Du, musste doch selber wissen, ob die kleine Penelope später lieber die Buntstifte frisst, anstatt mit ihnen zu malen." Hätte man auch sagen können. Stattdessen entschied ich mich für ein nonchalantes "ach, das muss jeder selbst entscheiden." Ich denke, das wird der schwangeren Bekannten geholfen haben, sich auch jetzt schon mal für ein Gläschen Alkohol zu entscheiden. Ist aber natürlich nicht die ehrliche Antwort. Wie so selten. "Niedlich" klingt ja auch deutlich charmanter als "legen Sie doch bitte ein Tuch über den Kleinen, solange ich da bin."
Wir diplomatisieren uns regelmäßig durch den Alltag und codieren die Sprache, um uns nicht allenaselang in lächerlichen Kleinkriegen zu verzetteln - dafür gibt es schließlich Kommentarspalten im Internet. Dass das bis in die obersten Ränge reicht, weiß man seit Klassikern wie "niemand hat die Absicht eine Mauer zu errichten" oder "Peer Steinbrück ist der beste Mann für den Job", spätestens aber seit dem verbalen Abschussknopf "ich habe vollstes Vertrauen in XY". Danach fährt die Kanzlerin mit XY für gewöhnlich in ein Maisfeld, woraufhin der die nächsten 35 Jahre seines Lebens nicht mehr gesehen wird.
Micky Beisenherz: Sorry, ich bin privat hier
Mein Name ist Micky Beisenherz. In Castrop-Rauxel bin ich Weltstar. Woanders muss ich alles selbst bezahlen. Ich bin ein multimedialer (Ein-)gemischtwarenladen. Autor (Extra3, Dschungelcamp), Moderator (ZDF, NDR, ProSieben, ntv), Podcast-Host ("Apokalypse und Filterkaffee"), Gelegenheitskarikaturist. Es gibt Dinge, die mir auffallen. Mich teilweise sogar aufregen. Und da ständig die Impulskontrolle klemmt, müssen sie wohl raus. Mein religiöses Symbol ist das Fadenkreuz. Die Rasierklinge ist mein Dancefloor. Und soeben juckt es wieder in den Füßen.
"Echt? Das ist mir gar nicht aufgefallen"
Hören Sie mal genau hin. Auch in sich selbst. Zeit, da mal mit dem Phrasenmäher drüber zu gehen. Allein schon Dinge zu sagen wie "Hm? Nee, alles gut. Mach doch. Klar." bedeutet nix anderes als "kauf dir die Scheißjacke gefälligst in einer anderen Farbe. Eigentlich sollte jemand wie du eh nicht mit meinen Klamotten rumlaufen dürfen." Ihr wisst ja, wie wir Metrosexuellen sind.
"Echt? Das ist mir gar nicht aufgefallen" – spätestens fünf Minuten wäre die Bombe geplatzt.
"Wichtig ist, dass DU dabei glücklich bist": Schlampe.
"Wäre mir auch passiert" – ganz klar: "Versager", und ein Satz wie "ey, bleib mal ruhig" hat in exakt 9.007.994 von 9.007.994 Fällen noch nie deeskalierend gewirkt. Im Gegenteil: Das bis dahin völlig gelassene Gegenüber droht innerhalb von Millisekunden auszuflippen.
Phrasen - wunderbar entlarvend.
Nach "also, um ehrlich zu sein..." kommt zumeist eine herzerfrischende Lüge. "Jau! Stimmt. Das müssen wir jetzt echt unbedingt mal machen!" ist nichts weiter als eine Kontaktvermeidungsverlängerung um weitere fünf Jahre. Genauso sind Menschen, die Sätze beginnen mit "ich bin ein Mensch, der..." umgehend an Ort und Stelle stehen zu lassen. Lässt doch schon der Einstieg auf die intellektuelle Flughöhe und Distanzlosigkeit zur eigenen Person irgendwo zwischen Lothar Matthäus und DSDS-Gewinner schließen. Solche Leute haben nur noch wenige Jahre, bevor sie beginnen, von sich in der dritten Person zu sprechen.
"Aber ich selbst hab mir nix vorzuwerfen."
Da wir eh gerade die Showbranche streifen: Beliebt bei Künstlern ist dieser Kniff, mit dem die Wahrheit wie ein rostiger Opel Ascona schamlos verbal überlackiert wird: "Ich mag ja diese intime Clubatmosphäre." Wird gerne gesagt von Performern, die vor kurzem noch in Arenen gespielt haben. Bevor die Fanschmelze einsetzte.
Ich genieße es immer sehr, wenn die üblichen, abgebrannten Soziopathen in Talkshows sitzen und sich mit "ich bin immer zu ehrlich gewesen" die letzte Ölung verpassen. Welchen Körperteil sie zuerst und dann sehr ausdauernd einschmieren, überlasse ich Ihrer Phantasie. Heißt "ich bin immer zu ehrlich gewesen" doch vor allem: "Als es gut lief, habe ich als selbstbesoffener Flammenwerfer alles und jeden wie Dreck behandelt und wundere mich jetzt, warum mein Handy heutzutage stiller ist als die Nächte in Osnabrück. Aber ich selbst hab mir nix vorzuwerfen." Nicht selten sind das dieselben, die 300-seitige Kneipenschlägereien als Autobiografien veröffentlichen, um in begleitenden Interviews freimütig zu bekennen: "Ich habe in meinem Leben ein paar Dinge getan, auf die ich nicht stolz bin." Was der Künstler eigentlich sagen will: "Nach dem dritten Bier erzähl ich dir mal ausführlich, wie ich den Typen von Seite 125 verrollt habe. War geil." Hab ich noch was vergessen? Ach, natürlich:
"Damian ist jetzt das Wichtigste."
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. Es ist meine bislang persönlichste Kolumne.*
*Auch für mich ist Wochenende. Schwer genug, sich da aufzuraffen.