Baum-Haltung (Vskasana): Mit festen Wurzeln zum Himmel streben
Einst war ein weiser Mann namens Markandeya in tiefer Meditation versunken, als ein zerstörerischer Sturm über die Erde fegte. Das Unwetter brachte eine Sintflut mit sich, die das Ende des Zeitalters einläuten würde. Aufgrund der inneren Ruhe, die er kultiviert hatte, sah Markandeya dem Ende ohne Angst entgegen. Bald riss die gewaltige Strömung ihn fort und trug ihn zu einem Banyan-Baum. Der Weise wunderte sich, wie dieser Baum im Wasser überleben und sogar gedeihen konnte. Wie hypnotisiert näherte er sich dem Baum und bemerkte, dass auf einem seiner Äste ein lächelndes Kind saß. Das Kind atmete tief ein und schon fand Markandeya sich in der nächsten Welle wieder, doch dieses Mal zog ihn nicht das Wasser, sondern die Strömungen der Luft – geradewegs in den Mund des Kindes: Der Weise wurde von der rätselhaften Kreatur eingesogen. Im Mund des Kindes erblickte Markandeya die Erde, wie sie vor der Flut war: Dschungel, Berge, Täler, den Himmel, die Sonne und den Mond. Da wurde ihm klar, dass er sich im Mund des Gottes Visnu, dem Bewahrer der Erde, befinden musste. Mit dem nächsten Ausatmen des Kindes wurde der Weise zurückgespült zu dem Baum, an dem er in meditativer Pose verharrte und Trost inmitten der Zerstörung fand. Der Baum ist laut Buch-Autor Raj Balkaran in mehrfacher Hinsicht ein Symbol tiefer Weisheit. "Damit Menschen erfüllt leben, müssen sie wie Bäume kontinuierliche wachsen", schreibt der Sanskrit-Wissenschaftler. Der Baum streckt sich gen Himmel, zum Reich der Göttlichkeit, der Ideen, Ideale und Wahrheiten. Der Mensch solle es dem Baum gleichtun: Wachsen, in dem Bemühen, den Himmel zu berühren. Gleichwohl ist das Streben nach oben nur aufgrund stabiler Wurzeln möglich, die dem Baum den nötigen Halt verleihen. Das Wachstum des Baumes ist abhängig von seinem geerdeten Stand. Gleichzeitig sind die Wurzeln ein Zeugnis für die Fruchtbarkeit der Erde, da der Baum durch sie Feuchtigkeit und Nahrung aufnimmt. Im Gegenzug gibt der Baum der Erde einen reichen Ertrag zurück: Sauerstoff, Früchte, Nüsse, Schatten. Der Baum steht deshalb sinnbildlich für den Kreislauf des Lebens.
© Devika Menon