Für die italienische Regierung dürfte Carola Racketes Verhalten eine extreme Provokation sein: Die deutsche Kapitänin ist mit ihrem Flüchtlingsrettungsschiff "Sea Watch 3" in italienische Gewässer gefahren – gegen den ausdrücklichen Willen Roms. Die 31-Jährige hat sich damit über ein Verbot hinweggesetzt, das Innenminister Matteo Salvini erlassen hat und das so etwas wie das Herzstück seiner Anti-Migrationspolitik ist. Geht es nach Rackete, sollen die 42 Geflüchteten an Bord so schnell wie möglich an Land gehen dürfen.
"Natürlich ist das keine Situation, die ich mir gewünscht habe", sagte die 31-Jährige, die in Preetz bei Kiel geboren und in Hambühren in Niedersachsen aufgewachsen ist. Aber: Sie habe die Verantwortung für die Menschen an Bord. "Es herrschen Verzweiflung und Frustration." Die Leute hätten gedroht, über Bord zu springen, und seien durch die Flucht schwer traumatisiert.
Deshalb habe sie sich zu dem Schritt entschlossen – nicht, weil sie sich als Gegenspielerin von Innenminister Salvini sieht. "Sein Gegenspieler ist hier die ganze Zivilgesellschaft." Also alle, die nicht mit der harten Linie der populistischen Regierung in Rom übereinstimmten. "Es gibt ein Recht auf Rettung. Es geht um das Prinzip der Menschenrechte."
Rettungsschiffe finden kaum noch einen Hafen, in dem sie anlegen können
Rackete klingt entschlossen. Auf Schiffen kennt sie sich aus. Sie hat eine Ausbildung als Nautische Offizierin in Norddeutschland gemacht und stand unter anderem für Greenpeace und ein Meeresforschungsinstitut auf der Schiffsbrücke. Im Mittelmeer steuert sie nun die "Sea Watch 3", die schiffbrüchige Flüchtlinge vor dem Ertrinken rettet.
Dabei war der jungen Frau von Anfang an klar, worauf sie sich eingelassen hat: Seit der Machtübername der Rechtspopulisten in Rom ist es für die Seenotretter noch schwieriger geworden, in Europa einen Hafen zu finden, in den man die Schiffbrüchigen bringen kann. Ganz zu schweigen von der drohenden juristischen Verfolgung der Kapitäne im Anschluss an die Rettung. "Jeder weiß, dass es einen selbst treffen kann", sagt Rackete. Vor allem seit der "Kriminalisierung" der Seenotretter und dem Fall des deutschen Rettungsschiffs "Iuventa".
Das Schiff wurde im August 2017 beschlagnahmt, gegen die Crew wurde unter anderem wegen Beihilfe zur illegalen Einwanderung ermittelt. Auch die deutsche Kapitänin Pia Klemp muss sich demnächst in Italien vor Gericht verantworten. Und in Malta wurde vor Kurzem der Kapitän der Dresdner Organisation Mission Lifeline, Claus-Peter Reisch, zu einer Geldstrafe verurteilt, weil er die "Lifeline" mit mehr als 230 Migranten im vergangenen Sommer in maltesische Gewässer gesteuert hatte.
Salvini und Rechtspopulisten attackieren Rackete scharf
Für ihr Engagement wird Rackete in Italien von linksgerichteten Politikern als "mutige Frau" und "Hoffnung auf eine menschliche Welt" gefeiert. Für die anderen ist sie ein Feindbild. Die Chefin der Rechtspartei Fratelli d'Italia, Giorgia Meloni, sagte, die "Sea-Watch 3" müsse "versenkt" werden. Italiens Agrarminister Gian Marco Centinaio meinte, Rackete gehe mit den Italienern wie mit "Dorftrotteln" um.
Salvini selbst erklärte gewohnt sarkastisch: "Die Kapitänin als Heldin der Linken, reich geboren als Weiße in Deutschland, sollte ehrenamtliche Tätigkeiten in Deutschland machen statt 42 Menschen 15 Tage in Geiselhaft zu nehmen." In der Zeit nämlich, in der das Schiff vor Italien warte, hätte es längst in die Niederlande fahren können. Schließlich fährt es unter holländischer Flagge.
Für den Chef der rechten Lega ist es ein Präzedenzfall nach seinem "Sicherheitsdekret", das Geldstrafen bis zu 50.000 Euro für Hilfsorganisationen vorsieht, wenn sie unerlaubt nach Italien fahren. Er wird alles dran setzen, seinem Image als starker Mann gerecht zu werden. Nur dass es bei dem Katz-und-Maus-Spiel zwischen ihm und Sea-Watch um Menschen geht, die aus welchen Motiven auch immer aus ihrer Heimat geflohen sind.
Bewunderung für Racketes Umgang mit Flüchtlingen
Solidarität bekommt Rackete von Menschen, die ähnliches erlebt haben. Der frühere Kapitän des Rettungsschiffs "Cap Anamur" und jetzige Flüchtlingsbeauftragte von Schleswig-Holstein, Stefan Schmidt, sagte der dpa: "Ich kann mich gut hineinversetzen in Frau Rackete. Sie muss jetzt entscheiden in einer Situation, in der die Flüchtlinge an Bord immer nervöser werden und manche drohen dürften, sich ins Meer zu stürzen. Ich bewundere Frau Rackete, denn unter diesen Umständen die Nerven zu behalten und eine Stütze zu sein auch für die Flüchtlinge an Bord, ist alles andere als einfach."
Schmidt weiß, wovon er spricht. Er hatte 2004 mit der "Cap Anamur" Sizilien trotz Verbot angelaufen. An Bord waren 37 Flüchtlinge. Das Schiff wurde beschlagnahmt. Schmidt musste sich vor Gericht wegen Beihilfe zur illegalen Einreise verantworten. Er wurde Jahre später freigesprochen.
