Lee White stammt aus Manchester. Der gebürtige Brite kennt daher die Mentalität in den reichen Industrienationen, auch wenn er viele Jahre seines Lebens in Afrika verbracht hat. Seit 2019 ist der 57-jährige Wissenschaftler Minister für Wasser, Wälder, Meer und Umwelt in Gabun. In sein Ressort fällt auch der Klimaplan des zentralafrikanischen Küstenstaats. Vor dem nächsten Weltklimagipfel, der in einer Woche im ägyptischen Scharm el Scheich beginnt, nimmt White kein Blatt vor den Mund. Der Kampf gegen den Klimawandel werde erst Fahrt aufnehmen, wenn die reichen Industrienationen die Katastrophe schmerzhaft zu spüren bekämen, ist er überzeugt.
"Es ist schlimm das zu sagen", zitierte der britische "Guardian" den Minister, "aber ehe nicht mehr Menschen in den entwickelten Ländern wegen des Klimawandels sterben, wird sich nichts ändern." Ereignisse wie die Dürre und Hungersnot am Horn von Afrika oder extreme Hitze, gefolgt von extremen Fluten in Pakistan zeigten in diesem Jahr das ganze Ausmaß der Klimakrise. Trotzdem lösten diese Katastrophen nichts aus. "Aber mit einer Einmal-in-500-Jahren-Trockenheit in Europa, Bränden in Frankreich und der New Yorker U-Bahn, die zu Niagarafällen wird, sind wir vielleicht an einem Punkt, an dem die Dinge schlimm genug sind, dass die entwickelten Nationen anfangen, die Klimakrise ernster zu nehmen."
Klimagipfel: Industrienationen brechen ihre Versprechen
Wenig hoffnungsvolle Worte vor einem mit großen Hoffnungen besetzten Gipfel. Die Vereinten Nationen haben die COP27 als "afrikanischen Klima-Gipfel" gelabelt. Das soll betonen: Anders als bei der letzten Konferenz in Glasgow sollen diesmal, auf einem von den Folgen des Klimawandels bereits schwer gebeutelten Kontinent, die Nöte und Bedürfnisse der ärmeren Staaten das Schlüsselthema sein. Die Nöte jener Länder, die wenig zur Klimakatastrophe beitragen, aber schon jetzt besonders stark unter den Folgen leiden.
Denn die Hilfen in einer Größenordnung von rund 100 Milliarden Euro für die Länder, die nicht über die Wirtschaftskraft verfügen, sich auf den Klimawandel einzustellen, sind seit langem versprochen. Bis heute ist aber trotz höchster Dringlichkeit nur wenig angekommen. "Es zerstört die Glaubwürdigkeit, die sie [die reichen Industrienationen] meinen zu haben", sagte Saleemul Huq, Klimagipfel-Verhandler der ersten Stunde und weltweit anerkannter Advokat der ärmeren Länder, dem stern nach der COP in Glasgow. "Sie haben sich dafür entschuldigt. Sie scheinen zu glauben, das sei in Ordnung. Es ist ihnen egal."
"Sinking Islands": Diese Inselstaaten gehen jetzt schon unter

Eine Frau geht über einen Wall von Sandsäcken in Guraidhoo. Die Sandsäcke wurden nicht als Vorbeugung gegen eine Überflutung aufgeschichtet, sondern als Schutz gegen die fortschreitende Erosion. Die hierzulande vor allem als Urlaubsparadies im Indischen Ozean bekannte Republik aus 1200 Inseln gehört zu den am tiefsten liegenden Staaten der Welt – in den tiefsten Lagen sind es nur anderthalb Meter. Der steigende Meeresspiegel sorgt längst für eine fortschreitende Erosion, die Inseln werden regelrecht Stück für Stück abgetragen. Die Heimat einer guten halben Million Menschen geht auf diese Weise langsam unter.
Morgan: Brauchen Solidarität mit armen Ländern
Dass es diesmal anders wird, dafür will sich die Bundesregierung in Scharm el Scheich nach eigenem Bekunden einsetzen. Das sagte zumindest die Staatssekretärin für internationale Klimapolitik im Auswärtigen Amt, Jennifer Morgan, in einem Interview mit der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". "Wir brauchen Solidarität mit den Ländern, die durch den Klimawandel besonders stark getroffen werden", so die ehemalige Greenpeace-Chefin. Gute Absichten wurden auch bei früheren Klimagipfeln schon reichlich formuliert, die Ergebnisse waren meist dünn. "Wieder und wieder haben sich die Industrienationen verpflichtet und nicht geliefert", kritisierte White. "Sie haben sich verpflichtet, die Emissionen zu reduzieren, und sie liefern nicht ausreichend. Sie haben sich zur Finanzierung verpflichtet und diese Finanzierung scheint nie zustande zu kommen", so der gabunische Umweltminister.
"Wir haben das Problem nicht verursacht, und daher würde man ein aufrichtigeres Engagement von den Industriestaaten erwarten, und man würde erwarten, dass sie ihr Wort und ihre Verpflichtungen einhalten", ergänzte White. Stattdessen aber setzte der neue britische Premierminister Rishi Sunak ein fatales Zeichen, indem er kurz nach seiner Amtsübernahme verkündete, gar nicht erst zur COP nach Ägypten zu reisen. "Drängende innenpolitische Fragen" hielten ihn davon ab, ließ Sunak wissen. Obwohl seine Begründung nach den jüngsten Regierungskrisen nachvollziehbar ist, gab der Premier damit indirekt Kritikern wie White und Huq recht, die bemängeln, dass die Regierungen der reichen Staaten der Klimakrise weiterhin nicht die erforderliche Priorität einräumten. "Ich bin sehr enttäuscht, dass der Premierminister nicht fährt", übte auch der noch amtierende Präsident der Weltklimakonferenz, der Brite Alok Sharma, in der Sonntagszeitung "Sunday Times" Kritik.
Greta Thunberg bleibt "Greenwashing" fern
Ein weiterer Schlag für die Hoffnungen der auf Hilfe dringend angewiesenen Länder ist, dass auch Klimaaktivistin Greta Thunberg der COP fern bleiben wird. "Ich gehe aus vielen Gründen nicht zur COP27, aber der Raum für die Zivilgesellschaft ist in diesem Jahr extrem beschränkt", sagte die Schwedin dem britischen "Guardian". Klimaproteste auf der Straße wird es in Ägypten bestenfalls eingeschränkt geben können, wenn überhaupt. Doch ein weiterer Punkt hält die Begründerin der "Fridays for Future"-Bewegung von der Reise nach Scharm el Scheich ab. Bei den Klimakonferenzen würden "viele verschiedene Arten von Greenwashing" eingesetzt. Die Gipfel seien "nicht wirklich dazu gedacht, das ganze System zu ändern", sondern ermutigten stattdessen zu allmählichem Fortschritt, sagte die 19-Jährige bei der Vorstellung ihres "Klima-Buchs". "So wie sie sind, funktionieren die COPs nicht wirklich, es sei denn, wir nutzen sie als Gelegenheit zur Mobilisierung."
Eine der wenigen hoffnungsvollen Stimmen kam von einem Mann, der allerdings zum Optimismus verpflichtet ist: dem Präsidenten des Gastgeberlandes. "Ich bin zutiefst davon überzeugt", schrieb Abdel Fattah El-Sisi auf der Webseite des Gipfels, "dass die COP27 eine Gelegenheit ist, Einigkeit gegen eine existenzielle Bedrohung zu demonstrieren, die wir nur durch konzertierte Aktionen und effektive Umsetzung überwinden können." Doch auch sein Außenminister Samih Schukri, der die erste Klimakonferenz auf afrikanischem Boden leiten wird, weiß um die Zwangslage, in der sich die ärmeren Länder mehr und mehr befinden. Die bisherigen Hilfen seien "ohne wirklichen Einfluss" im Kampf gegen die Erderwärmung, sagte Schukri der Deutschen Presse-Agentur. "Ich will die Verpflichtungen nicht kleinreden. Aber 100 Milliarden US-Dollar im globalen Maßstab, im Maßstab der Fähigkeiten der Industrieländer, deren Budgets teilweise Billionen Dollar erreichen – das ist winzig."
Quellen: "Guardian"; "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" (Bezahl-Inhalt) ; "The Times" (Bezahl-Inhalt); COP27; Nachrichtenagenturen DPA und AFP