ekstase, nach der Rückkehr zum normalen Unnormalen.
Wer Karneval noch nie mitgemacht hat, versteht das vielleicht nicht. Wie auch? Dieses Fest ist nicht rational. Es ist laut, dreckig und ganz ehrlich: auch ein bisschen peinlich. Doch haben wir Kölner es in den vergangenen 200 Jahren zur Meisterschaft darin gebracht, in diesen Tagen den leisesten Anflug von (Fremd-)Scham mit literweise Bier und einer ordentlichen Portion Selbstironie zu ertränken. Übrigens: Ja, Kölsch ist Bier. Nein, Kölsch ist nicht gleich Kölsch. Und sich über "Reagenzgläser" zu beschweren gehört genauso in die Alt-Witz-Tonne wie die Existenz von Bielefeld in Frage zu stellen. Für den Kater am Morgen ist das Volumen am Abend unwichtig.
Karneval macht die Menschen nicht gleich, aber gleicher
Wir Kölner bilden uns viel auf unsere Offenherzigkeit ein und werden nicht müde, die rheinische Frohnatur weit über die Stadtgrenzen hinaus zu propagieren. Aber natürlich ist auch die Kölner Gesellschaft weder klassenlos noch vorurteilsfrei. Zwar ist hier die Chance, mit Fremden in der Kneipe ins Gespräch zu kommen, mit Sicherheit höher als im bundesdeutschen und exorbitant höher als im norddeutschen Durchschnitt. Trotzdem stößt der Banker hier ebenso selten mit dem Paketboten an wie in Berlin. Nur eben nicht an Karneval.
In dieser herrlich bekloppten Zeit gibt es keine Banker und Paketboten. Es gibt Indianer und Cowboys, Jedis und Zauberer, Prinzen und Bauern. Karneval macht die Menschen nicht gleich. Aber die Unterschiede, die sie im Alltag trennen, sind unter zentimeterdicker Schminke, pelzigen Overalls und absurden Hüten immerhin schwerer auszumachen. Auch musikalisch meint es das Fest mit allen gleich gut/schlecht. Ob man nun fürs Trömmelchen parat steht, Maries Mann für eine Nacht ist oder ob der Barbarossaplatz verschlafen hat: In der fünften Jahreszeit servieren die Kölner Lokale nur das, was auch noch nach 15 Kölsch schmeckt. Das ist gleichermaßen einsteiger- und promillefreundlich. Karneval als Kurzurlaub für den Verstand. Weniger harmonisch geht’s bei den kleinen Jecken zu. Haben Sie schon einmal Kinder beim Karnevalsumzug gesehen? Nur so viel: Von "mer muss och jünne künne" ist da wenig zu spüren. Wäre Boris Pistorius je Zeuge dieses jährlichen Kampfes um die besten Kamelle gewesen, könnten wir uns die Wehrpflichtdebatte sparen.
Manchmal braucht es Schwachsinn
Bevor ich es vergesse: ein paar Worte in Sachen Transparenz. Diese Zeilen, werter Leser, schreibe ich zwar vorauseilend euphorisch, aber stocknüchtern am Tag vor Weiberfastnacht. Wenn Sie diesen Text am Donnerstag lesen, stehe ich mit maximal einer halben Träne im Auge und minimal einer Promille im Blut schunkelnd auf dem Chlodwigplatz und gröle "denn ich ben nur ne Kölsche Jung". Falls Sie in der Menge nach mir Ausschau halten, brauchen Sie Geduld. Ich verkleide mich als Leopard und verspäte mich vielleicht. Trotzdem wage ich mich an dieser Stelle gänzlich unjournalistisch an eine Weissagung: Es ist großartig. Nein, Sinn macht das jecke Treiben nicht. Aber mal ehrlich: Haben wir uns nicht alle ab und an ein wenig Schwachsinn verdient? Vielleicht jetzt mehr denn je.
P.S. Liebe Grüße auch nach Düsseldorf. Bei euch ist's bestimmt auch ok.