Das ZDF hat eine Idee. Ich fürchte, so wird das nichts. "Unverbrauchte Gesichter mit frischen Ideen" hat das ZDF gesucht, um "junge Menschen wieder verstärkt für Politik zu interessieren." Tatsächlich interessieren sich die "jungen Menschen" aber für Casting-Shows. Also kombiniert das ZDF nun beides. "Ich kann Kanzler" heißt das Resultat. Wir Zuschauer dürfen uns auf einen seltsamen TV-Hybrid gefasst machen: halb Politik, halb Unterhaltung. Zu gewinnen gibt es am Ende auch etwas: ein Kanzler-Monatsgehalt, das nach intensiver ZDF-Recherche 16.000 Euro brutto betragen soll, sowie ein Praktikum im Bundespresseamt.
Wir sind nur die Kandidaten
Genau danach, nach Bewerbern für ein Praktikum im Bundespresseamt, schauen die meisten Kandidaten leider auch tatsächlich aus - als ginge es ihnen vordringlich darum: endlich einmal reinzuschnuppern in die "richtige" Politik. Keine Utopie nirgends. Im Netz sind die vom ZDF aus 2500 Bewerber-Videos ausgesuchten letzten 40 Kandidaten zu besichtigen. Jörg Steinert lobt das Grundgesetz, während Alexander Heber davon überzeugt ist, dass der Staat noch mehr Lust machen müsse auf Arbeit: "So schaffen wir jede Krise." Ronny Thomale will das Konsumstreben durch "Wissenstreben" abgelöst sehen. Solch löbliches Streben glauben wir ihm.
Zur Person
Bernd Gäbler, geboren 1953 in Velbert/Rheinland, ist Publizist und Dozent für Journalistik. Er studierte Soziologie, Politologie, Geschichte und Pädagogik in Marburg. Bis 1997 arbeitete er beim WDR (u.a. "ZAK"), beim Hessischen Rundfunk ("Dienstags - das starke Stück der Woche"), bei Vox ("Sports-TV"), bei Sat1 ("Schreinemakers live", "No Sports"), beim ARD-Presseclub und in der Fernseh-Chefredaktion des Hessischen Rundfunks. Bis zur Einstellung des Magazins leitete er das Medienressort der "Woche". Von 2001 bis Ende 2004 fungierte er als Geschäftsführer des Adolf-Grimme-Instituts in Marl.
Elke Antonia Bergmann will nicht weniger als den Menschen "die Freude am Leben zurückgeben"; "Mein Deutschland ist unser Deutschland" trötet dagegen Marc Groß-Brandt. "Macht Kinder! Baut Schulen!", ruft Philip Kalisch, der aber auch schon Referent im Deutschen Bundestag ist. Originell wirkt allenfalls der sehr bajuwarisch daherkommende CSU-Jungmann Tobias Kurzmaier, der mit einem Franz-Josef-Strauß-Porträt posiert. Und wem Ralf Braun nacheifert, dessen Motto lautet: "Ich bin gut und das ist auch schwul so", ist offensichtlich. Letztlich verbindet alle Kandidaten eins: Sie sind nett und bis zum Anschlag konstruktiv, furchtbar bieder und kreuzbrav. Ihr "role-model", dem sie fleißig nacheifern, könnte Hubertus Heil heißen. Sie wollen werden wie die Politiker schon sind, nur besser, ehrlicher, "die Probleme beim Namen nennen." So viel Naivität ist fast schon anrührend, aber kaum der Stoff, aus dem eine bewegende Fernseh-Sendung werden kann.
Wo bleibt denn da das Negative?
"Aktivisten, nicht Meckerer", hat Steffen Seibert, Moderator der ZDF-Nachrichtensendung "heute", der am 19.Juni auch durch das Finale von "Ich kann Kanzler" führen wird, sich als Kandidaten gewünscht. Dieses Soll wurde übererfüllt. Vom helfenden Engagement der Kandidaten könnten gleich mehrere Themen-Wochen zum Ehrenamt bestritten werden. Alle sind so unendlich positiv drauf, dass die alte Frage an die Satire gut und gerne umgedreht werden könnte: wo bleibt denn hier das Negative? Keiner der Kandidaten hat in Heiligendamm vor dem Zaun gehockt, keine energische Frauenrechtlerin meldet sich zu Wort. Existenzielle Leidenschaft, Empörung, die den bodenturnerischen Pragmatismus verlässt - so etwas sucht man vergebens. Hier tun hingebungsvolle Messdiener der freiheitlich-demokratischen Grundordnung lediglich so als wollten sie den Mount Everest des Kanzleramts übend erklimmen, trauen sich aber nur in einen wohl sortierten Outdoor-Laden, der die bekannten Parolen und Bekenntnisse im Schaufenster stehen hat. So will das ZDF wohl jugendliches Engagement verstanden wissen. Alles andere - sagt der zuständige ZDF-Redakteur - seien allenfalls alt-linke Projektionen. Die Jugend sei genau so, wie das ZDF sie sich ausgesucht habe.
Ist noch etwas zu retten?
Wer das glaubt, will auch gar nichts mehr retten. Das ZDF hatte wohl Klamauk befürchtet und Zugriffe von rechts- und linksradikalen auf das Format. Das ist ausgeblieben, sogar die "Zeit" schrieb einen halbwegs wohlmeinenden Artikel. Hörbar atmen alle Zuständigen auf und ahnen noch nicht, dass ihr Versuch an Langeweile zu ersticken droht. Nach der Netz-Veröffentlichung ist eine TV-Sendung zu befürchten, die aussieht wie ein Rhetorik-Wettbewerb unter Schirmherrschaft Heinrich Lübkes oder eine Schulung des Politiker-Nachwuchses durch die Junge Union Buxtehude Süd. Da wendet man sich als Zuschauer lieber ab, lässt die Übenden gerne allein. Auch weil das ZDF so konsequent halbherzig operiert. Zwar ist die Form von gängigen Casting-Shows abgekupfert, der Auswahlprozess bis zur Endrunde aber findet im Verborgenen statt. Es gibt kein Voting, keine Aufrufe ans Publikum, aber eine Jury.
Wie Anke Engelke, Bremens Alt-Bürgermeister Henning Scherf und Günther Jauch dann testen und abstimmen, wird in einer sicherlich hübsch zusammen geschnittenen Dokumentation am 18. Juni um 21 Uhr gezeigt. Am Tag später dann folgt die einzige Live-Sendung. Wir fürchten: Das wird demokratischer Kommunions-Unterricht als Gähn-TV! Allenfalls kann Günther Jauch, der diesmal mit seiner erfahrenen TV-Produktionsgesellschaft "I+U" dem ZDF zur Hand geht, aus der Phrasen-Routine noch ein wenig Originalität und Spannung herauskitzeln.
Kanada - RTL - ZDF
Wenn das ZDF eine so gewagte Idee verfolgt, dann stammt sie natürlich doch aus anderer Quelle. "Canada's Next Great Prime Minister" hieß das Original und lebte stark von der knorrigen Konkurrenz dreier ehemaliger Regierungschefs, die dort die Jury bildeten. Dann kaufte der bei RTL stets nach populären Formen Ausschau haltende Chefredakteur Hans Mahr die Rechte. Bei RTL lagerten sie gut und lang. Erst als Peter Kloeppel die Chef-Funktion übernahm, verzichtete RTL endgültig auf dieses Format. Er wollte Politik und Unterhaltung trennen. Was bei RTL als ein "DSDS" der Politik geplant war, soll nun beim ZDF zu einem ernsthaften Versuch zu jugendaffiner Politik mutieren.
Zeigt, dass Ihr interessant seid!
Wer die Sendung vor dem bereits absehbaren Scheitern an Strebertum und Langeweile bewahren will, muss sie unterwandern. Nur durch subversive Aktion ist "Ich kann Kanzler!" noch zu retten. Wie wäre es mit: "Wir können Opposition"? Alle, die anderes wollen als im Meer der gängigen Polit-Phrasen zu plantschen, die ein Anliegen haben, eine Leidenschaft, die Politik verändern wollen, Utopisten, Feministen, Pazifisten - stellt Eure Videos ins Netz! Zeigt, dass Ihr interessant seid, bewegender als der vom ZDF ausgesuchte eifrige Polit-Nachwuchs! Setzt Euch mit den bisherigen Kandidaten auseinander! Sprengt die uniformen Medien-Gesetze der tradierten Politik! Macht aus dem, was das ZDF als "das politische Fernseh-Experiment dieses Jahres" anpreist, ein umfassenderes Medien-Ereignis. Nehmt die Sache selbst in die Hand!