Wie Nahel M. in Nanterre zu Tode kam, klärt sich immer weiter auf. Nun zitiert die französische Tageszeitung "Le Monde" aus den Ermittlungsakten. Ein Dokument darin rekonstruiert laut der Zeitung detailliert die Chronologie der Ereignisse vom Beginn der Verfolgungsjagd bis zu den ersten Vorfällen, an denen Jugendliche und Verwandte des Opfers beteiligt waren.
Nach eigener Aussage hatte demnach der Polizist, der nun unter Verdacht des Totschlags steht, am Dienstag vergangener Woche einen Mercedes bemerkt, der mit aufheulendem Motor auf der Busspur fuhr. Als der Mercedes AMG im normalen Verkehr anhalten musste, habe die Polizei einen ersten Versuch unternommen den Wagen zu stoppen. Einer der Polizisten habe mit eingeschalteter Sirene neben der Beifahrertür angehalten und dem Fahrer signalisiert, rechts ranzufahren.
In der Anklageschrift heißt es laut der Tageszeitung: "Der Fahrer beschleunigte jedoch abrupt und flüchtete. Verfolgt von den beiden Motorradfahrern war er mit hoher Geschwindigkeit unterwegs, mit plötzlichem Beschleunigen, missachtete rote Ampeln und überquerte Kreuzungen mit voller Geschwindigkeit und ohne Rücksicht auf Fußgänger ..." Nahel M. sei sogar absichtlich rübergezogen, als sich einer der Motorrad-Polizisten auf gleicher Höhe mit ihm befunden hätte. Auch sei der Wagen mehrmals in falscher Richtung unterwegs gewesen.
Polizist soll Nahel M. eine "Kugel in den Kopf" angedroht haben
Als der Mercedes mit Nahel M. am Steuer im Stau zum Stehen kommt, stiegen beide Polizisten von ihren Motorrädern und näherten sich mit gezogenen Waffen der Fahrerseite des Wagens, sagten sie selbst laut "Le Monde" aus. Einer von ihnen habe sich am Fenster der Fahrertür positioniert, der andere habe auf Höhe des linken Kotflügels gestanden und dabei seine automatische Waffe auf den Fahrer gerichtet.
Frankreich brennt: Krawalle nach tödlichem Polizeischuss stürzen das Land in eine Krise

In dieser Situation setzt laut der Tageszeitung ein Video ein, das ein Passant gedreht hat. Darin droht einer der Polizisten Nahel M. zweimal mit "einer Kugel in den Kopf". Geschossen hat nach Analyse von "Le Monde" allerdings der andere Polizist. Nach dem Schuss seien mehrfaches Hupen und das Aufheulen des Motors zu hören gewesen.
Widersprüche in den Aussagen der Polizisten
Eine Ungereimtheit hinterfragt die Staatsanwaltschaft laut der Tageszeitung: Im ersten Polizeibericht stünde, dass "der Polizeibeamte nach vorne ging, um ihn zu stoppen" und dass "der Fahrer versuchte, wieder wegzufahren, indem er auf den Beamten zufuhr". Diese durch das Video widerlegte Behauptung habe aber keiner der Polizisten im üblichen Funkkanal durchgegeben. Wie also soll der Verfasser des Einsatzberichtes das wissen?
Einer der Polizisten habe erklärt, dass er sich gegen den Bürgersteig und die Mauer hinter sich gedrängt sah. Er habe sofort angenommen, dass der Fahrer beschleunigen würde, obwohl sich sein Kollege zu diesem Zeitpunkt noch ins Fahrzeug beugte. Er habe sich – entgegen seiner ursprünglichen Absicht – entschieden zu schießen, um zu verhindern, dass Nahel M. jemanden überfährt oder seinen Kollegen "mitnimmt". Er habe auf den Unterleib und nicht auf den Oberkörper schießen wollen, sei aber durch den beschleunigenden Wagen aus dem Gleichgewicht geraten. Sein Kollege hat laut der zitierten Akte dieser Aussage teilweise widersprochen: So habe sich nur sein Arm im Inneren des Autos befunden. Diese Widersprüche muss nun ein Gericht aufklären.

Todesdrohungen gegen Polizisten
Laut den Ermittlungsakten seien die Minuten nach dem Tod Nahels "extrem angespannt" gewesen: Bei der Absicherung des Tatortes sollen "feindlich gesinnte Jugendliche" sowie Angehörige des Opfers vor Ort gewesen sein. Nahels Großmutter habe die beiden Motorrad-Polizisten bedroht: "Es gibt einen Terroristen, der sie alle erwischen wird Insch'Allah, ein Terrorist, der sie alle abschlachten wird."
Quelle: "Le Monde.fr" (Bezahlinhalt).