Es war 2018, als der bayerische AfD-Abgeordnete Andreas Winhart bei einer Wahlkampfveranstaltung erklärte, dass alle Albaner "Diebe", alle Schwarzen Menschen (er nutzte das herablassende "N-Wort") "krank" seien. Darüber hinaus gab er öffentlich "Flüchtlingen" eine Mitschuld an HIV-, Krätze- und TBC-Fällen in seinem Landkreis. 2019 reagierte unter anderem Enissa Amani ebenfalls öffentlich auf seine Aussagen und nannte ihn einen "Idioten" und "Bastard". Die Konsequenz: Die Aktivistin und Künstlerin soll eine Geldstrafe von 1800 Euro wegen Beleidigung zahlen, der Politiker bleibt straffrei. Statt die Geldstrafe zu zahlen und die Angelegenheit damit abzuhaken, nimmt Amani eine Freiheitsstrafe in Kauf. Im Interview mit dem stern erklärt die 37-Jährige die Gründe dafür.
Frau Amani, Sie standen in den letzten Tagen sehr im Fokus einiger Diskussionen: Wegen Beleidigung des AfD-Politikers Andreas Winhart wurden Sie zu einer Geldstrafe verurteilt. Diese verweigern Sie bewusst und wollen stattdessen die Freiheitsstrafe von 40 Tagen in Kauf nehmen. Können Sie erklären, warum?
Weil ich es sehr, sehr traurig finde, dass er für volksverhetzende, rassistische Aussagen nicht belangt wurde. Mir ist aber auch sehr wichtig, an dieser Stelle nochmal zu betonen, dass ich an meiner Strafe gar nichts zu beanstanden habe. Dass ich bestraft wurde, finde ich genau richtig. Ich bin sogar sehr glücklich über das deutsche Rechtssystem und dass man hierzulande darauf Wert legt, dass kein Mensch einen anderen beleidigen darf. Aber dass er dagegen für so eine wahnsinnig gefährliche Aussage komplett straffrei in jeder Form davonkommt, ist ein Unding. Und darauf möchte ich aufmerksam machen.
Manche User:innen, die sich unter Ihren Social-Media-Beiträgen zu Wort melden, finden, Sie hätten doch einen anderen Weg wählen können, als ebenfalls beleidigende Worte zu nutzen, um die Diskussion anzuregen.
Ich würde einen Menschen nicht einfach so beleidigen. Ich lege sehr viel Wert auf Höflichkeit und anständiges Verhalten. Aber ich weiß auch, dass rassistische Äußerungen, wenn man sie nicht drastisch aufzeigt, oftmals wieder untergehen und nicht mehr besprochen werden. Ich glaube auch, dass es rein menschlich gesehen schöner gewesen wäre – da bin ich auf jeden Fall bei den Leuten, die meine Wortwahl bemängeln –, die Dinge ruhig zu sagen. Als Mensch und als Frau habe ich in dieser Hinsicht persönlich auch eine Entwicklung gemacht, glaube ich. Ruhe hat immer eine ganz andere Souveränität. Ich verstehe also einerseits die Leute, die sagen, dass du selbst auf die größte Grausamkeit der Welt mit einer gewissen Ruhe antworten solltest.
Aber ich finde auch, dass wenn man bei einigen Umständen manchmal zu leise darauf reagiert, die Dinge danach genauso weiterlaufen. Wir haben zigtausende Talkshows, in denen wir über Probleme reden, über Radikalisierung, über Rechtsextremismus. Dort unterhalten sich viele Leute ganz ruhig und diplomatisch und nichts passiert. Obwohl die Dinge klar benannt werden. Wir haben immer noch die NSU-Fälle, bei denen immer noch die Akten nicht freigegeben werden. Erst kürzlich wurde öffentlich darüber berichtet, dass von den 19 SEK-Beamten, die nach Hanau geschickt wurden, 13 in rechtsextreme Netze verwickelt waren. Aber hat sich etwas geändert, obwohl wir diplomatisch darüber sprechen, darüber berichten?
Ich hatte damals das Gefühl, dass es einfach Lautstärke, Mut und Courage braucht und dass man das nur sieht, wenn jemand das sehr laut, deutlich und provokant sagt – und das habe ich gemacht.
Und damit jetzt dafür gesorgt, dass darüber gesprochen wird.
Ja, und dadurch habe ich auch selbst neue Perspektiven eröffnet bekommen. Ich persönlich war der Meinung, dass bei dieser Sache Volksverhetzung gegen Beleidigung steht. Dabei zeigen gerade viele auf, dass es im Grunde doch so ist, dass ich gezielt eine einzige Person beleidigt habe, diese Person aber mit seinen Aussagen etwa 1,3 Millionen Menschen allein in Deutschland beleidigt hat. Und dass viele seine Aussagen auch als Beleidigung empfinden. Diese Gegenüberstellung hat mir nochmal bewusst gemacht, wie viel Unrecht darin steckt.
In Ihrem Statement auf Instagram haben Sie gesagt, dass viele Menschen Anzeige gegen Winhart erstattet hatten, vor allem wegen Volksverhetzung. Davon wurde er jetzt freigesprochen. Hätten nun aber Schwarze Menschen und Albaner oder Albanerinnen Anzeige wegen Beleidigung erstattet, denn auf sie ist er ja explizit zu sprechen gekommen, hätte das etwas bewirkt? Oder sind Aussagen wie das "N-Wort" oder pauschale Aussagen, etwa dass Albaner kriminell seien, nicht als Beleidigung anzufechten?
Ich habe damals Bescheid bekommen, dass gegen mich eine Anzeige vorliegt wegen Beleidigung und dass ich mich dazu äußern kann, aber nicht muss. Ich bin daraufhin aber freiwillig zur Polizei gegangen: nicht, um mich gegen meine Anzeige zu wehren oder um dazu Stellung zu nehmen. Ich weiß, was ich gesagt habe und was für Konsequenzen das hat. Ich bin dorthin gegangen, weil ich gerne eine Gegenanzeige erstatten wollte. Der Polizist hat mir daraufhin gesagt, dass ich wegen Beleidigung gegen ihn nicht vorgehen könne, weil eine Beleidigung immer persönlich sein muss, also ganz gezielt.
Aus meiner Sicht bin ich aber doch als Mensch beleidigt worden. Dass das nicht ausreicht, um gegen ihn vorzugehen, ist eben das Schlimme. Auch das "N-Wort" zu verwenden, ist keine Beleidigung. Was getan wurde: Die Sache wurde bis zum Verfassungsgericht getragen und er wurde freigesprochen, weil – so der Tenor – seine Aussagen im Rahmen der Provokation als zulässig erachtet wurden. Für mich – und viele andere – ist aber klar erkenntlich, dass das keine simple Provokation mehr ist. Das ist ganz klar faschistoides Gedankengut, was diese Leute äußern. Und mir haben viele Menschen geschrieben, dass sie sich schon oft explizit durch Aussagen von AfD-Politiker:innen angegriffen gefühlt haben, auch aus der queeren Szene habe ich viele Nachrichten bekommen, die oftmals böse Worte hinnehmen müssen. Dagegen als Person vorzugehen ist aber schwierig. Dazu muss eben das Verfassungsgericht eine Entscheidung treffen oder die Partei sagt, dass es für einen Parteiausschluss reicht. Und genau daran sollte sich doch etwas ändern. Damit solche Aussagen öffentlich nicht mehr getätigt werden dürfen.
Sie waren noch unsicher, ob Sie die Haftstrafe tatsächlich antreten werden und haben sich an Ihre Follower:innen gewandt. Haben Sie sich endgültig entschieden?
Wenn man sich meinen Wortlaut bei Twitter genau ansieht, habe ich am Ende gesagt: "Ich hätte gerne eure Gedanken dazu." Und mein nächster Satz ist dann: "Bitte seid mutig und bitte denkt nicht so reglementiert." Ich habe den Leuten meine Antwort irgendwo schon versucht in den Mund zu legen. Ich hatte mich schon länger dazu entschieden.
Was haben Sie sich durch den offenen Dialog mit Ihren Follower:innen erhofft?
Ich habe mich gefragt, ob die Öffentlichkeit meine Meinung und den Ansatz zu dieser Angelegenheit versteht oder sogar teilt. Ich hatte Angst, dass Menschen sagen, das sei völliger Quatsch und ich würde die Sache unnötig groß machen. Es ging mir gar nicht um den Rückhalt – und der ist natürlich etwas Wunderschönes und das Gefühl, nicht alleine dazustehen, braucht jeder Mensch –, aber glauben noch mehr außer mir daran, dass das der richtige Weg ist? Und ich bin sehr überrascht, wie positiv diese Nachrichten sind. Ich habe fast nur Zuspruch erhalten. Da waren auch Nachrichten dabei, die Sorge zum Ausdruck brachten, weil mir der Freiheitsentzug zusetzen wird. Natürlich waren auch Nachrichten der rechten Szene dabei, die sich freuen, wenn ich "endlich weggesperrt bin". Aber im Grunde hat kaum jemand das Signal angezweifelt.
Was wäre das Beste, was Sie mit Ihrem Handeln bewirken würden?
Ich würde mir wünschen, dass wir als Deutschland dem Rest der Welt ein starkes Vorbild sind. Ich habe hier eine fantastische Schulbildung gehabt und meine Schulausbildung hier hat zum großen Teil auch das Dritte Reich behandelt. Ich hatte das Glück Zeitzeugen und -zeuginnen treffen zu dürfen in der Schule. Ich hatte durchgehend bis zum Abitur tolle Lehrer, die mir die deutsche Geschichte nähergebracht haben. Und wir sollten und könnten das vorbildlichste Land der Welt sein, weil wir hatten quasi die größte Katastrophe hier bei uns – noch nicht mal ein Jahrhundert her. Ich würde mir wünschen, dass wir mehr Zusammenhalt zeigen. Dass auch im Ausland nicht solche Gedanken entstehen, dass Deutschland noch immer nicht entnazifiziert ist; noch immer rechte Probleme in der Polizei hat. Dabei haben wir so ein großes Potenzial, um in Harmonie zu leben. Ich würde mir wünschen, dass das noch mehr Menschen verstehen und immer und immer wieder aktiv werden, wenn sie solche Aussagen wie die von Winhart hören, um klarzumachen, dass da gerade etwas passiert, was nicht sein dürfte.

Und was wäre das Schlimmste, was passieren könnte?
Ich habe natürlich auch ein Einkommen, ich habe Partner, die mit mir arbeiten. Und viele Projekte davon sind auch wirklich großartig und passen zu meinen Überzeugungen und meiner Linie. Ich mache beispielsweise keine unbedachte Werbung und lehne fast alle Moderationsangebote ab. Und da haben ich und mein ganzes Team schon Angst, dass gute, wichtige Kampagnen oder Angebote vielleicht wegfallen nach einem Gefängnisaufenthalt. Mein Vater hat aber zum Beispiel auch Angst, dass mir dort etwas zustoßen könnte. Ich selbst kenne das Ausmaß nicht, ich war noch nie im Gefängnis. Vielleicht unterschätze ich das maßlos.
Wann steht Ihnen die Freiheitsstrafe bevor?
Nächste Woche habe ich noch vier Shows in London und Anfang Dezember wird es dann ernst.
Sie setzen ein Zeichen und zeigen, dass man aus der Komfortzone treten sollte, um Änderung zu bewirken. Was kann denn jede:r Einzelne tun, der oder die Ihrem Beispiel folgen möchte, um sich ebenfalls für eine fairere Gesellschaft einzusetzen?
Ich glaube daran, dass es wichtig ist, nicht still zu sein und nicht aufzuhören. Meine Eltern kommen aus einem Land mit einer komplett korrupten, barbarischen Regierung. Menschen gehen dort wegen politischer Aussagen ins Gefängnis, werden freigelassen, müssen dann wieder rein. Und das passiert tausende Male, bis sich etwas ändert. Aber es muss eben dafür gekämpft werden – egal, um welche Missstände es geht. Und es gibt viele davon. Auch hierzulande. Ich kann auch verstehen, dass Menschen mit ihren ganz eigenen Sorgen beschäftigt sind. Das ist menschlich. Und es ist für viele auch überfordernd, alle Probleme anzugehen, sich für alle und jeden stark zu machen. Aber ich finde es so wichtig, dass wenn man selbst in seinem Umfeld Unrecht sieht, seine Haltung dazu deutlich macht und auch etwas dazu sagt. Die Dinge brauchen Zeit. Sie brauchen Aufklärung. Aber auch Beharrlichkeit.
In den letzten Jahrzehnten ist im Kampf gegen Rassismus nach Ansicht Einiger nicht allzu viel passiert. Glauben Sie denn, dass wir in den kommenden Jahren tatsächlich Veränderung spüren werden?
Viele Menschen würden das naiv nennen, aber ich nenne das optimistisch: Ich glaube an die Menschheit. Ich glaube tatsächlich daran, dass wir als Menschheit eine Welt herstellen können, die in Harmonie funktioniert. Nur stecken wir noch in den Kinderschuhen. Wir sind noch zu langsam. Aber wir sind im Kollektiv zu so viel fähig. Zu so vielem, das oftmals unbegreiflich ist. Das einzig Problematische, das manchmal passiert: Wir werden müde und wir werden traurig und dann gucken wir weg. Aber dass wir es schaffen können, eine harmonische Erde herzustellen, ist keine Utopie, das ist purer Realismus.