Für die Entwicklungsländer steht bei der Klimakonferenz auf Bali vor allem der Technologietransfer im Vordergrund. Wer sie dazu auffordere, den Treibhausgasausstoß zu senken, müsse ihnen auch dabei helfen, und zwar mit moderner Technologie. Aber dabei geht es nicht nur um grüne Technologien wie etwa Windräder oder Solaranlagen. Viele Länder Südostasiens setzen bei ihrer zukünftigen Energieversorgung vor allem auf Atomkraft. Was in Deutschland und anderen europäischen Ländern seit Jahren heftige Debatten über Sicherheitsrisiken und Entsorgungsprobleme auslöst, ist in den meisten asiatisch-pazifischen Ländern gerade groß in Mode. Es ist einfacher, die südostasiatischen Länder aufzuzählen, die noch nicht die Atomkraft mindestens als Option für die nächsten 15 bis 20 Jahre politisch verkündet haben: Kambodscha, Laos und Birma. Alle anderen von Vietnam über Thailand bis zu den Philippinen wollen Atommeiler bauen.
Am weitesten vorangeschritten sind die atomaren Ambitionen Indonesiens. Der Bau des ersten Atomkraftwerks mit südkoreanischer Technologie ist beschlossene Sache. Drei weitere sollen folgen. Mit dem Bau des ersten AKWs soll in zwei Jahren auf der Halbinsel Muria auf Java begonnen werden - im Schatten des 1600 Meter hohen Vulkans Murio. Eine furchterregende Vorstellung für Umweltschützer und die Menschen in der Region. Der Murio ist seit 3000 Jahren nicht mehr ausgebrochen, Grund genug für die Behörden zu versichern, das Kernkraftwerk werde auf sicherem Grund stehen. Die Menschen aber haben Angst.
"Zentraljava ist erdbebengefährdet."
Erdbeben und Vulkanausbrüche gehören auf Java zur Tagesordnung. Erst am 7. Dezember erschütterte ein Beben der Stärke 5,4 auf der nach oben offenen Richterskala Teile von Java. Im Mai 2006 wäre fast der Vulkan Merapi ausgebrochen, der als einer der gefährlichsten Vulkane der Welt gilt. Er ist nur 180 Kilometer von Muria entfernt. Am Fuß des Merapi liegt die Millionenstadt Yogyakarta, die im vergangenen Jahr von einem schweren Erdbeben heimgesucht wurde, das 5000 Menschenleben gekostet hat. "Zentraljava ist erdbebengefährdet. Die Behauptung der Regierung, dass Jepara erdbebensicher sei, stimmt nicht hundertprozentig", weiß Fitrian Ardyansyah, klima- und energiepolitischer Experte der Umweltschutzorganisation WWF Indonesia. Neueste wissenschaftliche Untersuchungen hätten einen Riss in der Erde in Muria entdeckt. "Das macht Muria zu einem extrem riskanten Standort. Die Wahrscheinlichkeit eines Erdbebens ist sehr hoch." Ein Beben könne die Baustruktur eines Reaktors beschädigen und dadurch Radioaktivität austreten lassen. Der Fallout eines solchen Unfalls werde massiv und je nach Windrichtung bis Singapur und Malaysia oder bis nach Australien reichen, befürchtet Fitrian Ardyansyah. Eine Katastrophe wäre ein Reaktorschaden auf jeden Fall für Java, wo etwa die Hälfte der mehr als 200 Millionen Indonesier leben.
Lange Zeit galt das Thema AKW in Südostasien als ein politisches Tabu. Der Bau eines Reaktors im philippinischen Bataan wurde Ende der achtziger Jahre in letzter Minute gestoppt. "Das war noch ein Projekt von Präsident Ferdinand Marcos. Nach dessen Sturz hat Nachfolgerin Cory Aquino den Bau des zu 98 Prozent fertig gestellten Atomreaktors aus Sicherheitsgründen beendet", erinnert sich die katholische Nonne Schwester Aida, die seinerzeit eine der führenden Aktivistinnen gegen das Atomkraftwerk war. "Ich hatte den Spitznamen ‚Nuklearschwester", grinst die 65 Jahre alte Nonne, die als Mitglied des "Philippinischen Klimanetzwerkes" an der Klimakonferenz in Bali teilnimmt.
Wie Java gehören auch die Philippinen zum pazifischen Feuerring, einer tektonisch höchst unruhigen Region mit vielen Erdbeben und vielen Vulkanen. Die Region Bataan wird von Vulkanen dominiert. Da ist der Mariveles, der Natib und der Pinatubo. Der hat 611 Jahre geschlafen, bis er am 12. Juni 1991 mit Urgewalt ausbrach. Zehntausende Menschen mussten evakuiert werden, 875 starben, die umliegenden Gebiete wurden durch glühende Lavaströme und Ascheregen zerstört. Weltweit war monatelang schwefelhaltiger Nebel in der Atmosphäre, und die Temperatur sank zeitweise um 0,5 Grad. Nicht auszudenken, was hätte passieren können, wenn ein Atomkraftwerk in der Nähe gestanden hätte.
Von den 20 Atomkraftwerken, die zurzeit weltweit gebaut werden, befinden sich 16 in Ost- und Südostasien. Die meisten davon in Indien und China. Die Chinesen wolle bis 2020 ihren den Anteil von Atomstrom von jetzt etwa einem auf drei Prozent steigern. Vietnam plant den Bau von vier Atomkraftwerken, die knapp fünf Prozent seines Strombedarfs liefern sollen. Greenpeace fordert die südostasiatischen Staaten auf, auf Kernenergie zu verzichten und stattdessen die reichen natürlichen Ressourcen wie Sonne oder Erdwärme zu nutzen. Das sei sicherer und billiger. "Atomenergie kostet 10 bis 15 US-Cent. Energie aus Erdwärme nur fünf Cent", betont Nur Hidayati, Energieexpertin von Greenpeace Indonesia. Hidayati weist darauf hin, dass Indonesien nach Neuseeland das zweitgrößte Potenzial an Erdwärme hat.
In Indonesien formiert sich der Widerstand. Es sind nicht nur die Menschen vor Ort und Umweltorganisationen wie der WWF oder Greenpeace, die das Kraftwerk verhindern möchten. Unterstützung kommt auch von der religiösen Seite. Muslimische Gelehrte der Nahdlatul Ulama, Indonesiens größter moslemischer Organisation, haben eine Fatwa gegen den Bau des AKWs beschlossen.