Sein rotes Sofa bleibt jetzt leer, vielleicht sogar für immer. Mein Gott, dieses Sofa, dieses anstrengende Sitzmöbel in S-Form, auf dem er, Schulter an Schulter, die Ströbeles und Münteferings dieser Republik so unerbittlich einvernahm - haben wir es gemocht oder gehasst? Haben wir ihn gemocht oder gehasst?
Den grünen Gewissensheini Hans-Christian Ströbele
hat er vor dem Irak-Krieg im Stile eines Staatsanwalts aus all seinen lauwarmen Formelkompromissen geprügelt: "Ist dieser Krieg völkerrechtswidrig? Ja oder nein? Ich will von Ihnen nur wissen: ja oder nein! JA ODER NEIN!" Und erst Gregor Gysi, den Dauerquassler von der PDS. Der wurde bei "Vorsicht! Friedman" so an die Wand gefragt, dass ihm buchstäblich die Spucke wegblieb: "Krieg ich hier vielleicht mal ein Glas Wasser?" Es wurde dem Angeklagten Gysi ausgehändigt. Aber erst nach der Sendung. Viele haben geschwitzt auf diesem roten Sofa, wenn ihnen der Mann mit den chronisch gegelt wirkenden Haaren und dem Einstecktüchlein zu Leibe rückte. Was würde Michel Friedman, der Erfinder des TV-Verhörs, wohl fragen, wenn er sich in seiner Sendung jetzt selbst zu Gast haben könnte? Großaufnahme auf den Beschuldigten, hervorstechender Zeigefinger: "Herr Friedman, bitte erklären Sie jetzt endlich dem Publikum und mir: Haben Sie gekokst? JA ODER NEIN!"
Vielleicht würde er sich selbst aber auch einfach nur das fragen, was er auf dem Höhepunkt der Spendenaffäre den alten, müden Helmut Kohl fragen wollte, der sich seiner Sendung bis zuletzt verweigerte: "Warum tun Sie das? Warum zerstören Sie sich selbst?"
Friedman ist abgetaucht,
vermutlich nach Venedig. Will niemanden sehen. Äußert sich nicht. Er hat in seinem Leben den deutschen Spießer attackiert und die Friedensbewegung, die CDU und Herrn Möllemann und wer weiß noch wen. Sogar vom Papst hat er schon "mea culpa" gefordert. Immer mutig und meistens auch zu Recht. Er war eigentlich immer auf Sendung. Und jetzt verweigert er in eigener Sache die Aussage.
Friedman, ausgerechnet Friedman. Der ewige Mahner, unerbittliche Chefankläger in Sachen politischer Korrektheit. Der Mann ist eine moralische Instanz, und das multifunktional: Vizepräsident des Zentralrates der Juden, Vorsitzender des Europäischen Jüdischen Kongresses, TV-Moderator, CDU-Mitglied, Wirtschaftsanwalt, Träger des Bundesverdienstkreuzes 1. Klasse, Sitz und Stimme im ZDF-Fernsehrat. Seine Hemden und Krawatten sitzen besser als die des Bundeskanzlers.
Und ein solcher Mann sieht jetzt sein Leben auf die kalte, gnadenlose Sprache von Polizeiberichten reduziert. Es geht nicht nur um jene drei Päckchen mit Kokainresten, die Polizisten vergangene Woche im Schlafzimmer seiner Wohnung und in seiner Anwaltskanzlei in Frankfurt sicherstellten. Das Muster der Aufbewahrung war für die Ermittler interessant. Es weist auf einen chronisch Süchtigen hin, der überall Depots unterhält, wo er sich längere Zeit aufhält.
Noch verheerender ist der Verdacht,
Friedman habe sich von Menschenhändlern eingeschleuste Liebesmädchen aus Osteuropa aufs Hotelzimmer bestellt - im Mitte-links-Milieu der Gutmenschen, in dem er sich bevorzugt bewegt, ist das eine Todsünde. Falls sich die Vorwürfe erhärteten, dann hätte Friedman sich unmöglich gemacht - und erpressbar. Niemand redet offen darüber, aber natürlich ist im Publikum eine klammheimliche Genugtuung ausgebrochen, dass derjenige, der bei anderen stets höchste Maßstäbe an Glaubwürdigkeit und Korrektheit anlegte, nun als Mann mit Doppelleben bloßgestellt sein könnte. Dem "flotten Michel" ("Gala"), dem "Krawattenmann des Jahres 2000", privat liiert mit RTL-Krawalltalkerin Bärbel Schäfer, haben sie in der politischen Provinz ohnehin nie so richtig über den Weg getraut.
"Ich gehe noch von der Unschuldsvermutung aus", sagt der jüdische Schriftsteller Rafael Seligmann. "Aber wenn die Vorwürfe sich bewahrheiten, dann wird er gnadenlos fertig gemacht. Alle haben darauf gewartet, dass er strauchelt." Friedman muss geahnt haben, was auf ihn zukommt. Seine letzte Sendung, ein vergleichsweise müdes Geplänkel mit dem Islam-Experten Peter Scholl- Latour, hat er noch hinter sich gebracht - dann, so berichten Beobachter, brach er hinter den Studiokulissen des Hessischen Rundfunks förmlich in sich zusammen. Seine Ehre und seine Reputation seien schließlich sein Kapital, soll er fassungslos gesagt haben.
Der Chefankläger als Beschuldigter - da schieben sich ein öffentliches und ein menschliches Drama zusammen. Etwas seltsam Verdruckstes, Schwüles liegt über dem Skandal. "Wo ist Friedman da hineingeraten?", fragte "Bild" in den ersten Tagen ungewohnt zahm und bezeichnete ihn nur als TV-Moderator, nicht aber als jüdischen Funktionär. Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Frankfurts, Salomon Korn, erklärte den Umgang mit der Causa Friedman flugs zum Testfall, "wie es um die deutsch-jüdische Normalität steht". Geht es nicht eine Nummer kleiner? Nicht bei ihm.
Auf Friedmans Spur
waren die Ermittler der Bundesgrenzschutz-Abteilung "KrimB"(Kriminalitätsbekämpfung) gekommen, als sie im Schleppermilieu eine polnisch-ukrainische Gruppe ins Visier nahmen, die Prostituierte aus Osteuropa nach Deutschland brachte, um sie betuchten Freiern zuzuführen. Monatelang wurden die Handys der Zuhälter abgehört. Verblüfft identifizierten die Beamten dabei Michel Friedmans Telefonnummer und immer wieder seine dunkle Stimme, die sie vom Fernsehen kannten. Der TV-Star bediente sich nach den Ermittlungsergebnissen einer falschen Identität und stellte sich, wie in einem drittklassigen Gangsterfilm, mit Tarnnamen vor: "Paolo Pinkel", Kunsthändler aus Mailand.
Der Verkehr mit Prostituierten ist nicht strafbar, deswegen war Friedman für die Ermittler allenfalls als Zeuge interessant. Als nach einer Razzia aber mehrere der Damen aussagten, Friedman habe nicht nur Frauen geordert, sondern auch Kokain vor ihren Augen konsumiert - da war Friedman plötzlich Beschuldigter.
Keiner hat sich je so richtig rangetraut an ihn,
den mahnenden Juden im Land der Täter. Aber jetzt wird der Unantastbare antastbar. Schon um die Jahreswende suchten zwei junge Männer zahlungskräftige Abnehmer für ein Video, das im vergangenen Jahr heimlich in seinem Berliner Hotelzimmer aufgenommen worden sein soll. Friedman soll im Bademantel zu sehen sein, wie er sich mit drei Prostituierten vergnügt - auf dem Tisch mehrere "Linien" Kokain.
Als einen der ersten Adressaten steuerten sie zielbewusst Friedmans größten Gegenspieler an: Jürgen Möllemann. Hans-Joachim Kuhl, ehemals Landesgeschäftsführer der nordrhein-westfälischen FDP, der beschuldigt wird, das Schwarzgeld für Möllemanns Israel-kritischen Flyer gestückelt zu haben, empfing die halbseidenen Informanten. Sie hätten ihm ein Standbild aus einem Video gezeigt, auf dem aber schwer zu erkennen gewesen sei, ob es sich dabei um Friedman handelte, erinnert sich Kuhl gegenüber dem stern.
Die Probe sollte die Existenz des Videos dokumentieren, das die Dunkelmänner nun an Möllemann verkaufen wollten, damit der Gelegenheit erhielte, Friedman öffentlich zu desavouieren. Kuhl wimmelte ab: "Das ist nicht unser Stil, versuchen Sie, es irgendeinem Journalisten zu verkaufen." Ende vergangener Woche tauchte das geheimnisvolle Video wieder auf. Mehreren Redaktionen und TV-Sendern wurde der teils verschwommene Streifen gegen hohes Honorar angeboten. Deutschlands gutes Gewissen auf einer Koksparty mit käuflichen Mädchen aus Osteuropa?
Er hätte gewarnt sein müssen.
Denn Polizei und Staatsanwälte hatten ihn schon vor etwa drei Jahren auf dem Schirm. Damals meldeten Friedmans Objekt- und Personenschützer an höhere Stellen, er sei in seinem Wohnort Frankfurt von zweifelhaften Damen besucht worden. Bei der Überprüfung der Frauen durch die Frankfurter Polizei führten Spuren ins osteuropäische Zuhältermilieu. Friedman wurde als Zeuge vernommen. Die Fahnder stellten die Ermittlungen danach ein - in einer anderen hessischen Dienststelle soll noch ermittelt werden.
Warum fühlte er sich so sicher? Sah er sich durch seine öffentliche Rolle, sein weit verzeigtes Beziehungsgeflecht unangreifbar? Oder spürte er die Gefahr, konnte aber nicht von dem Milieu lassen, das Frauen und Drogen gern auch im Doppelpack serviert? Was sind das jedenfalls für drittklassige Auftritte - verglichen mit den großartigen, die man von ihm kennt: Panzertüren fallen in schwere Wagen. Blaulicht. Leibwächter sichern das Terrain. Gegelter Mann schwebt ins Restaurant, weißer Schal fliegt hinter ihm her. Alle gucken. Großes Hallo. Der Restaurantchef nennt ihn "Mischäll". Friedman sagt: "Mein Liiiieeeber, ich grüße dich!"
Es war eine Auszeichnung, wenn er mit einem redete.
Aber es war auch anstrengend. Er kam zu nah, fasste ständig an. Und immer verbreitete er das Gefühl, man könne ihm nicht gerecht werden. Seinem Witz nicht, seinem Bedürfnis nach Zerstreuung und Originalität nicht. Vor allem aber: seiner Rolle als Sprecher der Juden nicht. Bloß kein falsches Wort! Vorsicht, Friedman!
Nirgendwo ist die seltsam überspannte Aura, die er um sich verbreitet, besser festgehalten als in jenem Film des Kulturkanals arte, der zeigt, wie Friedman gemeinsam mit dem Kulturschreck Christoph Schlingensief und der alternden Filmdame Hannelore Elsner durchs nächtliche Frankfurt zieht. Friedman erteilt beim Edel-Italiener Belehrungen in Restaurantkunde ("Wie kannst du scharf und Trüffel mischen!") und bestellt mit großer Geste ein Schnitzel ("gaaaanz dünn!"). Man zieht weiter in die Bar des "Main-Towers" und liefert sich, von Rotwein und dem Gefühl der eigenen Bedeutung schwer durchdrungen, rechthaberische Tischgespräche um Minibananen, Möllemann, Drogen, Sex und den 11. September. Und immer ist alles ein bisschen zu laut und zu keck und zu grell.
Friedman lief hochtourig, seine Drehzahl war verdammt hoch. Und bei allem gewinnenden Charme trug er eine jederzeit abrufbare Schärfe gegenüber anderen mit sich. Nie hat er den Eindruck verwischen können, dass er sich solitär erhaben fühlt, umgeben von Mittelmaß einer "Generation der Assistenten, Kofferträger, Kommissare", für die er Verachtung hegte. Helmut Kohl bezichtigte er der "unerträglichen Arroganz", in der SPD sah er nur "entpolitisierte Entleerung", die Grünen waren schlicht "gaga".
Im rechten Milieu der CDU
galt der Mann mit dem glänzend zurückgekämmten Haar als "Ölprinz". Dass der Christdemokrat Friedman es irgendwann nicht mehr aushielt in der Hessen-CDU, hat seinen Grund in dem widerwärtigen Spendenskandal um angebliche "jüdische Vermächtnisse" - aber auch in dem Hinterzimmermief, den die erzkonservativen Truppen um Roland Koch immer noch mit sich rumtragen. Er emigrierte zu den liberalen Parteifreunden nach Saarbrücken, wo ihn Ministerpräsident Peter Müller, ein Freund, zum Berater erkor. Das passte schon eher.
Der Mann ist Kosmopolit, er spricht fünf Sprachen, und wenn er im Fernsehen auftrat, hatte man immer das Gefühl, da ist einer direkt vom Pariser Boulevard in das Land von Rumpelstilzchen hinabgeschwebt. Friedman bestellt seinen frischgepressten Orangensaft im Hotel "? la minute" - hierzulande hat man es gern etwas rustikaler. Er sieht sich als streitlustigen "Citoyen" und träumt von der "Dissensgesellschaft" - aber die Deutschen haben Sehnsucht nach der großen Koalition. Und viele mögen es nicht, wenn man ihre gewählten Volksvertreter auf einem roten Sofa öffentlich filetiert.
Nein, im Land der Täter ist der Jude Michel Friedman nie richtig heimisch geworden - die Nachfahren ließen ihn das ständig spüren. Aber die bräsige Mittelmäßigkeit und Verdruckstheit, die er überall wittert, hat er auch gebraucht - und sei es nur als Kulisse für die eigene Souveränität.
Es ist wenig Leichtigkeit in diesem Leben,
das es nur gibt, weil seine polnischen Eltern zu den wenigen gehörten, die der deutsche Unternehmer Oskar Schindler vor den Gaskammern rettete. Nur seine Eltern und eine Großmutter überlebten den Holocaust. Er fühle sich wie "auf einem Friedhof geboren", hat er mal gesagt. "Alle anderen Kinder hatten Familie. Onkel, Tanten, Cousins, Cousinen. Wir hatten das nicht." Er war viel allein. Schon als Kind bolzte der kleine Michel nicht mit den anderen Jungs auf dem Fußballplatz - der Sohn eines Pelzhändlers, in Paris geboren, saß in seinem Zimmer und schrieb Romane. Oder er führte mit den Eltern am Küchentisch "hitzige Debatten". Schon als Gymnasiast saß er mit Sondergenehmigung im Bundesvorstand der jüdischen Studenten. Genau genommen war Michel Friedman nie richtig jung.
"Ich habe ihn selten entspannt erlebt", sagt der Schriftsteller Rafael Seligmann, der Friedman seit langem kennt. "Auch privat kommen die Sätze bei ihm wie in einem Interview." Seligmann sieht Friedman in der Rolle des "Musterjuden" gefangen. "Das ist die Wirklichkeit der jüdischen Diaspora. Die Sucht nach Anerkennung erwächst aus dem nagenden Gefühl, eigentlich nicht gemocht und nicht gewollt zu sein." Wenn das stimmt, hat Friedman jahrelang mit aller Kraft gegen dieses Gefühl angekämpft.
Und wie er es getan hat!
Hat gefordert und gemahnt und geklagt - und nie wurde man den Eindruck los, da wolle einer den Respekt für seine Person aus den Deutschen gleichsam herauspressen. Aber man wich ihm aus. Man schwieg. Man wollte sich mit Friedman nicht anlegen. Das schien zu gefährlich. Wütend hat er diesem Volk, bei dem er eine "oberflächliche Haltung des Belästigtseins" witterte, immer wieder nachgesetzt. So wie seinen Studiogästen rückte er auch den Deutschen zu Leibe.
Erst als Jürgen Möllemann Friedmans angeblich "untolerante, gehässige Art" attackierte und ihm auf skandalöse Weise Mitverantwortung für antisemitische Ressentiments zuschob, da wusste man, wie es wirklich steht um Friedman und die Deutschen. Unzählige applaudierten dem bulligen FDP-Populisten. Sie hielten Friedman für unerträglich. Er war ihnen über all die Jahre buchstäblich zu nahe gekommen.
Er muss das geahnt haben. Wohl auch aus Verzweiflung darüber flüchtete er sich immer wieder in elitäres Außenseitertum - trotziger Rückzug auf den "Exotenbonus", wie Rafael Seligmann es nennt. Friedman bekommt 30 bis 50 Drohbriefe pro Woche. Das ist widerwärtig. Aber er nährt den Eindruck, dass er darauf auch ein bisschen stolz ist. Als das "SZ-Magazin" ihn fragte: "Was fürchten Sie mehr: angegriffen zu werden, weil Sie Jude sind, oder nicht angegriffen zu werden, weil Sie Jude sind?" - da war seine Antwort klar und kurz: "Nicht angegriffen zu werden."
Zwar hat er immer wieder unverkrampfte Normalität
im deutsch-jüdischen Verhältnis eingefordert, aber, ob gewollt oder nicht, immer auch davon profitiert, dass nichts normal ist. Gegenüber dem Vizepräsidenten des Zentralrates der Juden waren die Politiker auf der Couch erkennbar gehemmt. Auch deshalb wehrten sie sich nicht richtig gegen die inquisitorische Befragung. Auch deshalb konnte Friedman sie in ihren Halbheiten und Lebenslügen weitgehend bloßstellen.
Seine Karriere als Polit-Talker ist ohne diese Vermengung seiner Funktionen nicht denkbar. Er, Sohn eines Schindler-Juden, ritt seine Attacken mitunter auch aus dieser sicheren Deckung. Jetzt fällt die Deckung, da kann Paul Spiegel, der Präsident des Zentralrates, noch so sehr beteuern, er stehe "hundertprozentig" hinter Friedman. Wo soll der jetzt hin, wenn er als öffentliche Figur beschädigt ist? In Anonymität leben? Kann man sich Friedman vorstellen, wie er morgens im T-Shirt allein in seiner Küche sitzt und sich über einen Becher Kaffee beugt, ohne Handy und Termine und großes Welttheater? Leute, die ihn kennen, schildern ihn als einsam. Und sie haben Angst um ihn.
Ein getriebenes Leben hat er gelebt, rast- und ruhelos. Er schlief pro Nacht nie länger als drei Stunden. Aber all die Empfänge, Partys, Podiumsdiskussionen, auf denen er sich tummelte, überhaupt sein ganzes demonstratives Dauerengagement bis hin zum Aufsichtsratsposten beim "Unesco-Weltkulturerbe Völklinger Hütte" - all das konnte eine gewisse Unbehaustheit nie ganz verdecken. Er wollte alles mitnehmen im Leben, die Chancen, die sich ihm so reichhaltig boten, bis zur Neige auskosten, um die bohrende Einsamkeit - mitten im grellen Scheinwerferlicht - zu verdrängen.
Michel Friedman lebt wie im Transit, und seine Hoffnung, dass die Gegenwartsgeneration der Juden nach Jahrzehnten der Angst jetzt in Deutschland "die Koffer schon in den Schrank gestellt" hat, wird zumindest von ihm selbst gründlich dementiert. Er hat seine Koffer höchst selten in den Schrank gestellt. Als die "Bunte" ihn einmal fragte, wer denn bei ihm den Frühstückstisch decke, antwortete Friedman: "In der Regel Hotelangestellte."
Es muss für ihn Momente gegeben haben, in denen er sein eigenes Leben betrachtete - wie vom Blitz erleuchtet, kurz und grell. "In der hohen Politik habe ich so viele Menschen erlebt, die nach außen die ganz große Performance machen", hat Friedman vor ein paar Jahren einem Journalisten gesagt. "Und innen, in der Familie, ist alles kaputt. Ich will so etwas nicht."
Irgend etwas muss schief gelaufen sein im Leben von Michel Friedman.
Tilman Gerwien/ Mitarbeit: Hans-Ulrich Jörges / Dieter Krause / Werner Mathes