Lance Woodruff macht sich große Sorgen um seine Familie. "Mein Haus in Rangun ist völlig zerstört und das der Familie meiner Frau ist schwer beschädigt. Wir haben alles verloren", sagt der derzeit in Bangkok lebende Amerikaner. Über das Schicksal seiner Familie und seiner Verwandten hat Woodruff keine Informationen. Die Telefonleitungen in Myanmar sind fast vollständig zusammengebrochen. Der mit einer Myanmarerin verheiratete Woodruff hofft inständig, dass seine Frau und seine sechsjährige Tochter wohlauf sind. "Die beiden waren auf dem Land nördlich von Rangun. Da war der Wirbelsturm schon schwächer."
Vor vier Tagen fegte Zyklon "Nargis", der tropische Wirbelsturm, mit der mörderischen Geschwindigkeit von bis zu 190 Kilometern in der Stunde vom Golf von Bengalen aus über das Delta des Flusses Irrawaddy und Myanmars Hauptstadt Rangun hinweg. Seither werden die Nachrichten aus den Katastrophengebieten immer bedrückender. "Alleine in Laputto im Irrawaddydelta sind mehr als 10.000 Menschen ums Leben gekommen", sagt in Bangkok James East, Sprecher der internationalen Hilfsorganisation "World Vision" und fügt unter Berufung auf Mitarbeiter vor Ort hinzu: "Von Hubschraubern aus sind Berge von Leichen zu sehen. Das ist die schlimmste Katastrophe in Asien seit dem Tsunami." Die Zahl der Toten ist nach offiziellen Angaben auf über 22.400 gestiegen. Das staatliche Fernsehen meldete weiter, 41.000 Menschen würden vermisst.
Spendenkonten
Zahlreiche Hilfsorganisationen haben zu Spenden für das vom Zyklon "Nargis" verwüstete südostasiatische Land Birma aufgerufen. Hier einige Spendenkonten: Welthungerhilfe: Stichwort "Nothilfe Myanmar/Birma" Konto 1115, Sparkasse KölnBonn BLZ: 370 501 98 Deutsches Rotes Kreuz: Stichwort "Zyklon" Konto 41 41 41, Bank für Sozialwirtschaft BLZ 370 205.00 Misereor: Stichwort "Zyklon Myanmar" Konto 10 10 10 Paxbank BLZ 370 601 93 Aktion Deutschland Hilft: Stichwort "Zyklon Birma/Myanmar" Konto 10 20 30, Bank für Sozialwirtschaft BLZ: 370 205.00 Bündnis Entwicklung hilft: Stichwort "Zyklon Birma" Konto 51 51, Bank für Sozialwirtschaft BLZ: 370 205.00 Diakonie Katastrophenhilfe: Stichwort "Zyklon Birma" Konto 502 707, Postbank Stuttgart BLZ 600 100 70 Caritas International. Stichwort "Zyklon Birma" Konto 202, Bank für Sozialwirtschaft Karlsruhe BLZ 660 205.00 humedica: Stichwort "Nothilfe Myanmar" Konto 47 47, Sparkasse Kaufbeuren BLZ: 734 500.00, Christoffel-Blindenmission (CBM): Stichwort "Birma" Konto 2020, Bank für Sozialwirtschaft BLZ 370 205.00 Kindernothilfe: Stichwort "Zyklon Birma" Konto 45 45 40, KD-Bank Duisburg BLZ: 350 601 90
Spur der Verwüstung
"Nargis" hat Häuser, Schulen, Krankenhäuser zerstört. Hunderttausende Menschen sind obdachlos geworden. Alleine in der Region Laputto hätten 78.000 Menschen Haus und Hof verloren, schätzt "World Vision". In Rangun, einer Stadt mit mehr als fünf Millionen Einwohnern, ist die Versorgung mit Wasser und Elektrizität weitgehend zusammengebrochen. Die Hilfsorganisation befürchtet den Ausbruch von Krankheiten und Seuchen. "Das größte Problem im Augenblick sind die zerstörte sanitäre Infrastruktur und das Fehlen von sauberem Wasser", warnt East. Unicef befürchtet, dass vor allem Frauen und Kinder Opfer von "Nargis" geworden sind. "Frauen und Kinder machen 60 Prozent der Bevölkerung Myanmars aus", sagt eine Unicef-Sprecherin in Bangkok.
Die Hilfe für die Betroffenen läuft nur sehr schleppend an. Myanmarer klagen gegenüber den Exilorganisationen und Exilmedien in Thailand über Untätigkeit der Behörden und der Armee in Myanmar. Augenzeugen in Rangun sagten, ohne ihre Namen zu nennen, dem im thailändischen Chiang Mai erscheinenden Exilmagazin "Irrawaddy", die 400.000 Mann starke Armee unternehme bisher kaum was, um den Opfern des Wirbelsturms zu helfen. Einer fragte sarkastisch: "Wo sind all diese Uniformierten, die immer bereit sind, Zivilisten zu verprügeln? Sie sollten herkommen, bei den Aufräumungsarbeiten helfen und die Stromversorgung wieder herstellen."
Massenmord an Häftlingen
Zu einem Massenmord ist es nach Angaben der gewöhnlich gut informierten "Assistance Association for Political Prisoners in Burma" (AAPPB) im berüchtigten Gefängnis Insein in Rangun gekommen. Die Gefängniswärter hätten in den frühen Morgenstunden des 3. Mai wahllos auf 1500 Häftlinge geschossen, die panisch aus Angst vor dem Wirbelsturm gefordert hätten, in Sicherheit gebracht zu werden, berichtet AAPPB-Sprecher Ko Kyi, selbst ein ehemaliger politischer Häftling in Insein. "36 Häftlinge starben auf der Stelle und mindestens 78 sind verletzt worden", sagt Bo Kyi von seinem Exil in Maesot an der thailändisch-myanmarischen Grenze zu stern.de. In den Tagen danach seien die Häftlinge für ihren "Aufstand" schwer bestraft worden. "Vier wurden zu Tode gefoltert und 98 Gefangene, darunter vier Mitglieder der Oppositionspartei Nationale Liga für Demokratie, sind in Einzelhaft gesperrt worden."
Im Insein-Gefängnis sind auch viele der Anführer des Massenaufstands vom September vergangenen Jahres gegen das verhasste Militärregime inhaftiert. Bo Kyi schätzt, dass die Zahl der politischen Gefangenen in Myanmar sich seit der blutigen Niederschlagung der Revolution auf 2000 verdoppelt hat. Nach dem Ende der von buddhistischen Mönchen angeführten "Saffranrevolution", so benannt nach der Farbe der Mönchsroben, verschwand Myanmar aus den Schlagzeilen.
Die Junta in Myanmar zeigte unterdessen allen Vermittlungsversuchen durch UN-Birmasonderbotschafter Ibrahim Gambari die kalte Schulter. Statt einen ehrlichen Dialog mit der seit 18 Jahren fast ununterbrochen unter Hausarrest stehen Oppositionsführerin Suu Kyi und ihrer Partei Nationale Liga für Demokratie zu suchen, machte die Junta Jagd auf Oppositionelle und verhaftete Regimekritiker. Starr halten die Generäle an ihrer "Roadmap zur Demokratie" fest. Als nächster Stopp in diesem Fahrplan ist der kommende Samstag vorgesehen. Am 10. Mai sollen die Myanmarer über den von der Junta geschriebenen Verfassungsentwurf abstimmen.
Die Verfassung schreibt die Macht des Militärs fest. Ein Viertel der Sitze des Parlaments, das 2010 gewählt werden soll, sind für das Militär reserviert. Mit einer "Lex Suu Kyi" wird es Myanmarern, die mit einem Ausländer verheiratet sind, verboten, sich zur Wahl zu stellen. Die seit 18 Jahren fast unterbrochenen in ihrem Haus in Rangun unter Arrest stehende Friedensnobelpreisträgerin Suu Kyi war mit dem bereits verstorbenen Engländer Michael Aris verheiratet. "Der Verfassungsentwurf ist eine Farce", sagt David Mathieson, in Bangkok lebender Myanmar-Experte der Menschenrechtsorganisation "Human Rights Watch".
Abstimmung manipuliert
Auch jetzt nach dem Wirbelsturm "Nargis" hält die Junta an dem Termin 10. Mai für das Referendum fest. "Das ist lächerlich und grotesk", sagt Naing Aung, Generalsekretär des im thailändischen Maesot beheimateten "Forum for Democracy in Burma" (FDB). "Das Militärregime sollte das Referendum aussetzen und stattdessen einen 'Nationalen Trauertag' ausrufen." Naing Aung befürchtet jedoch, dass die Regierung das Chaos durch "Nargis" nutzen wird, um das Abstimmungsergebnis zu manipulieren. Schon in den Wochen vor dem Zyklon hatte die Junta alles getan, um das Volk zu einem "Ja" zu zwingen. In Rangun gingen Polizisten von Haus zu Haus, um die Menschen zu einem "Ja" zur Verfassung zu "überreden". Den staatlichen Medien ist es verboten, über die "Vote No"-Kampagne der Oppositionsgruppen zu berichten. Wer es trotzdem wagt, öffentlich für ein "Nein" zu werben, wird verhaftet. Staatsunternehmen haben ihre Mitarbeiter bereits vor dem offiziellen Referendumsdatum zur Abstimmung gezwungen
Kaum jemand in Myanmar weiß wirklich, was in der Verfassung steht. Der Entwurf ist nur käuflich zu erwerben zum Preis von einem US-Dollar. Das ist unerschwinglich in einem Land, in dem 90 Prozent der Familien von weniger als zwei Dollar am Tag leben und 80 Prozent ihres Einkommens für Nahrungsmittel ausgeben müssen. Die Ernährungssituation hat sich in Myanmar, das vor der Machtübernahme des Militärs 1962 das wohlhabendste Land und die Reisschüssel Südostasiens war, nach dem Wirbelsturm dramatisch verschlechtert. "Der Wirbelsturm hat Reisvorräte vernichtet", sagt Naing Aung. Auf den Märkten Ranguns seien seit "Nargis" die Preise bereist um bis 70 Prozent gestiegen.
Nach dem Tsunami vom Dezember 2004 verweigerte das Regime den als "Agenten des Neokolonialismus" angefeindeten internationalen Hilfskräften die Einreise und stellte so niedrige Zahlen über die Opfer zur Verfügung, dass sie von ausländischen Organisationen angezweifelt werden. Jetzt aber hat - nach anfänglichem Zögern - die Militärjunta um internationale Hilfe bei der Bewältigung der Folgen der Katastrophe gebeten. "Das ist ein gutes Zeichen", sagt Naing Aung.
Von Zelten, Decken, Medikamenten bis zu Nahrungsmitteln für die Betroffenen fehlt es an allem. "Die Regierung hat gar um die Lieferung von Kettensägen gebeten, um die Straßen von den Tausenden entwurzelten Bäumen freiräumen zu können", sagt James East von "World Vision". Ein Mangel an Kettensägen ist ein schlechtes Zeichen für den Zustand der Katastrophenhilfe in einem Land, in dem die Regierung nach Expertenschätzungen 40 Prozent des Staatshaushalts für Waffen ausgibt, mit denen sie die eigene Bevölkerung in Schach hält und Kriege gegen ethnische Minderheiten wie die Karen führt.
Der tropische Wirbelsturm könnte leicht in einen politischen Taifun umschlagen, der die Militärdiktatur hinwegfegen könnte, wenn es aus Frust über das schlechte Katastrophenmanagement der Junta-Generäle und Verzweifelung über die Preise zu Nahrungsmittel zu neuen Massenprotesten kommt. Oder die Myanmarer am Samstag das Referendum als Volksabstimmung gegen die Junta nutzen.