Das überflutete New Orleans droht in Anarchie zu versinken: Schüsse auf einen Militärhubschrauber und Brandstiftungen verzögerten am Donnerstag die Evakuierung des Superdomes. Bürgermeister Ray Nagin zog angesichts immer hemmungsloserer Plünderungen die Polizisten vom Rettungseinsatz ab und wies sie an, stattdessen für Ordnung zu sorgen. Weitere 10.000 Soldaten der Nationalgarde wurden in das Katastrophengebiet abkommandiert. US-Präsident George W. Bush sagte, seine Regierung habe die größte Hilfsaktion in der Geschichte der Vereinigten Staaten begonnen. Er kündigte eine Reise in das Katastrophengebiet an. Nagin erklärte am Mittwochabend (Ortszeit), er rechne nach dem Durchzug von Hurrikan "Katrina" mit tausenden Toten. Damit wäre dies die schwerste Naturkatastrophe in den USA seit dem Erdbeben von San Francisco im Jahr 1906.
Die Zustände im Superdome verschlechterten sich zusehends. Die Toiletten funktionierten nicht mehr, wegen des beißenden Gestanks trug das medizinische Personal Masken. 500 Hilfsbedürftige wurden mit Bussen in ein Stadion in Houston (Texas) gebracht. Es kam zu chaotischen Szenen, als tausende Menschen aus der Nachbarschaft herbeiströmten, um in die Busse zu gelangen. Dann stoppten Berichte von Schüssen auf einen Hubschrauber und absichtlich gelegte Feuer am Superdome die Evakuierung. Die Busse könnten nicht mehr nah genug an das Gebäude herankommen, erklärte ein Sprecher der Nationalgarde.
Später hieß es, Nichtbehinderte würden aber weiter nach Houston gefahren. Der Leiter des medizinischen Rettungsdienstes sagte, Sanitäter hätten ihn um Hilfe gebeten, weil sie sich vor Menschen mit Waffen im Stadion fürchteten. Die Nationalgarde wolle 100 Militärpolizisten zum Superdome schicken. "Das ist aber nicht genug. Wir brauchen 1.000."
Soldaten gegen Plünderer eingesetzt
Soldaten fuhren unterdessen in gepanzerten Fahrzeugen in die Stadt ein. Im gesamten Katastrophengebiet waren 28.000 Soldaten im Einsatz, so viele wie nie zuvor nach einer Naturkatastrophe in den USA. "Die Plünderer nähern sich den dichter besiedelten Gebieten, Hotels und Krankenhäusern. Wir werden das stoppen", sagte Bürgermeister Nagin. Aus New Orleans wurden Dutzende Raubüberfälle gemeldet.
In den Katastrophengebieten in den Südstaaten Louisiana, Mississippi und Alabama warten noch immer Tausende auf Rettung. Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit wachsen. Vielerorts fehlen Lebensmittel und sauberes Trinkwasser, Plünderer rauben Nahrungsmittel und Waffen aus Geschäften, Einbrecher räumen verlassene Häuser aus. "Die Lage ist schrecklich, es ist heiß und feucht", sagte Michael Brown, Chef der US-Behörde für Katastrophenmanagement.
Hilfslieferungen geraubt
Ein Lastwagen mit Medikamenten für ein Krankenhaus wurde überfallen und ausgeraubt. Polizisten sagten, auf sie sei geschossen worden. In Gretna bei New Orleans wurde ein Krankenhaus geschlossen, nachdem ein Lastwagen mit Hilfsgütern von Bewaffneten bedroht worden war. Es gab dutzende Fälle von Überfällen auf Autofahrer. Ein Polizist und ein Plünderer wurden durch Schüsse verletzt.
"Wir gehen davon aus, dass Tausende tot sind", sagte Senatorin Mary Landrieu aus Louisiana bei einer Pressekonferenz. "Wir wissen, dass es noch viele Tote im Wasser gibt, und weitere auf den Dachböden der Häuser", sagte Nagin. Die Stadt werde für ein bis zwei Monate nicht bewohnbar sein. Bislang halten sich noch rund 100.000 der 480.000 Einwohner in New Orleans auf.
Seuchengefahr wächst
Nach dem Bruch von zwei Dämmen strömte das Wasser weiter ungehindert in die Stadt, die bereits zu 80 Prozent in einer rotbraunen Suppe aus Abwasser, Benzin und Müll stand. Durch überflutete Straßen treiben Leichen, die Seuchengefahr wächst. Die US-Regierung rief den Gesundheitsnotstand aus, um eine der schlimmsten Naturkatastrophen in der Geschichte des Landes in den Griff zu kriegen. An einigen Stellen stand das Wasser sechs Meter hoch.
US-Präsident George W. Bush überflog einen Teil der Südküste und verschaffte sich einen persönlichen Eindruck der Lage. "Wir haben es mit einer der schlimmsten Katastrophen in unserer Geschichte zu tun", sagte er. Der verheerendste Hurrikan in der Geschichte der USA war im Jahr 1900 ein Wirbelsturm in Texas, in dem 6000 bis 12.000 Menschen ihr Leben verloren. Die durch "Katrina" verursachten Sachschäden sind nach Einschätzung der UN noch verheerender als bei dem Tsunami am Indischen Ozean im Dezember.
Häuser nicht mehr zu retten
Die meisten der überschwemmten Holzhäuser in New Orleans werden nach Expertenansicht nicht mehr zu retten sein. In den ärmeren Vierteln außerhalb des Stadtzentrums basierten die meisten Häuser auf billigem Holzständerwerk, das mit Pressholzplatten verkleidet sei, sagte der Münchner Bauingenieur Peter Henke, Vorsitzender der Vereinigung der Prüfingenieure für Baustatik. "Solches Holz quillt richtig auf und ist danach nicht mehr zu verwenden."
Deutschland bot den USA Unterstützung an, um der "entsetzlichen Naturkatastrophe" Herr zu werden, sagten Bundeskanzler Gerhard Schröder und Außenminister Joschka Fischer in Berlin. Auch Hollywoodstars und Musiker setzen sich mit Spendenaufrufen und Konzerten für die Hurrikan-Opfer ein. Verschiedene Hilfsorganisationen wie das Deutsche Rote Kreuz und Care International riefen auch hier zu Lande zu Spenden auf.