ARD-Doku Das System Tönnies läuft noch immer

Mindestlohn Experte steht auf einer Weste, die ein Gewerkschaftsvertreter vor dem Tönnies-Werk trägt
In den vergangenen Jahren demonstrierten immer wieder Gewerkschaftsvertreter und Aktivisten für bessere Arbeitsbedingungen und faire Löhne bei Tönnies (Archivbild).
© Friso Gentsch / DPA
Der Corona-Ausbruch im Tönnies-Werk richtete im Juni 2020 den Blick vieler Menschen auf die Arbeitsbedingungen in Schlachtbetrieben. Tönnies gelobte Besserung. Eine ARD-Doku zeigt jetzt: viel verändert hat sich seit dem nicht.

"Wir werden diese Branche verändern", kündigte Fleischproduzent Clemens Tönnies großspurig bei einer Pressekonferenz im Juni 2020 an. Tönnies stand damals unter Druck. Fast 1400 Mitarbeiter des Unternehmens, die meisten angestellt bei Subunternehmen, hatten sich mit dem Coronavirus infiziert. Für vier Wochen stand der größte Schlachthof Deutschlands komplett still, knapp 7000 Menschen mussten in Quarantäne, der Kreis Gütersloh wurde zum Hochrisikogebiet. 

Die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Werksarbeiterinnen und -arbeiter geriet in den Fokus der Öffentlichkeit. Und schnell wurde klar: das System Tönnies funktioniert durch Lohndumping, ständige Kontrolle und teils unwürdige Arbeitsumstände. All das sollte ein Ende haben – so das Versprechen von Clemens Tönnies.

Doch hat der Fleischindustrielle Wort gehalten? Knapp anderthalb Jahre nach der bemerkenswerten Pressekonferenz ist die Antwort ernüchternd. Denn eine Dokumentation der ARD zeigt: allzu viel hat sich im Hause Tönnies nicht geändert.

Noch immer arbeitet Tönnies mit Subunternehmern zusammen

Die schärfste Kritik galt im vergangenen Jahr der Beschäftigung von Produktionsmitarbeitern durch Subunternehmen. So war es möglich, deutsche Standards wie etwa den geltenden Mindestlohn, zu umgehen. Die meist aus Osteuropa stammenden Arbeitskräfte erhielten deutlich weniger Lohn als in Deutschland üblich. Hier hat sich laut Tönnies tatsächlich etwas getan. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter seien mittlerweile im Unternehmen Tönnies angestellt, Subunternehmen und zwielichtige Werkverträge gebe es keine mehr. 

Was die Arbeit in seinem Schlachthof angeht, stimmt dies wohl. Allerdings gibt der Firmeninhaber selbst zu, dass sein Betrieb noch immer mit Subunternehmen zusammenarbeitet, etwa um Arbeitskräfte im osteuropäischen Ausland anzuwerben, sie bis nach Deutschland zu transportieren, einzuarbeiten und ihre Wohnräume zu kontrollieren.

"Wer ist abhängiger?"

Während der Schlachthof im Sommer 2020 in die Schlagzeilen geriet, machte eine Beschreibung für die Situation der meist ungelernten Kräfte aus Rumänien, Bulgarien oder Polen die Runde: Abhängigkeitsverhältnis. Auch die ARD-Dokumentation zeigt, dass viele Osteuropäer mit großen Versprechungen nach Deutschland gelockt werden: viel Gehalt, günstige Unterkünfte, geregelte Arbeitszeiten. 

Dass sie für viele dieser Dinge zahlen müssen, ist einigen nicht sofort klar. Für die Subunternehmen, mit denen Tönnies noch immer zusammenarbeitet, sind die Arbeiterinnen und Arbeiter vor allem ein Geschäft. Sie bieten überteuerte Transporte in schrottreifen Autos an, berechnen Mieten, die höher sind als eigentlich ausgemacht. Die meisten akzeptieren dies. Oft verhindert zudem die Sprachbarriere, sich eigenständig um eine Wohnung oder die Eröffnung eines Kontos zu kümmern. Die Subunternehmer nutzen diese Abhängigkeit aus. 

Daniela, eine rumänische ehemalige Tönnies-Mitarbeiterin, macht schwere Vorwürfe gegen die Fleischfabrik.
© n-tv
Ehemalige Tönnies-Mitarbeiterin packt aus: "Auf 2,5 Meter standen wir zu viert oder fünft"

Auf der anderen Seite sei es aber auch der Betrieb Tönnies, der auf die Subunternehmer angewiesen sei, heißt es in dem Bericht. Der Schlachthof könne allein mit einem im Film genannten Unternehmer Tausende osteuropäische Arbeitskräfte verlieren. Keine gute Aussicht, wenn man einen so großen Bedarf an billigen Arbeitskräften hat.

Clemens Tönnies betont dabei: "Die Frage ist berechtigt: Wer ist eigentlich abhängiger?" Er habe dieses Bindeglied eben noch nötig. "Wir haben einfach einen Zeitfaktor, den brauchen wir, um umzustellen." Wie groß dieser Zeitfaktor ist, das verrät Tönnies allerdings nicht. 

Gefangen im eigenen System

Was bleibt, ist eine zwiespältige Bilanz. Tönnies hat im Juni 2020 nicht weniger versprochen als eine Revolution seiner gesamten Branche. Anderthalb Jahre nach dieser Ankündigung hat sich tatsächlich das ein oder andere in seinem Betrieb zum Besseren gewendet – Vieles ist aber beim Alten geblieben.

Dabei wirkt das Unternehmen Tönnies, als stünde es kurz vor der Marke "Auslaufmodell". Jahrzehnte hat Clemens Tönnies ein Unternehmen aufgebaut, das auf Quantität gesetzt hat. Mehr als 20.000 Schweine werden noch immer täglich im Hauptwerk in Rheda-Wiedenbrück geschlachtet. Der internationale Markt wurde durch Tönnies und andere Großschlachter in dieser Größenordnung mit Fleisch überschwemmt. Nun haben sich die Zeiten geändert.

Viele Kunden achten auf die Herkunft des Fleisches, das sie kaufen und distanzieren sich von Massentierhaltung und großen Schlachtbetrieben. Discounter wie Aldi wollen sich in den kommenden Jahren sogar vollkommen von Frischfleisch aus konventioneller Haltung verabschieden.

Damit wäre ein Betrieb wie Tönnies, der immer nur auf Masse ausgerichtet war, gefangen in dem System, das Geschäftsführer Clemens selbst geschaffen hat.

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