Während der "Tatort" eine eher kathartische Funktion haben soll, sorgt die im Anschluss stattfindende "Anne Will" nicht selten dafür, dass der eben noch erfolgte Aggressionsabbau völlig vergebens war. Auch während der gestrigen Sendung konnte man nur fix und fertig sein. Oder rot sehen. Oder gleich ganz wegschauen. Im Internetforum klagten Zuschauer über "Waschweiber-Geschwätz", sprachen von einer "Chaosrunde" und immer wieder davon, dass die Diskussion "respektlos" sei und "peinlich". Was vor allem an der Art lag, wie die Gäste miteinander umgingen: schreiend, abwertend, auslachend. Und: Sie ließen sich gegenseitig kaum ausreden. Anne Will saß da als wüsste sie nicht, dass das ihre Sendung ist, und ließ dieser erbärmlichen "Debattenkultur" ihren freien Lauf. Einmal meinte sie nur: "Ich will gar nicht so streng sein." Gut, Frau Will, dann müssen Sie eben Seelsorgerin werden.
Am Ende: nichts Neues
Zum vorhersehbaren Thema "Wahl-Eklat in Thüringen – welche Konsequenzen hat der Tabubruch?" saßen in der Runde, alphabetisch geordnet: Peter Altmaier (CDU), Bundesminister für Wirtschaft und Energie, Melanie Amann, Leiterin des "Spiegel"-Hauptstadtbüros, Wolfgang Kubicki (FDP) Bundestagsvizepräsident und stellvertretender Bundesvorsitzender, Kevin Kühnert (SPD), stellvertretender Parteivorsitzender und Bundesvorsitzender der Jusos, Sahra Wagenknecht (Die Linke), Mitglied im Bundestag und Alice Weidel (AfD), Fraktionsvorsitzende im Bundestag.
"Vielen zuhause ist schwindelig", mutmaßte Kevin Kühnert in den Schlussminuten. Und Anne Will schloss im Hinblick auf "Sabine" mit den Worten: "Fenster zu, Türen zu, bloß zuhause bleiben." Kein Wunder, wenn man die Zuschauer für unmündig hält. Für TV-Idioten, die sich jeden Talk-Mist vorsetzen lassen. Lassen Sie sich aber nicht. Wie erwähnt tobte es im Internetforum zur Sendung. Und was wissen wir nach all diesem undisziplinierten Kreuz und Quer? Nichts Neues. Und Frau Weidel ist außerdem noch die Antwort schuldig, wie sie zu Herrn Höcke steht. Obwohl: Muss ausgesprochen werden, was offensichtlich schien? In einem unerklärlich wachen Moment insistierte Will, dass die AfD-Politikerin in Bezug auf Höcke Stellung nehmen solle. Weidel, die einst auf den Ausschluss von Höcke gedrängt hatte, protestierte nämlich: "Frau Wagenknecht hat ihn einen Nazi genannt, das muss man sich mal vorstellen." Will erinnerte an eine gerichtliche Entscheidung: "Man darf ihn als Faschisten bezeichnen, da kommen Sie nicht dran vorbei, wir dürfen ihn so nennen." Weidel kommentierte nur mit "unglaublich". Irgendwann dann ihre Klage: "Warum schreien alle so?" Woraufhin Will ihr vorwarf: "Dafür lachen Sie, Frau Weidel."
Altmaier und seine Connections ins Reich der Toten
Wo war man denn nur hineingeraten? Neuwahlen-Plädierer Peter Altmaier, der von der Verpflichtung sprach "mit dem Tricksen aufzuhören" (es wurde getrickst?), schien denn auch ein zweifelhaftes Verhältnis zu seinem Gehirn zu haben. Mal behauptete er, neulich mit Westerwelle telefoniert zu haben. Immerhin: Connections zum Totenreich. Dann zitierte er das unsägliche Schiss-Zitat und ordnete es dem falschen Insekt zu. Heraus kam: "Mückenschiss". Später meinte er zu Kühnert: "Wenn Sie sagen, die AfD ist ermächtigt worden, spielen Sie auf das Ermächtigungsgesetz unter Hitler an, wo Teile meiner Partei, leider Gottes, anders als Ihre Partei, für Adolf Hitler und sein Ermächtigungsgesetz gestimmt haben. Das war eine Katastrophe." Kubicki korrigierte schnell: "Da gab es die CDU noch gar nicht." Und als Sahra Wagenknecht – die gemeinsam mit Melanie Amann zu den einzigen klaren Köpfen in der Runde zählte – meinte, der Erfolg der AfD sei "ein einziger Protest gegen die Politik der letzten Jahre", erwiderte der CDU-Politiker: "Ein wunderbarer Werbeblock für die AfD." Moment mal, wer wirbt denn bitte hier für wen? "Wenn Sie wirklich die Hoffnung haben, dass Sie durch die Debatte die AfD schwächen, dann haben Sie nichts kapiert", so Wagenknecht. Für die Einladung zur Selbstreflexion war Altmaier erschreckend blind oder vielleicht telefonierte er gerade wieder mit Westerwelle.
Müsste man nicht endlich mal eigene Versäumnisse eingestehen? Hallo, aufwachen. Wie konnte es denn zu diesem Erstarken der AfD kommen? Eine dringende Frage, die Will übrigens nie stellte. Amann versuchte es ebenso mit einem Appell an die etablierten Parteien. Es sei verstörend, dass alle übereinander herfallen würden: ein "Blamegame". Wenn sich die gemäßigten Parteien in die Haare kriegen würden, sei das der größte Erfolg für die AfD. Dabei gehe es doch nun darum, wie man die Leute zur Wahl motivieren könne. Harte Kritik übte die Journalistin an AKK. Die würde gerade an einem Steigbügel von einem Pferd hinterhergezogen. Fehlende Durchsetzungskraft. So auch bei Frau Merkel. Gut, dass es unter all den "Candles in the wind" wenigstens den Herrn Kubicki gibt, der sich in der Talkrunde brüstete: "Ich bin im Mentalen stärker als Thomas Kemmerich." Und: "Ich hätte gesagt, ich kann unter diesen Umständen diese Wahl nicht annehmen." Warum er ihm dann zu einem "großartigen Erfolg" gratuliert habe? Wollte Kühnert wissen. Denn: "Das geht gar nicht." Kubicki fand: "Das geht." Denn: "Der Bischof von Erfurt hat auch gratuliert". Alice Weidel lachte. Peter Altmaier redete dazwischen. Anne Will saß da.
Und nun? Wohin wollen die Parteien? Was sind die Inhalte? Und was die Konsequenzen aus der Wahl in Thüringen? Um noch mal aus Anne Wills Aphorismen-Kiste zu zitieren: "Fenster zu, Türen zu bloß zuhause bleiben." Und, so heißt es laut einer alten indianischen Weisheit: "Fernseher zertrümmern."