US-Regisseur im Interview Woody Allen - Bekenntnisse eines Film-Touristen

"To Rome With Love" heißt der neue Film des Kultregisseurs. stern.de verrät der 76-Jährige, warum er in Italien drehte und nicht in Griechenland.

Mister Allen, in Ihrem neuen Film geht es auch um einen Mann, der nur unter der Dusche singen kann und deshalb in einer Duschkabine auf Opern-Tournee geht. Wie kommt man auf so etwas?
Eher zufällig. Beim Rasieren oder weil ich etwas in der Zeitung lese. Bei "To Rome With Love" kam ein italienischer Produzent auf mich zu und meinte: Drehen Sie doch mal bei uns, wir bezahlen. Und ich begann sofort mit dem Nachdenken: Habe ich eine gute Idee für Rom? Also habe ich mich zu Hause durch meine Notizen gewühlt.

Ihre Einfälle stehen alle schon in Notizbüchern?
Auf Papierschnipseln, Zeitungsausschnitten, Rechnungsquittungen, Streichholzbriefchen... Immer wenn ich etwas Interessantes sehe, lese oder höre, schreibe ich das auf und stecke es in meine Schlafzimmer-Kommode. Wenn es dann an einen neuen Film geht, kippe ich die Schublade auf mein Bett und gehe die Zettelsammlung durch. Manche Ideen finde ich immer noch gut, andere sind so dämlich, dass ich mich über mich selbst wundere.

Wenn Sie morgen einen Anruf aus Deutschland bekämen, hätten Sie schon eine Filmidee?
Klar. Und wenn in meinem Zettelhaufen nichts wäre, müsste ich eben ein paar Tage über Hamburg, München oder Berlin nachdenken. Was ich an den Städten mag, was ich schön finde. Dann hätte ich schon ein paar Ideen. Unabhängig von der Finanzierung muss ich eine gute Geschichte haben, die in dem jeweiligen Land funktioniert. Man will ja niemanden enttäuschen.

Für jemanden, der angeblich keine Flughäfen mag und keine Fahrstühle, waren Sie in letzter Zeit viel unterwegs: "Match Point" und "Scoop" in London, "Vicky Cristina Barcelona", "Midnight in Paris" und nun Italien.
Ich mache das vor allem wegen meiner Frau. Sie liebt Reisen, ich nicht. Aber ich will nicht, dass sie unter meinen Verrücktheiten leiden muss.

Wann drehen Sie in Athen?
Sie meinen, ich sollte die wegen der Euro-Krise unterstützen? Sagen wir es mal so: Bisher hat mich keiner angerufen. Wir suchen ständig nach neuen Geldgebern. Die anderen Länder haben mich eingeladen.

Spüren Sie die Krise eigentlich?
Die Leute reden ja über nichts anderes mehr. Bei jedem Abendessen, selbst daheim in New York. Eine tief greifende Rezession in Europa würde auch die USA hart treffen. Und falls Obama nicht wiedergewählt wird, wäre das für die ganze Welt schlecht. Er wird aber ganz bestimmt wiedergewählt!

Glauben Sie noch an Europa?
Ein vereinigtes Europa wäre großartig, aber das Konzept scheint mir nicht ausreichend durchdacht. Diese Länder haben 2000 Jahre Geschichte auf dem Buckel, keine gemeinsame Sprache und sind auch sonst sehr unterschiedlich. Griechenland beispielsweise hätte sich nie auf den Euro einlassen sollen. Ich bin nicht generell gegen Sparen, aber ich glaube, dass man hier mit Großzügigkeit viel besser fahren würde. Wenn die Leute mehr Geld haben, geben sie auch mehr aus. Getreu der ökonomischen Theorie von John Maynard Keynes.

Was ist für Sie typisch europäisch?
Ich war neulich in Paris, im Ritz, und habe vom Fenster aus beobachtet, wie eine sehr attraktive Frau aus dem Taxi stieg und über den Place Vendôme lief. Ich dachte, das wäre der ideale Anfang für einen Film: Ein Amerikaner allein in seiner Suite. Er beobachtet eine schöne Frau, die etwas fallen lässt. Er rennt auf die Straße und sucht nach ihr. Diese Kombination wirkte auf mich extrem europäisch.

Leben Sie anders, wenn Sie sich in Europa sind?
Ich bin ein leidenschaftlicher Spaziergänger. Meine Freunde wollen immer Museen und Kirchen besichtigen, ich würde am liebsten den ganzen Tag nur durch die Gegend schlendern. Die Läden anschauen, die Häuser, das Gewusel. Deswegen liebe ich Rom. Die Römer leben praktisch auf der Straße. Sie machen sich keine Sorgen, sie leben in den Tag hinein. Als ich da war, feierte der Präsident gerade Partys mit jungen Mädchen. Stockholm ist auch schön, aber da geht es viel ernsthafter zu.

Nervt es Sie, dass in Europa am Sonntag alle Geschäfte geschlossen sind?
Meine Frau mehr als mich. Mir ist schleierhaft, wie die Leute ihre Sonntage überleben. Als ich aufwuchs, war auch in New York noch alles zu am Sonntag. Die Kirche wollte das so. Erst später machten mehr und mehr Läden auf. Aber in Paris ist noch immer alles dicht.

In Deutschland auch. Man solle die Freizeit lieber mit der Familie verbringen, heißt es hier.
Aber die Familie will doch auch mal gemeinsam shoppen gehen!

Kann man einen Film über Rom drehen, ohne das Kolosseum zu zeigen?
Natürlich kann man das. Aber nicht, wenn man Amerikaner ist. Ein Römer, der meinen Film sieht, wird sich sicher mit Grausen abwenden: Oh Gott, nicht schon wieder! Verschont mich! Aber für ein amerikanisches Publikum musst du das Kolosseum zeigen. Genauso wie in Paris den Eiffelturm. Für Europäer mögen das Klischees sein, für Amerikaner sind das Ikonen.

Fühlen sich Ihre Dreharbeiten manchmal an wie Urlaub?
Auf jeden Fall. Ich filme in einer fremden Stadt, ich esse Mittag und Abend in einer fremden Stadt. Und am Wochenende schaue ich mir Sehenswürdigkeiten an. Wenn man in einer Stadt wie Rom, Paris oder Barcelona arbeiten darf, ist das einfach wunderbar.

Woody Allen, der Film-Tourist.
Ja, genau das bin ich: ein amerikanischer Tourist.

Woody Allen

Claudio Onorati/DPA Seit rund sieben Jahren ist der professionelle New Yorker ("Der Stadtneurotiker", "Midnight in Paris") auf Film-Städtetour durch Europa. Nach London, Barcelona und Paris ist er nun in Rom angekommen. "To Rome With Love" erzählt verschachtelt und locker von der Liebe und dem, was Menschen dafür halten. Macht also eigentlich genau das, was Allen seit fast fünf Jahrzehnten immer wieder vor und hinter die Kamera treibt.

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