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Ermittlungspannen beim Verfassungsschutz "In was für einem Land leben wir hier eigentlich"

Der Verfassungsschutz schreddert sensible Akten zum Zwickauer Neonazi-Trio. Der Behördenchef tritt zurück. Doch wie erklärt man die Pannen und Schlampereien den Hinterbliebenen der Mordopfer?
Von Kerstin Herrnkind

Montagmittag. Das Handy klingelt. Es ist die Schwester von Halit Yozgat, der 2006 von der Terrorzelle NSU in seinem Internetcafé in Kassel erschossen wurde. Deutschlands oberster Verfassungsschützer Heinz Fromm hat gerade seinen Hut genommen. Sensible Akten sind geschreddert worden. Die Schwester von Halit Yozgat fragt: "In was für einem Land leben wir hier eigentlich."

Was soll man dieser Frau, die ihren Bruder durch rechtsradikale Mörder verloren hat, antworten?

Geisterbeschwörer sollte Polizei helfen

Dass wir in einem Land leben, in dem die Polizei Geisterbeschwörer zurate zog, um die Mörder des Gemüsehändlers Süleyman T. zu finden, der 2001 in Hamburg erschossen worden war? Dass ein "Medium" mit dem ausdrücklichen Segen der Polizisten Kontakt aufnehmen sollte zu dem "Geist" des ermordeten Gemüsehändlers. Und dass der Geisterbeschwörer nach der Séance zu berichten wusste, dass die Täter wahrscheinlich Türken seien?

Dass wir in einem Land leben, in dem die Polizei Dönerbuden betrieb, um den Mördern auf die Schliche zu kommen. Und dass die als Dönerbudenbesitzer getarnten Beamten sich selbst strafbar gemacht haben, indem sie ihre Rechnungen einfach nicht bezahlten?

Oder dass das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz versucht hat, dem Trio Bönhardt, Mundlos und Tschäpe 2000 Mark für falsche Ausweispapiere zukommen zu lassen?

Verfassungsschützer saß am Tatort vorm Computer

Es ist kein Wunder, dass die Schwester von Halit Yozgat an diesem Staat zweifelt. Denn auch als ihr Bruder im April 2006 ermordet wurde, war ein Verfassungsschützer vor Ort. An jenem Nachmittag saß Andreas T. - Beamter des hessischen Verfassungsschutzes - in Yozgats Laden vor einem der Computer. Halit Yozgat wurde zwischen 16.54 und kurz vor 17.03 Uhr erschossen. Andreas T. hörte unmittelbar vorher - um 17.01 Uhr und 40 Sekunden - auf, im Netz zu surfen. Er habe nichts gesehen oder gehört, gab er später bei der Polizei zu Protokoll.

Freiwillig hatte sich der Verfassungsschützer nicht als Zeuge gemeldet. Und als die Beamten ihn anhand der Rechnerdaten doch noch ausfindig gemacht hatten, fanden sie bei einer Hausdurchsuchung in seiner Wohnung Auszüge aus Hitlers "Mein Kampf", die Andreas T. fein säuberlich mit der Schreibmaschine abgetippt hatte. Die Frage, in welchem Land solche Leute trotz Sicherheitsüberprüfung Verfassungsschützer werden können, stellt sich noch immer.

Man schweigt, weil man sich schämt

Und nun die Akten. Unmittelbar nachdem bekannt geworden war, dass die Morde an neun Migranten und einer Polizistin auf das Konto einer rechtsradikalen Terrorgruppe gingen, schreddern Verfassungsschützer sensible Unterlagen, die vielleicht verraten hätten, wie es bestellt war um die Zusammenarbeit zwischen Verfassungsschutz und rechter Szene. Und der Chef vergisst einfach, sofort ein Aktenvernichtungsverbot auszusprechen.

Was sagt man der Schwester von Halit Yozgat? Man schweigt am besten. Weil einem nichts mehr einfällt. Und man sich schämt. Für die Polizei. Den Verfassungsschutz. Und auch für dieses Land.

Von Kerstin Herrnkind

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