Argentinien ist bei werdenden Eltern aus Russland beliebt. Laut dem "Guardian" reisten hunderte russische Frauen im vergangenen Jahr in die argentinische Hauptstadt Buenos Aires, um dort ihr Kind auf die Welt zu bringen. Die Neugeborenen erhalten automatisch die argentinische Staatsangehörigkeit. Die Eltern erhoffen sich davon neue, bessere Perspektiven als in ihrer Heimat.
Ein Visum brauchen die Schwangeren aus Russland für die Einreise nach Argentinien nicht. Und der Trend dürfte anhalten. Der "Guardian" zitiert Georgy Polin von der Russischen Botschaft in Argentinien, der schätzt, dass zwischen 2000 und 2500 Russen im vergangenen Jahr in das südamerikanische Land zogen. Viele davon Frauen, die planten, hier ihr Kind zur Welt zu bringen. 2023 könnte diese Zahl auf 10.000 ansteigen.
Der "Guardian" schreibt von einem Boom des "Geburtstourismus" in Argentinien. An genaue Zahlen zu kommen, sei jedoch schwierig. "Geburtstourismus" beschreibt die Reise in ein anderes Land, um ein Kind zur Welt zu bringen – mit der dortigen Staatsangehörigkeit. Möglich ist das in Ländern mit Geburtsortsprinzip wie etwa in Argentinien. Welche Staatsbürgerschaft die Eltern haben, spielt keine Rolle. Hat ein Kind dann die argentinische Staatsbürgerschaft, vereinfacht sich auch der Prozess für die Eltern, sich um eine solche zu bewerben. Teilweise dauert das dann nicht einmal mehr zwei Jahre.
Der Pass aus Argentinien als Ticket in die Freiheit
Hinter dem "Geburtstourismus" verbirgt sich auch ein Geschäft: Agenturen organisieren für teilweise mehrere tausend Euro Reisedokumente, Unterkünfte und Krankenhausaufenthalte in Argentinien für schwangere Russinnen. Eva Pekurova, die Leiterin einer dieser Agenturen, die im vergangenen Jahr selbst ein Kind in Buenos Aires zur Welt brachte, sagte dem "Guardian": "Jeder sucht nach Auswegen aus der derzeitigen Situation in Russland. Indem ich meinem Kind einen argentinischen Pass gebe, schenke ich ihm Freiheit." Neben den Privilegien eines argentinischen Passes entschieden sich ihre Klienten auch wegen "der hohen Qualität des Gesundheitssektors" für Buenos Aires.
Russische Staatsangehörige brauchen kein Visum für Argentinien
Ein bekanntes Beispiel für das Geburtsortsprinzip sind die USA. Hier ist das Thema seit Jahren ein Politikum. Unter Ex-Präsident Donald Trump erklärte die US-Regierung, es habe sich eine kriminelle "Geburtstourismus-Industrie" entwickelt. Anfang 2020 erließ das US-Außenministerium eine Neuregelung, laut der schwangere Frauen kein Visum mehr bekommen, wenn der mutmaßliche Zweck der Reise ist, ein Kind auf die Welt zu bringen.
Argentinien ist für schwangere Russinnen deshalb attraktiv, weil es eines von wenigen Ländern ist, in das russische Staatsangehörige noch ohne Visum reisen können.
Mit dem argentinischen Pass stehen den Familien oder zunächst einmal den Babys deutlich mehr Freiheiten zu als mit einem russischen. In Folge des Angriffskrieg in der Ukraine haben zahlreiche Länder Sanktionen gegen Russland verhängt. Diese betreffen auch das Reisen. "Der Standard" berichtete im Dezember von Russen, die jetzt Venezuela als Urlaubsland für sich entdeckt haben. Allzu viele andere Möglichkeiten bleiben nicht.
Reisen nach Europa deutlich eingeschränkt
Viele beliebte Ziele in Europa sind keine mehr. Die Einreise in den Schengenraum wurde als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg in der Ukraine im Lauf des vergangenen Jahres zunehmend eingeschränkt. Dem Schengenraum gehören 26 europäische Länder an – neben EU-Mitgliedsstaaten auch Island, Liechtenstein, Norwegen und die Schweiz.
Einige europäische Staaten stellen gar keine Touristenvisa mehr für russische Staatsangehörige aus. In anderen gibt es lange Wartezeiten, höhere Gebühren und Auflagen etwa bezüglich Bankkonten. Die "Berliner Zeitung" zitierte im Oktober den Verband der Reiseveranstalter Russlands, dass es "fast unmöglich" sei, ein deutsches Schengenvisum zu erhalten.
Hunger, Ruinen und ganz viel Schrott: das neue alte Leben nach dem Abzug der russischen Streitkräfte

Ein Leben außerhalb Russlands ist auch ein Ausweg aus der Mobilmachung. Das Land braucht neue Soldaten für seinen Krieg. Noch im Januar rechnen Experten mit einer neuen Welle von Zwangsrekrutierungen.
Wie der Kreml das Land darauf vorbereitet, lesen Sie hier.
Quellen: The Guardian, Der Standard, Merkur, Deutsche Welle, Auswärtiges Amt, Berliner Zeitung, RND