"Vom Frühling, den wir damit verbracht haben, Saddam Hussein irgendwie mit dem 11. September in Verbindung zu bringen, über die Sommer mit zynisch manipulierten Geheimdienstberichten, durch Herbste des falschen Patriotismus zu den Wintern des Krieges - mehr als vier Jahre lang haben wir nun seitens der Regierung jeden billigen Trick und jeden Grad des kalkulierten Zynismus erlebt..." so spricht ein Fernseh-Mann seine Kommentare.
Am liebsten setzt er sich kraftvoll mit den Repräsentanten der Bush-Regierung auseinander und zerlegt Schritt für Schritt deren Argumente und Analogien. Er gräbt in der stolzen Geschichte Amerikas, zieht Vergleiche zu Franklin D. Roosevelt oder Dwight D. Eisenhower und lässt die verantwortlichen Politiker der Gegenwart klein, trickreich, billig und zynisch aussehen. Er selber ist gebildet, seine Argumente sind historisch fundiert und er pflegt die Kunst der Zuspitzung: der MSNBC-Host Keith Olbermann. Er moderiert die Sendung "Countdown with Keith Olbermann".
Zur Person
Bernd Gäbler, geboren 1953 in Velbert/Rheinland, ist Publizist und Dozent für Journalistik. Er studierte Soziologie, Politologie, Geschichte und Pädagogik in Marburg. Bis 1997 arbeitete er beim WDR (u.a. "ZAK"), beim Hessischen Rundfunk ("Dienstags - das starke Stück der Woche"), bei VOX ("Sports-TV"), bei SAT.1 ("Schreinemakers live", "No Sports"), beim ARD-Presseclub und in der Fernseh-Chefredaktion des Hessischen Rundfunks. Bis zur Einstellung des Magazins leitete er das Medienressort der "Woche". Von 2001 bis Ende 2004 fungierte er als Geschäftsführer des Adolf-Grimme-Instituts in Marl.
Besonders sehenswert sind seine "spezial comments". Auf allen möglichen Internet-Kanälen sind sie abrufbar. "Olbermann roasts Rice" - seine bereits am 27. Februar ausgestrahlte Auseinandersetzung mit der von Condoleezza Rice gezogenen Parallele zwischen Irak-Krieg und der Anti-Hitler-Front gehört auch auf Youtube zu den Favoriten.
Wer ist Keith Olbermann?
Nicht allein das eigene Können, auch politische Umstände können einzelne Journalisten plötzlich ins Rampenlicht spülen. Das geschieht mit Keith Olbermann. Lange Zeit konnte er als eigensinniger, ja störrischer Provinz-Kommentator durchgehen, der sich in Positionsgefechten und Verbalinjurien mit dem Anchorman und konservativen Kommentator des Fernsehsenders Fox, Bill O'Reilly, aufreibt.
Im März 2006 verkündete er, dass er nun nicht länger mit O'Reilly spielen werde, da er einen dickeren Fisch an der Angel habe. Von da an verschärfte er seine direkte Kritik an der Regierung Bush. Jetzt artikuliert er - eloquent und aktuell wie kaum ein anderer - die Kriegsmüdigkeit des demokratischen Amerika und profiliert MSNBC so erst recht zur Alternative zum Fox-Informationsprogramm. Seinen Vertrag mit MSNBC hat er soeben bis zum Jahr 2011 verlängert.
Olbermann artikuliert eine Stimmung
Nach allem, was man hört, muss Keith Olbermann nicht unbedingt ein netter Mensch sein. Er ist schon ausfallend geworden, hat vor seinem Lieblingsgegner mit ironischem Hitler-Gruß salutiert, seine Wende zum Nicht-Rauchen eitel medial inszeniert. Man spürt es, wenn er mit seinem historischen Wissen spielt und nur zu gerne darauf hinweist, wie ungebildet seine Kontrahenten sind. Aber Olbermann ist zurzeit deswegen so interessant, weil er nicht einfach Krawall schlägt, sondern einer sich ausbreitenden Stimmung Argumente liefert. Sie wird so rationaler, substantieller.
Er gilt als parteilich und links, obwohl er selbst stets betont, er sei nur und in erster Linie Amerikaner. Er ist ein Baseball-Narr und war in den neunziger Jahren lange Zeit einer der zentralen Moderatoren des Sport-Senders ESPN. Er hat über Jahre Radio-Erfahrungen gesammelt, war bei CNN, war schon einmal bei MSNBC, bis ihn die Dominanz der Lewinsky-Berichterstattung frustrierte und er stattdessen für das angesehene salon.com eine wöchentliche Kolumne schrieb. Jetzt zeigt er, wie sehr die USA in einem Meinungskampf stehen. Er pflegt einen Journalismus, der auch die Politik wieder interessanter macht.
Kommentare gegen die Lauheit
Man muss nicht jeden Kommentar von Olbermann gut finden. An manchen Tagen beschäftigt er sich auch allzu sehr mit innenpolitischen Spezialitäten, die uns fern sind. Aber seine Methode ist interessant. Angeblich ist ja das deutsche Fernsehen so toll und das amerikanische blöd. Aber hierzulande gibt es so kraftvolle Kommentare nur gedruckt oder im Internet. Welch laue Langeweile, welch armselige Ausgewogenheit, welch staatstragende Sorgenprosa dominiert bei uns dagegen Tag für Tag die "Tagesthemen". Das quotengeile Fernsehen hat sich von jeder Polarisierung verabschiedet. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen beklagt zwar die Entpolitisierung in Zeiten der Großen Koalition, aber traut sich selber nichts zu. Zu viele schwimmen mit, achten auf Proporz, scheuen Konfrontationen. Keith Olbermann zeigt, wie es gehen könnte.