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"Hart aber fair" Das Erstaunliche an diesem Corona-Talk: Es gibt immer noch Erkenntnisgewinn

Hart aber fair
Ungewohnte Optik: Aufgrund des Coronavirus hatte Gastgeber Frank Plasberg (r.) seine Gäste Jonas Schmidt-Chanisit, Peter Altmaier und Ulrike Scheuermann (v.l.) weit auseinandergesetzt. An einem zweiten Pult, hier nicht im Bild, saßen noch Anja Kohl und Frank Bräutigam
© WDR/Oliver Ziebe
Corona, was sonst? Das Thema bei Frank Plasberg stellt sich in diesen Zeiten selber auf. Erstaunlich nach einer unglaublichen Corona-Woche: Es gibt immer noch Erkenntnisgewinn, obwohl doch schon alles gesagt schien. Und am Ende macht Peter Altmaier sogar ein handfestes Versprechen.

Mit Talkshows ist das ja so eine Sache: Wenn sie unterhaltsam sein wollen, braucht es eine Kontroverse, den Disput, Meinungen, die hart und lautstark aufeinanderprallen. Das Problem an solcher Art von Sendungen: Man weiß am Ende zwar, wer am lautesten geschrien, am enervierendsten ins Wort gefallen ist – aber der Erkenntnisgewinn am Ende der 60 oder 90 Minuten hält sich meist in engen Grenzen.

Andersherum gibt es Runden, die plätschern so vor sich hin. Man tauscht Wattebäuschchen aus, drückt sich um jede klare Aussage und vor lauter freundschaftlichem Geplauder hat man am Ende der Sendung das Thema vom Anfang vergessen.

Die gute Nachricht zur Plasberg-Runde vom Montagabend: Sie ist keins von beiden. Sondern einfach ein ordentliches Stück öffentlich-rechtliches Fernsehen, wo die ARD ihrem Auftrag nachgekommen ist – nämlich den Zuschauer in die Lage versetzen, sich zu einem komplexen Thema eine Meinung zu bilden.

"Die Corona-Krise – wo stehen wir, was kommt noch?" Der Titel gibt den Takt für die Sendung vor: keine Wortgirlanden, keine unnötigen Sperenzchen. Informationen, so gut und so verlässlich wie in diesen Tagen möglich, hatten sich Plasberg und sein Team für dieses "Hart aber fair extra" vorgenommen. Extra übrigens deshalb, weil vor der eigentlichen Diskussion noch eine 30-minütige Reportage über die Corona-Situation in Deutschland und den Nachbarländern gezeigt wird.

Und es sind diese 30 Minuten, die das Fundament für das kommende Gespräch legen: Der Sterne-Koch aus Heinsberg, ein Corona-Internierter im Wohnmobil, die Oberärztin mit Kindern, der gehetzte NRW-Gesundheitsminister – sie und alle weiteren Beteiligten formen ein eindrückliches Mosaik, was dieses Virus gerade mit den Menschen in diesem Land anrichtet. Familie, Arbeitsplatz, Gesundheit, berufliche Existenz, Grundrechte – Corona wirft alles über den Haufen. Und in der TV-Debatte hinterher geht es plötzlich nicht mehr ums Rechthaben, sondern ums Verstehen, ums Erklären - auch ums Mutmachen.

Die Gäste im Studio

Professor Jonas Schmidt-Chanasit, Virologe am Institut für Tropenmedizin der Uni Hamburg

Peter Altmaier (CDU), Bundeswirtschaftsminister

Anja Kohl, ARD-Börsenexpertin

Ulrike Scheuermann, Diplom-Psychologin, Krisenberaterin und Sachbuchautorin

Frank Bräutigam, ARD-Rechtsexperte

Bernd Niemeier, Hotelier und Dehoga-Präsident in NRW

"Wir können die Krise bewältigen, wenn wir körperlich Abstand halten, aber als Gesellschaft im Geist zusammenstehen", lautet das Schlusswort der Einstiegsreportage. Und diesem Aufruf zur Solidarität, das deuten die ersten Statements an, fühlen sich alle Diskutanten verpflichtet. Sachlich, besonnen, ohne dabei den Ernst der Lage zu beschönigen. Wir stehen erst am Anfang, machen Altmaier und Virologe Schmidt-Chanasit unmissverständlich klar. Die Zahl der Infizierten und der Opfer würden weiter nach oben schnellen. Ob die Maßnahmen der letzten beiden Tage Wirkung zeigen, das würden wir erst in 10 oder 14 Tagen sehen. Und ja, so Altmaier: "Wir haben zu Anfang alle das Ganze etwas unterschätzt." Auf fünf bis sechs Wochen dieser Ausnahmesituation müssten wir uns schon einrichten, so der Wirtschaftsminister.

Andererseits: Es gibt auch keinen Grund zur Panik. Natürlich mache so ein Virus zunächst einmal Angst, so die Psychologin Ulrike Scheuermann. "Man kann es nicht sehen, man kann es nicht hören." Das habe zu dem Phänomen der anfänglichen Verdrängung und Verharmlosung geführt. Die gute Nachricht: Sobald die Angst abgeflaut sei, werde die Solidarität zunehmen. Denn, so Scheuermann: "Der Mensch hilft gerne. Die Hilfsbereitschaft wird zunehmen. Wir kommen in einen Hilfemodus hinein."

Rausgehen ist nicht per se ein Risiko

Auch der Virologe hat eine gute Botschaft in petto: Rausgehen ist nicht per se ein Risiko. Schmidt-Chanisit: "Man kann sich ohne Probleme im öffentlichen Raum bewegen, solange man sich an die Maßnahmen hält." Auch Bus- und Bahnfahren seien kein Problem, die Angst vor einer Infektion durch kontaminierte Oberflächen nicht notwendig. Dort halte sich das Virus nur einige Minuten bis allenfalls ein paar Stunden.

Und was ist mit der Wirtschaft? Mit den vielen kleinen Firmen, die womöglich wegen Corona in den Abgrund stürzen? "Kein Unternehmen muss schließen wegen der Corona-Krise", verspricht Wirtschaftsminister Peter Altmaier.

Überhaupt Altmaier. Der CDU-Politiker gibt mit zunehmender Gesprächsdauer immer mehr den Erklärbär, mischt sich in Themenbereiche ein, zu denen er qua Amt eigentlich gar nichts beizutragen hat. Und so erfährt man, dass Altmaier zwar ein "Freund des festen Händedrucks" ist, es ihm aber keine Mühe bereitet habe, seine Angewohnheit binnen ein, zwei Tagen umzustellen. Auch in Sachen Umgang mit Infizierten formuliert der Minister gewohnt griffig: "Niemand muss sich schämen, dass er sich infiziert hat … Wer positiv ist, ist kein Outlaw."

Aber der Minister hat auch echte News im Gepäck. So verspricht er Eltern, die in der aktuellen Situation keine Betreuung für ihre Kinder organisieren können und Angst vor Jobverlust haben, ganz konkrete Hilfen. "Da arbeiten wir dran, zusammen mit Arbeitsminister Hubertus Heil. Ich denke, bis Ende der Woche werden wir da eine Lösung haben." Und auch bei dem von Hotelier Niemeier ins Spiel gebrachten Härtefallfonds für kleine und mittelständische Unternehmen, die trotz Kreditzusagen und Steuerstundungen ums nackte Überleben kämpfen, deutet Altmaier an, dass er sich da etwas vorstellen kann: "Wir müssen helfen, egal ob das eine Milliarde mehr oder weniger kostet."

"Not too little, not too late"

Das würde vermutlich auch Anja Kohl unterschreiben. Doch wo Altmaier an den Würstchenverkäufer vor dem BVB-Stadion denkt, begibt sich die Börsenexpertin der ARD auf das unbequeme Terrain von Rezession, fallenden Kursen und Weltwirtschaftskrise. Folgen den Worten der Bundesregierung auch Taten, fragt sich Kohl? Ist man in Berlin wirklich bereit, für die Folgen von Corona ganz konkret Geld auszugeben, was man womöglich niemals wiedersieht? "Not too little, not too late", warnt Kohl vor zu viel ruhiger Hand. Nicht zu wenig, und nicht zu spät, das sei die Maxime für entschlossenes Regierungshandeln in diesen Tagen.

Zu wenig? Zu viel? Binnen fünf Tagen gab es mit Maybrit Illner, Anne Will und jetzt "Hart aber fair" drei Corona-Talks bei ARD und ZDF. Dass man am Ende der 120 besonnenen Plasberg-Minuten als Zuschauer ein wenig coronamüde war, hatte vielleicht auch mit diesem Talk-Dreiklang zu tun.

Die stärksten Aussagen des Abends

Schmidt-Chanasit: "Wir sind erst am Anfang. Die Bevölkerung muss sich einstellen auf Wochen der Entbehrungen und des Kampfes."

Altmaier: "Wir haben alle zusammen zu Anfang das Ganze etwas unterschätzt. Es wäre verantwortungslos zu sagen, in 14 Tagen ist der Spuk vorbei"

Kohl: "Die Angst ist noch nicht am höchsten Punkt angekommen, das spricht weiter für fallende Kurse."

Bräutigam: "Man muss auch mal ein Auge zudrücken, sonst funktioniert vieles nicht. Auch das Recht hat nicht die ganz einfachen Antworten für jede Situation."

Scheuermann: "Der Mensch hilft gerne. Sobald die Angst abflaut, wird die Solidarität zunehmen."

Niemeier: "Unsere Branche ist von einem Tsunami überrannt worden. Angst ist an der Tagesordnung."

Fazit der Sendung:

Es geht doch: Reden. Zuhören. Auf Fragen antworten. Zugeben, wenn man etwas nicht weiß. Zum Glück war dieser Abend bei Plasberg kein Hauen und Stechen, sondern einfach nur ein Austausch von Gedanken und Argumenten. Wer diese 120 Minuten vorm Bildschirm verbracht hat, hat sich mit Information und Nachdenklichkeit für die Corona-Herausforderungen der kommenden Tage und Wochen gewappnet. Was sagte Anja Kohl noch auf die Abschlussfrage eines Zuschauers, der wissen wollte, wie wir in dieser Krise noch Mensch bleiben: "Wir werden uns noch oft irren. Und das muss auch legitim bleiben. Was wir nicht brauchen sind Besserwisser und Schuldzuweisungen."

Die gab's bei Plasberg diesmal nicht – und das war ganz gut so.

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