Am schönsten Ort Hamburgs, der offenen Eislaufdisco in Planten un Blomen, mit der Tochter in der Sonne lachend über den kalten Boden zu gleiten – Gelebte Ignoranz? Kurzes Glück, ein Moment tiefer Demut gegenüber dem Frieden, den wir wie ein geerbtes Vermögen so selbstverständlich als Guthaben sicher glaubten.
Unlängst, ich spazierte gerade durch Berlin, bemerkte ich ein Phänomen, so ungewöhnlich, dass man es getrost gleich in den X-Aktenordner einheften möchte: Mehrere Fremde, denen ich entgegenkam: LÄCHELTEN. Sie lächelten mich an. Unweit des Alexanderplatzes. Da, wo menschliche Zuwendung für gewöhnlich bedeutet, mit Stichwunden Richtung Charité gefahren zu werden. Das Anlächeln ist in Deutschland, respektive seiner Hauptstadt, wo die verhärmt-verzagte Fresse bürgerliche Werkseinstellung ist, einigermaßen bemerkenswert. Und Ausweis eines tiefen Bedürfnisses nach Verständigung.
Da, wo ein Lächeln so selten ist wie ein Trottoir ohne Hundehaufen kapituliert der introvertierte Großstädter und zeigt ein offenes Gesicht in der hilflosen Sehnsucht nach freundlicher Korrespondenz. So weit sind wir schon. Das Zwitschern der Vögel. Die warme Frühlingssonne, die nun wahrlich keinen Tag zu früh gekommen ist. "Die Sonne lacht so schadenfroh, an Tagen wie diesen", bemerkte eine der weniger dummen deutschen Rap-Combos mal vor ein paar Jahren.
Mich erinnern diese Tage an den März vor zwei Jahren, als eine noch völlig unberechenbare Krankheit namens Corona uns in unserem Unbesiegbarkeitsnimbus erschütterte und so manches Stammcafé wie Beziehungen lebendig begraben sollte. Zwei Jahre Pandemie haben mich nicht so ermattet wie zwei Wochen Krieg.
Totale Hilflosigkeit
Klar, gegen Covid hilft zu Hause bleiben. Drückt der irre Zar im Kreml den roten Knopf, nutzt auch keine Impfung mehr. Und dieses irre geschmacklose zum-Zuschauen-verdammt-sein. Jetzt sitze ich wieder da. Auf dieser Bank am Rhein, stopfe Superfood in mich hinein und lese. Trivialliteratur. Substanzielles rutscht von meinem Teflonhirn, da weite Teile von der Nachrichtenlage korrumpiert sind. Pushmitteilungsphobie. Als fleißiger Kumpel im Bergwerk der Unterhaltung bemühe ich mich um größtmögliche Leichtigkeit bei gleichzeitiger Anerkennung der Sachlage.
Es gilt das, was im März 2020 schon richtig war: Wer jetzt nicht versucht, heiter zu sein, hat den Ernst der Lage nicht begriffen. Die Generation Meme produziert als humoristisches Entlüftungsventil mehr oder minder witzige Bilder, um der eigenen Hilflosigkeit etwas entgegenzusetzen. Ukrainische Bauern, die mit dem Trecker russische Panzer abschleppen, haha. Too soon? Gegenfrage: Ab wann ist Humor über Krieg denn genau angebracht?
Sind die Toten und Verletzten in, sagen wir mal, zwei Jahren weniger wert, sodass ein paar Pointen auf Basis des mittlerweile gewohnten Schreckens okay sind? Twitterfeed. Ein russischer Helikopter wird abgeschossen. Millisekunden des Triumphes. Haben wir da gerade die Siegerfaust geballt? Da sind gerade Menschen, die genauso unschuldig in diesen Krieg geraten sind.
"Warte mal ab. In ein paar Wochen haben wir für die Innenstadt keine Masken-, sondern Helmpflicht", spottet ein junger Typ am Rande unserer gemeinsamen Fußballrunde. Schulterzuckend glucksen. Diese wirklich absurden Dynamiken, die diese Tage bestimmen. Christian Lindner von der FDP (!) preist erneuerbare Energie als "Freiheitsenergie", die Grünen beklatschen die Aufstockung des Wehretats im Bundestag – und Putin eint den Westen. Während wir nebenbei auch noch die Forderung dieses irren Trump mit dem 2% NATO-Ziel erfüllen. Die normative Kraft des Faktischen.
Meuthen oder Schwesig, wie sie sich im rhetorischen Hütchenspiel winden, den tyrannischen Muff des Kriegsverbrechers wieder aus der Kleidung zu schütteln. Na, das ist doch irgendwie auch brüllkomisch, nicht. "Wenn der Schnee geschmolzen ist, siehst du, wo die Kacke liegt", sagte der große Philosoph Rudi Assauer dereinst. Er lag nie richtiger als jetzt.
Gerhard Schröder hat einen Termin beim Chef und seine Frau betet instagramgebeugt, den Kreml im Rücken. Warum sind wir eigentlich so böse auf sie? Ist sie uns in diesem Mount Everest des Narzissmus nicht sehr ähnlich, in ihrem plump-verzweifelten Versuch, gegenüber dem ganzen Wahnsinn online eine möglichst haltungsstarke Pose zu finden. Derweil steht der saarländische Ministerpräsident vor der einzigen Tankstelle des Saarlandes und beklagt sich, dass der Staat die Bürger beraubt, und du denkst dir: "Der arme Kerl. Der hat nicht nur Krieg, sondern auch noch Landtagswahl."
Zum Glück, bevor man sich vollends zum Deppen macht, springt einem meist Julian Reichelt als Aufmerksamkeitsblitzableiter zur Seite und fallingdownt an irgendeiner Shell Tanke noch heftiger herum. Tröstlich, dass die NATO nicht unmittelbar reagiert, wenn Reichelts Ex-Chef Döpfner in einer Art Regierungserklärung das unmittelbare Eingreifen in den Konflikt fordert. Was ganz nebenbei recht eindrücklich belegt, dass die jetzt schon legendäre "DDR Obrigkeitsstaats"-SMS am Stuckrad-Barre wohl mehr war als eine ironische Textnachricht unter ehemaligen Freunden. Wer sowas postuliert, hält sich offenbar für eine Art Staatenlenker.
Alle wollen Putin trockenlegen, keiner will teuer tanken
So wie sich die Desaster nicht perlenkettenartig aneinanderreihen, sondern einen Schichtsalat des Schreckens bilden, so sind auch wir in der Lage, Dinge parallel zu fühlen. Nicht einmal geordnet nach Relevanz. Das Schwein im Kreml soll leiden, by any means- aber muss die Pendelei so fucking teuer sein? Demos in allen großen Städten. In den Nachrichten sagen sie, dass es deutlich weniger Leute waren als die Woche zuvor. Putins Plus ist unsere Gewöhnung.
Meine sechsjährige Tochter fragt erstaunlich nüchtern von der Couch herüber: "Papi, in der Schule sagt eine, dass hier auch bald Krieg ist." Ich wiegle ab, erkläre, dass das so ja nun nicht ist. Und teile mit ihr die hilflose Sehnsucht nach einer Antwort. Nach jemandem, der uns versichern kann, dass alles gut wird. Hoffe, dass Prof. Carlo Masala bei Lanz diese Fragen doch bitte beantworten möge, weil ich eben auch keine Antwort darauf habe. Carlo Masala. Der Lauterbach des Krieges. Draußen. Diese ignorante Frühlingssonne, die auf der Lauffläche glänzt. Und wir alle lachend auf dünnem Eis.