Frau Hollunder, es gibt zahlreiche Ratgeber übers Kinderkriegen. Warum haben Sie jetzt ein Buch über Ihre Schwangerschaft geschrieben?
Wenn man einen Geburtsvorbereitungskurs besucht, erfährt man ja nur wie es theoretisch sein sollte. Emotional kann einen niemand darauf vorbereiten, auch nicht auf die Zeit nach der Geburt. Das Leben verändert sich von heute auf morgen auf so vielen Ebenen: mental, emotional, seelisch, physisch. Ich war verunsichert, obwohl ja etwas ganz Tolles passiert, du bekommst ein Baby. Es gibt Frauen, die damit super klarkommen, aber mich hat es voll erwischt. Ich hätte mir während meiner Schwangerschaft ein Buch gewünscht, in dem mir eine Mutter all das ehrlich schildert, was sie erlebt hat. Das habe ich nun mit meinem Buch versucht.
Das klingt, als hätten Ihnen Schwangerschaft und Geburt zu schaffen gemacht.
Ich hatte eine super Schwangerschaft und habe mich nicht verrückt gemacht. Aber nach der Geburt habe ich sehr viele Kämpfe ausgetragen. Kämpfe mit mir selbst, mit meinem Mann, mit meinem Kind. Das hätte ich vorher niemals gedacht.
Wie sahen diese Kämpfe aus?
Es wird einem ja immer suggeriert, das Wochenbett sei die gemütliche Kennenlernzeit, die Kuschelzeit, zusammen ankommen, sich einspielen. Für mich war das echt ein Graus, weil so vieles nicht funktioniert hat. Das Stillen hat nicht funktioniert, meine Blase hat nicht funktioniert. Viele äußere Faktoren, auf die ich nicht wirklich Einfluss nehmen konnte. Dadurch bin ich emotional in ein Loch gefallen. Ich weiß nicht, ob es eine richtige Depression war, aber in den ersten vier Wochen habe ich nur geheult. Ich dachte eigentlich, mit der Geburt sei das Krasseste erledigt.
Wie hat Ihr Mann darauf reagiert?
Das als Paar zu erleben war eine Herausforderung. Er hat zwar verstanden, was in mir vorgeht, trotzdem ist auch er an seine Grenzen gekommen. Wir waren beide überlastet und total übermüdet.
"Schwanger! Im Zentrum meines Universums wird's eng"
208 Seiten
16,99 Euro
Gräfe und Unzer
Sie haben sich beide sehr gewünscht, ein Kind zu bekommen. Im Buch schildern Sie ehrlich, dass es nicht einfach war, schwanger zu werden.
Wir haben 2016 standesamtlich in Hamburg geheiratet und im Sommer 2017 noch eine freie Trauung in der Toskana gemacht. Am Tag der Hochzeit in Italien habe ich meine letzte Pille genommen. Der Plan war, dass wir es super entspannt einfach passieren lassen. Aber dann passierte zweieinhalb Jahre lang einfach gar nichts.
Wie hat Ihr privates Umfeld darauf reagiert?
Wir waren mit die letzten im Freundeskreis und in der Familie, die noch kein Kind hatten. Es baute sich super schnell Druck auf, alle haben immer nachgefragt, das war schon belastend. Aber irgendwann hat sich das ins Gegenteil verkehrt und keiner hat mehr gefragt, weil alle dachten, 'Okay, bei denen klappt es eben nicht.' Das war auch unschön und hat Freunde mit Kindern richtig von mir distanziert, weil sie meinten, sie müssten mich schonen. Meine Freundinnen wurden schwanger oder hatten gerade Kinder bekommen und ich konnte an deren Glück nicht teilhaben. Dieses blöde Thema hat mich richtig isoliert.
Kam der Druck eher von außen oder haben Sie sich als Paar Druck gemacht?
Wir haben uns massiv Druck gemacht und auch so eine Trauer gespürt. Du trauerst um jemanden, der noch gar nicht existiert. Für mich wäre es besser gewesen, wenn mir jemand endgültig gesagt hätte: Es klappt gar nicht, du kannst das Thema abhaken. Diese Unsicherheit und dieses in der Luft hängen – das war so fies. Erst seitdem verstehe ich Menschen, die diese Erfahrungen gemacht haben oder noch viel mehr in Kauf nehmen mussten, um ein Baby zu bekommen. Das ist extrem belastend.
Hat Ihre Ehe unter der Situation gelitten?
Ja. Irgendwann fing es an, total auf unsere Beziehung zu schlagen. Wir waren beide nervlich so belastet, dass wir uns wegen jeder Kleinigkeit gestritten haben. Ich hatte zeitweise Angst, dass wir als Paar daran scheitern. Es war nur noch eine elende Schwere, wir hatten unsere Leichtigkeit verloren. Wir haben dann entschieden, erstmal zu warten und es nicht weiter zu versuchen. Nach zweieinhalb Jahren hat es dann ja geklappt. Sonst hätten wir auch über künstliche Befruchtung nachgedacht.

Was sagt Ihr Mann René zu dem Buch?
Bei einzelnen Passagen, in denen ich über ihn schreibe, habe ich ihn vorher gefragt. Aber das ganze Buch hat er noch nicht gelesen. Auch meine Familie und meine Freunde kennen es bisher nicht. Ich dachte, wenn ich es ihnen während des Schreibprozesses zeige, dann verunsichert mich das nur. Deshalb bin ich sehr gespannt auf ihre Reaktionen.
Nach all den Erfahrungen: Wünschen Sie sich ein zweites Kind?
Diese Frage bekomme ich oft gestellt. Seitdem alles etwas entspannter läuft, kann ich mir das sehr gut vorstellen. Ich habe selbst drei Schwestern, sie sind meine Konstanten im Leben. Für meinen Sohn wäre ein Geschwisterchen schön. Aber ich denke, wir können noch etwas warten. Die Seele und der Körper müssen noch etwas heilen. Wir haben schon krasse Erfahrungen gemacht. Die zweieinhalb Jahre Warten haben mir ein kleines Trauma verpasst und das Wochenbett war auch echt ätzend.