In einem hitzigen Sommer für die Linke musste Dietmar Bartsch in den Norden fahren, um einen kühlen Kopf zu bewahren: Er verbrachte Zeit mit seiner Familie an der Ostsee. Dort habe er vor wenigen Tagen dann endgültig entschieden, nicht wieder für den Fraktionsvorsitz der Linken anzutreten, sagte Bartsch am Mittwoch.
Nach der Entscheidung verschickte er eine Mail an seine Fraktion – und trat dann für ein paar wenige Sätze an die Öffentlichkeit.
Die Nachricht, dass ihr langjähriger Vorsitzender hinschmeißt, erwischte nicht wenige der Abgeordneten mitten im Urlaub. So auch den einstigen Parteichef Bernd Riexinger. Die Abgeordneten müssten sich jetzt zusammenraufen, sagt er am Telefon. Zumindest die, die vorhaben, in der Partei zu bleiben.
Seit Monaten droht das Lager von Sahra Wagenknecht, eine eigene Partei zu gründen. Der Zeitpunkt von Bartschs Rückzugs-Ankündigung ist für die Partei daher politisch heikel. Er galt vielen Beobachtern als einer der letzten mit Bindekraft. In der Partei heißt es, Bartsch habe in der Vergangenheit Absprachen mit Wagenknecht-Anhängern getroffen, um den Laden zusammenzuhalten.
Und nun?
"Es ist nicht mehr die Frage ob, sondern wann diese Fraktion auseinanderbricht", sagt der Politikwissenschaftler Constantin Wurthmann dem stern.
Die Fraktion zittert um Geld und Einfluss
Wurthmanns Studie über das erstaunliche Wählerpotenzial einer Wagenknecht-Partei machte vor ein paar Wochen Schlagzeilen. Im Juni hatte die polarisierende Linke-Politikerin verkündet, sie würde bis zum Jahresende über die Parteigründung entscheiden. Daraufhin hatte sich die Linke-Parteispitze einstimmig distanziert: "Die Zukunft der Linken ist eine Zukunft ohne Sahra Wagenknecht", sagte Parteichefin Janine Wissler damals.
Obwohl die Partei sich klar von Wagenknecht losgesagt hat, ist einigen daran gelegen, dass die Fraktion es nicht tut: Denn wenn nur 3 der 39 Mitglieder die Fraktion verließen, verlöre die Linke im Bundestag ihren Fraktionsstatus und somit wichtige Posten, Geld und Einfluss. Erst vor wenigen Tagen hatte Bartsch seine abtrünnigen Parteifreunde davor gewarnt, aus der Fraktion auszutreten.
Wer könnte in Zukunft noch warnen? Oder ist es nicht sogar besser, wenn die Linke auch in der Fraktion den Bruch riskiert und sich neu aufstellt?
Diese Fragen treiben gerade nicht nur Linke um. Denn die Entwicklung der linken Partei(en) könnte die politische Zukunft des Landes verändern. Sie könnte Wähler in die Arme der AfD treiben – oder sie in einer neuen Partei sammeln. Sie könnte die Union dazu bewegen, mit einer reformierten Linken zu koalieren – um bei den anstehenden Landtagswahlen im Osten überhaupt regierungsfähig zu sein.
Doch wie geht es jetzt weiter? Ende August kommt die Fraktion zu einer Klausur zusammen, viele der Abgeordneten treffen sich das erste Mal nach der Sommerpause wieder. "Gespräche werden aber schon vorher laufen", sagt Riexinger.
Es klingt, als würde das Schicksal der Linken schon in den nächsten Wochen entschieden. "Die Abgeordneten, die in der Fraktion bleiben und nicht in eine neue Partei wechseln, müssen eine gemeinsame Lösung aushandeln", sagt Riexinger. Diese müsse auch tragfähig sein, wenn Abgeordnete die Fraktion verlassen und man mit weniger als 37 Sitzen im Parlament viele Privelegien verliere und nur noch als Gruppe gelte.
Wer könnte Dietmar Bartsch folgen?
Politikwissenschaftler Wurthmann findet für die anstehende Klausur drastische Worte: Es könnte zu einem "Scherbengericht" kommen, bei dem nur noch verhandelt würde, wer wie möglichst unbeschadet der aktuellen Lage entkommt. Für die betroffenen Abgeordneten, so Wurthmann, gehe es ums politische Überleben.
Die Vorstandswahl der Fraktion ist für den 4. September geplant. Dann muss nicht nur für Dietmar Bartsch, sondern auch für Amira Mohamed Ali eine Nachfolge gefunden werden. Mohamed Ali hatte Anfang August ebenfalls angekündigt, nicht erneut für den Vorsitz zu kandidieren. Riexinger hält sich selbst nicht für geeignet, die Fraktion in die ungewisse Zukunft zu führen. Er stehe nicht für das, was es jetzt brauche, sagt er - "einen absoluten Neuanfang".
"Wer die Linksfraktion jetzt übernimmt, kann mit ihr untergehen – oder das Ruder rumreißen", sagt Wurthmann. Anders als Riexinger, der zwar Ideen für eine Nachfolge hätte, aber keine Namen nennen will, hat Wurthmann zumindest einen im Kopf, der ausreichend bekannt und beliebt wäre, um die Linke ein letztes Mal nach vorne zu retten: Gregor Gysi. Aber ganz gleich, wer es am Ende wird: Es steht ein weiterer Richtungswechsel an, der wieder einige aus der Kurve werfen wird.
"Sehr viele haben mich bedrängt"
Eigentlich wollte Dietmar Bartsch bereits an seinem 65. Geburtstag Ende März verkünden, dass er nicht weiter seine gespaltene Fraktion als Vorsitzender zusammenhalten werde. Doch dann, so erzählt er es am Mittwoch, habe man von allen Seiten auf ihn eingeredet: "Sehr viele haben mich bedrängt, eine andere Entscheidung zu treffen" – gedrängt, wollte er wohl sagen. Vielleicht ein Freud’scher Versprecher. Denn Bartsch muss in den letzten Wochen unter enormen Druck gestanden haben, seinen Posten auch nach acht Jahren weiter zu halten.
Bartsch war eine der bedeutendsten Figuren in der Linkspartei, bekleidete über Jahrzehnte hohe Ämter. Immer wieder hatte Bartsch sich für eine Rente ab 65 eingesetzt – es scheint, als würde er diese Forderung nun zumindest für sich selbst umsetzen.
Dass er dadurch das Ende der gesamten Linkspartei einläuten könnte, wie manche auf Twitter behaupten, ist wohl übertrieben. Aber er räumt das Feld, auf dem nun ein zermürbender Krieg geführt werden kann – oder etwas Neues entsteht.