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Wie Wolfgang Frenz die NPD "rettete" Bekenntnisse eines V-Mannes

Er war der berühmteste V-Mann der Republik: Wolfgang Frenz sorgte einst dafür, dass das NPD-Verbot scheiterte. Heute schildert er Unfassbares aus seiner Zeit mit dem Verfassungsschutz.
Von Kerstin Herrnkind und Frank Gerstenberg, Solingen

Wenn derzeit über V-Männer gesprochen wird und über ihre dubiose Rolle, kommt er ebenso ins Spiel wie in der Endlosdebatte um ein NPD-Verbot: Dabei kennt seinen Namen kaum jemand. Wolfgang Frenz, 75, Heilpraktiker aus Solingen, ist der Mann, der 2002 das NPD-Verbot zum Scheitern brachte. Nachdem das Bundesinnenministerium einräumen musste, dass er als Kronzeuge im Verbotsverfahren auf der Lohnliste des Verfassungsschutz gestanden hatte, war das Beweismaterial gegen die NPD wertlos geworden.

Frenz redet gern über seine Zeit als V-Mann. In seiner Praxis, die in einem Kellergeschoss liegt, riecht es muffig. Der ehemalige Verfassungsschutz-Spitzel ist ein kleiner, dicker Mann. Er trägt eine blaue Hose, dazu ein blaues Hemd, das am Kragen fleckig ist. Mit seinem weißen Rauschebart könnte er glatt ohne Verkleidung als Weihnachtsmann durchgehen.

Frenz verschanzt sich hinter seinem Schreibtisch, der viel zu groß ist für den kleinen Kellerraum. Im Winter 1959/1960 habe er zum ersten Mal Kontakt zum Verfassungsschutz aufgenommen, erzählt er. Die Synagoge in der Kölner Roonstraße war damals mit Hakenkreuzen beschmiert worden. Frenz war 23 Jahre alt und das jüngste Mitglied der Deutschen Reichspartei (DRP) im Landesvorstand Nordrhein-Westfalen. Aus freien Stücken habe er sich – mit dem Segen der Parteiführung – dem Verfassungsschutz angedient, um zu ermitteln, ob die Täter aus den eigenen Reihen stammten. Warum war er bereit, die eigenen Kameraden zu verraten? "Ich war jung und der Verfassungsschutz hatte für mich was von James Bond."

Der Anruf des "Meinungsforschers"

Ein Jahr später, so erzählt Frenz weiter, habe eines Tages sein Telefon geklingelt. Der Anrufer habe sich als Mitarbeiter eines Meinungsforschungsinstitut vorgestellt. "Er sagte, er wolle mal meine Meinung hören über die politischen Entwicklungen." Frenz habe eingewilligt und den Mann zu sich bestellt. Es seien dann zwei Herren erschienen, die sich als "Delta und Weber" vorgestellt und als Verfassungsschützer geoutet hätten. "Die sagten, wir hätten doch damals so gut zusammengearbeitet und ob wir die bewährte Zusammenarbeit nicht fortsetzen könnten."

Auf der nächsten Vorstandsitzung habe er den Landeschefs der DRP vom Angebot der Schlapphüte erzählt. Der Landesvorsitzende sei keinesfalls überrascht gewesen, behauptet Frenz, sondern habe ihm sogar zugeraten, mit dem Verfassungsschutz zu kooperieren. Und zwar des Geldes wegen. "Die Honorare, die das Amt zahlte, sollten nach Abzug der eigenen Kosten, in die DRP-Landeskasse fließen, um den chronischen Geldmangel der Partei zu lindern."

Der Herr "Hansen"

Bald darauf, so erinnert sich Frenz, habe er dann seinen "Führungsmann" vom Verfassungsschutz kennengelernt, der sich als "Hansen" vorgestellt habe - natürlich ein Deckname. Er selbst sei auf den Decknamen "Wermter" getauft worden. Fortan habe er sich regelmäßig mit Hansen getroffen und dafür ein Honorar von 400 Mark im Monat kassiert. Der Mann vom Verfassungsschutz habe sich vor allem für den Einfluss der ehemaligen Sozialistischen Reichspartei auf die DRP interessiert. "Wir verabredeten, uns in vierzehntägigen Abständen in Gartenwirtschaften rund um Wuppertal zu treffen."

Im November 1964 wurde die NPD gegründet. Frenz war ein Mitglied der ersten Stunde. "Mit Gründung der NPD wurde ich für den Verfassungsschutz interessanter", sagt er mit unverhohlenen Stolz. "Das war nicht nur daran zu sehen, dass mein Honorar von 400 Mark sprunghaft auf 800 Mark monatlich anstieg. Auch die Restaurants wurden besser." Zwei Mal wöchentlich habe er sich mit den Herren "Schadow und Richter" vom Verfassungsschutz getroffen - "in feinen Spezialitätenrestaurants". Die Herren hätten sich vor allem für "die Aufschlüssellung der Mitgliederzugänge aus DRP und anderen Parteien wie CDU, FDP und GDP (Gesamtdeutsche Partei, d. Red.)" interessiert. "Die NPD war ja keine verbotene Partei. Es gab auch keine Geheimnisse, die man hätte verraten können", sagt Frenz. Deshalb habe er den Schlapphüten ein paar Rundschreiben mitgegeben. "Die waren dann immer ganz glücklich."

Der NPD-Landesvorstand sei eingeweiht gewesen, behauptet der ehemalige V-Mann. Die Partei sei schließlich auf das Geld vom Verfassungsschutz angewiesen gewesen. "Ich musste damals 153 DRP-Kreisverbände in die NPD überführen", erzählt Frenz. "Das Ganze musste doch finanziert werden. Die DRP war klamm. Und die NPD hatte kein Geld. "Wenn sie so wollen, hat der Verfassungsschutz die Grundfinanzierung der NPD in NRW geleistet." Inzwischen sei sein Honorar auf 1000 Mark monatlich gestiegen. Dafür habe er zum Zeitpunkt der Parteigründung einen Vollzeitjob geleistet.

Die Steuertricks eines Agenten

Die Herren vom Verfassungschutz hätten ihm auch schon mal mit technischen Geräten ausgeholfen wie einer Schreibmaschine oder einem Kopierer. Alles Dinge, die die NPD laut Frenz nicht besaß. Doch auch als NPD-Spitzel habe er nur Belanglosigkeiten weitergegeben. "Die wollten wissen, wie sich die Mitgliedschaft der NPD zusammensetzt. Wir bekamen ja bedeutende Mitglieder anderer Parteien. Da gab es Vorverhandlungen vor dem Übertritt, sowas hat die interessiert. Im Grunde bekamen die nur öffentlich zugängliche Informationen."

Mit den Jahren habe er immer mehr Geld an die NPD abführen können, erzählt Frenz. Im Bundestagswahlkampf 1967 habe er der Parteiführung in Hannover 10.000 Mark überwiesen. Und auch der Heimatkreisverband in Solingen kriegte schon mal so eine Summe. Frenz will seine Honorare versteuert haben. "Ich war der einzige Agent, der seine Honorare bei der Steuer angegeben hat." Darüber hinaus habe er sich von der NPD natürlich Spendenquittungen ausstellen lassen. Diese habe er widerum bei seiner Einkommenssteuererklärung angegeben. "Dadurch konnte ich meine Einkommenssteuer erheblich mindern", sagt Frenz und grinst.

Gesellige Rotweinrunden mit "Siegfried"

Der Umgang mit den Verfassungsschützern sei immer freundschaftlicher geworden. Führungsmann Kunze sei für ihn bald "Siegfried" gewesen. "Wir haben uns richtig angefreundet. 'Siegfried' war passionierter Sportangler. Er brachte mir das Angeln an der Wahnbachtalsperre bei und veranlasste, dass ich die Fischereiprüfung ablegte. Gelegentlich gingen wir zusammen ins Kino oder ins Restaurant. Siegfried hatte eine besondere Leidenschaft für hübsche Frauen. Unsere Treffs fanden deswegen auch in Restaurants statt, wo hübsche Bedienungen anzutreffen waren."

"Siegfried" habe ihn auch zu Hause besucht. Dabei muss es sehr gesellig zugegangen sein. "Da Siegfried wie auch ich guten Rotwein liebte, trafen wir uns gelegentlich abends bei mir zu Hause, wo ein gut sortierter Rotweinkeller auf uns wartete. Manchmal waren auch seine Frau mit Tochter dabei. Meine Frau freundete sich auch mit der Familie an und oft endeten diese Begegnungen mit einem handfesten Besäufnis. Seinen Job nahm Siegfried nicht ernst. Ich hatte den Eindruck, dass er nicht mich, sondern ich ihn führte."

Er habe "Siegfried" vor allem "viel Papier" überlassen. Er sei ein "bekannter Vielschreiber für die Partei" gewesen, schildert Frenz, und habe pro Monat oft 20 bis 30 Manuskripte für die NPD-Landeszeitschrift "Deutsche Zukunft" abgeliefert. Kein großer Akt für Frenz. "Ich wusste ja: In drei Wochen werden sie ohnehin veröffentlicht."

Auch ein V-Mann bekommt Weihnachtsgeld

Ein anderer Verfassungsschützer - Deckname "Richter" habe unter Migräneanfällen gelitten und sich von ihm in seiner Praxis behandeln lassen. "Da ich ihm keine Rechnungen auf seinen Klarnamen ausstellen konnte, verfiel er auf den Ausweg, mir Sonderprämien zukommen zu lassen."

Frenz hatte eine mittlerweile gut gehende Praxis als Heilpraktiker, kriegte seine 1000 Mark im Monat vom Verfassungsschutz plus Spesen - und sogar Weihnachtsgeld. "50 Prozent vom normalen Honorar." Zum Geburtstag hätten die Herren vom Verfassungsschutz selbstverständlich auch gratuliert. "Die wussten ja, dass ich begeisterter Jäger bin und haben mir Bildbände und andere Jagdliteratur geschenkt." Frenz lacht. "Weil ich solange beim Verfassungsschutz war, 36 Jahre, gab es unter meinen Führungsleuten Diskussionen, ob ich nicht inzwischen pensionsberechtigt wäre."

Als passionierter Jäger leistet sich Frenz sogar eine Jagd im Taunus. Vor hohen Feiertagen, so erzählt er, habe er die Herren vom Verfassungsschutz mit Wild versorgt. Und Frenz erzählt noch mehr unfassbare Anekdoten, die an den Verfassungsschützern zweifeln lassen. Einmal habe einer mit Decknamen "Jansen" seine Aktentasche in einem indischen Lokal vergessen. Per Autotelefon habe "Jansen" ihn angefleht, die Tasche verschlossen für ihn zu verwahren. "Natürlich war ich neugierig und schaute mir die Unterlagen an. So kam ich an den Klarnamen des Mannes."

1995 - Frenz wird "abgeschaltet"

Zwei Mal sei er im Laufe der Jahre Opfer von Anschlägen geworden, erzählt Frenz weiter. 1980 hätten Unbekannte versucht, sein Wohnhaus anzuzünden. Beim zweiten Anschlag hätten Antifaschisten den Innenraum seines Wagens mit Mitrofarbe ausgesprüht. Beim Verfassungsschutz habe man sich Sorgen gemacht um ihn, den "Top-Agenten". Deshalb habe "Siegfried" ihn fürsorglich gefragt, ob er nicht Kameras und Bewegungsmelder an Haus und Praxis montieren wolle. "Aber das wollte ich nicht. Das wäre ja aufgefallen. Und ich hatte ja noch meine Praxis als Heilpraktiker. "Siegfried" riet ihm zu einer Waffe, die er dem Verfassungsschutz in Rechnung stellte. Er habe sich für etwa 300 Euro eine Walther gekauft. Nach seinem Ausscheiden habe er die Waffe behalten dürfen.

Auf die Dauer wurde den Wächtern der demokratischen Ordnung dann aber wohl gewahr, dass ihr V-Mann außer ohnehin veröffentlichten Artikeln nicht viel liefert. 1995 wurde Frenz vom Verfassungsschutz "abgeschaltet". Seine Positionen waren zu extrem. Im Amt habe man ihm "fehlende Nachrichtenehrlichkeit" vorgeworfen. "Mir wurde ein Abfindungsentgelt von 10.000 Mark gezahlt und ich musste eine Erklärung unterschreiben, über die 36-jährige Zusammenarbeit auch für die Zukunft absolutes Stillschweigen zu bewahren." Anschließend gab es noch ein rechtliches Nachspiel. Frenz wollte vom Land Nordrhein-Westfalen 40.000 Mark Schadenersatz. Die Enttarnung habe seiner Praxis geschadet, die Bücher des Heilpraktikers verkauften sich auch nicht mehr. Die Klage wurde im Dezember 2003 vom Landgericht Düsseldorf (Az. 2b O 122/03) abgewiesen.

Aus der NPD ist Frenz rausgeflogen. Udo Vogt, bis vor kurzem Parteichef, hat stets bestritten, von Frenz Spitzeltätigkeit gewusst zu haben. Die NPD sei seine politsche Heimat geblieben, sagt der Solinger. "Man kann das Kind, das man selbst in die Welt gesetzt hat, nicht verleugnen". Noch heute habe er "viele Freunde" in der NPD. "Viele sagen: Ach, Du bist der, der die NPD gerettet hat."

Das Landesamt für Verfassungschutz in Düsseldorf hat die Angaben von Frenz weder bestätigt noch dementiert.

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