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Medienkolumne

Die Medienkolumne zur BR-Intendantenwahl Angela Berlusconis Statthalter in München

Mit Ulrich Wilhelm wird ein getreuer Paladin der Kanzlerin Chef eines öffentlich-rechtlichen Senders. Ein ungeheuerlicher Schritt: Die Verflechtung von Politik und Medien erreicht eine neue Qualität.
Von Bernd Gäbler

An diesem Donnerstag geschieht in der bayerischen Landeshauptstadt München etwas Ungewöhnliches; etwas, das es bisher in der Geschichte der Bundesrepublik so nicht gab; etwas ohne Anstand, schamlos, ein Übergriff: der bisherige Sprecher der Bundesregierung Ulrich Wilhelm (CSU) wird übergangslos Intendant eines der größten öffentlich-rechtlichen Medienhäuser in Europa, des Bayerischen Rundfunks. Im zuständigen Gremium, dem Rundfunkrat des Senders, ist die Mehrheit längst gesichert. Der bisherige Amtsinhaber ist vorzeitig zurückgetreten, um diesen Wechsel möglich zu machen. Bis auf eine kleine Minderheit sind die Gremienmitglieder auch noch froh und stolz, eine so bedeutende Persönlichkeit gewonnen zu haben. Gute Kontakte zur Politik sollen dem Sender eine sichere Zukunft garantieren. Der demokratische Imperativ, so ein Sender habe "staatsfern" zu sein, steht zwar in der Verfassung, de facto wird er in dieser Woche aber Lügen gestraft.

Der nette Herr Wilhelm

Natürlich ist dieser Vorgang nicht illegal. Schließlich handelt es sich nicht um einen Putsch, sondern um eine Wahl. Es hat sich mit dem von den Grünen unterstützten Rudi Erhard sogar ein aussichtsloser Gegenkandidat gefunden, der die Illusion einer tatsächlichen Auswahl beglaubigt. An ihm ist nur interessant, wer sich aus Protest gegen die längst gefallene Entscheidung für Wilhelm zusammentut: es ist ein putziges Bündnis der Gremienvertreter von DGB und FDP entstanden. Außerdem - so beteuern es jedenfalls unisono die politischen Korrespondenten aus der Bundeshauptstadt - ist dieser Herr Wilhelm ja ein furchtbar netter Kerl. Stets verbindlich im Ton sei er, freundlich, kein Parteisoldat, kein Lügenbold, sogar gut aussehend. Aber was beweist das? Er könnte so sympathisch sein wie Pumuckl persönlich, an der strukturellen Entscheidung, dass der Sprecher der Regierung auf den obersten Stuhl einer Institution wechselt, die als "vierte Gewalt" der Regierung auf die Finger sehen soll, ändert das nichts.

Merkel misstraut bürgerlicher Tugend


Auch wenn man über die enge Verflechtung zwischen Politik und Medien nicht blauäugig hinweg sieht, ist dieser Schritt in dieser Form bisher einmalig und ungeheuerlich. Dem in Frankreich präsidial herrschenden Nicolas Sarkozy würde man ihn zutrauen, Silvio Berlusconi sowieso. Nun erweist sich Angela Merkel als gelehrige Schülerin dieser neuen Mediokraten. Gezielt bringt sie ihre Gefolgsleute in gesellschaftliche Schlüsselstellungen unter.

Zur Person

Bernd Gäbler, geboren 1953 in Velbert/Rheinland, ist Publizist und Dozent für Journalistik. Bis 1997 arbeitete er beim WDR (u.a. "ZAK"), beim Hessischen Rundfunk ("Dienstags - das starke Stück der Woche"), bei Vox ("Sports-TV"), bei Sat.1 ("Schreinemakers live", "No Sports"), beim ARD-Presseclub und in der Fernseh-Chefredaktion des Hessischen Rundfunks. Bis zur Einstellung des Magazins leitete er das Medienressort der "Woche". Von 2001 bis Ende 2004 fungierte er als Geschäftsführer des Adolf-Grimme-Instituts in Marl.

Lange Zeit gab es einen bürgerlichen Ehrenkodex, der solch plumpen Machtzugriff als banal verdammte. Wer eben noch Minister war, wechselt nicht flugs in Bundesverfassungsgericht. Umgekehrt kandidiert ein Verfassungsrichter nicht für das Amt des Regierenden Bürgermeisters. Für Ernst Benda oder Frau Leutheusser-Schnarrenberger galt das als eine selbstverständliche bürgerliche Tugend. Für die evangelische Pfarrerstochter ist das Schmus von gestern. Systematisch und rigoros besetzt sie Positionen, die zur Machtabsicherung wichtig sind, mit Leuten, auf die sie sich verlassen kann.

War es nicht schon immer so?

Man stelle sich einmal vor, Gerhard Schröder hätte seinen Regierungssprecher Bela Anda auch nur zum Leiter des NDR-Funkhauses in Hannover machen wollen. Oder Helmut Kohl hätte Johnny Klein zum BR-Intendanten promovieren wollen. Es hätte Aufstände gegeben. So wurde Bela Anda eben Sprecher von AWD und Helmut Kohls Medienberater Andreas Fritzenkötter musste beim stets schlecht beleumundeten Bauer-Verlag unterschlüpfen.

Einige Beobachter tun nun abgeklärt und sagen, solche Wechsel zwischen Medien und Politik habe es doch immer gegeben. Das stimmt aber nur zur Hälfte: Egon Bahr und Günter Gaus wurden nach ihrer journalistischen Karriere ehrbare Politiker; Klaus Bölling war 1973/74 zunächst Intendant von Radio Bremen und wurde daraufhin Regierungssprecher der sozialliberalen Koalition; Friedhelm Ost war zwölf Jahre lang in der Wirtschaftsredaktion des ZDF bevor er 1985 unter Helmut Kohl Staatssekretär und Chef des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung wurde. Nur der etwas weniger bekannte Knut Terjung wechselte munter hin und her: er war aber nicht Regierungssprecher, sondern Sprecher der SPD-Fraktion unter Herbert Wehner bevor er ZDF-Korrespondent in Athen, Wien und zuletzt Hamburg wurde.

Die gezielte Platzierung des bisherigen Regierungssprechers in eine öffentlich-rechtliche Schlüsselposition, in der Ulrich Wilhelm später dann auch turnusmäßig Sprecher der ARD wird, ist und bleibt einzigartig und dreist. Das großartige an Angela Merkels Taktik aber ist, dass es ihr gelingt, dies weitgehend ohne hörbaren öffentlichen Protest über die Bühne zu bringen. Sie hat die politische Öffentlichkeit sediert.

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