Neue Parteichefin? Wagenknechts Geheimwaffe – der verrückte Aufstieg der Amira Mohamed Ali

Amira Mohamed Ali (l.) und Sahra Wagenknecht
Amira Mohamed Ali (l.) und Sahra Wagenknecht: Kann das als Duo klappen?
© John MACDOUGALL / AFP
Amira Mohamed Ali hat eine politische Blitzkarriere hingelegt. Jetzt könnte sie zur Vorsitzenden der Wagenknecht-Partei aufsteigen. In der Linken reibt man sich verwundert die Augen: Bitte was?

Damals, Ende Oktober, hätte man vielleicht schon ahnen können, dass sie wieder nach oben will. Dass ein neuer Aufstieg auf sie wartet, er womöglich schon abgemacht ist. Ein Montag, die Bundespressekonferenz in Berlin. Sahra Wagenknecht stellt ihre Pläne für eine eigene Partei vor. Aber Wagenknecht schweigt erstmal. Stattdessen redet sie – Amira Mohamed Ali.

„Vor Ihnen sitzt der Vorsitz dieses Vereins“, sagt Mohamed Ali zur Begrüßung. „Ich bin die Vorsitzende.“ Es klingt, als sei die ganze Veranstaltung ihre Idee gewesen, nicht die jener Frau, deren Namen das Bündnis trägt, das die Parteigründung vorantreibt. Wagenknecht, die links neben Mohamed Ali sitzt, lächelt, als ihre Mitstreiterin mit ernster Stimme den angeblich „notwendigen Schritt“ ausbuchstabiert, eine neue politische Kraft zu gründen. Unausweichlich sei der gemeinsame Austritt aus der Linksfraktion gewesen, jener Fraktion, deren Vorsitzende sie eigentlich noch ist, sagt sie. Die Linke verschwinde in der „Bedeutungslosigkeit“. Es sind Sätze, die sitzen.

Klar, das neue, linksnationale Projekt, das Anfang kommenden Jahres starten soll, hängt an Wagenknecht. Aber Mohamed Ali soll dabei sein, wird wieder gebraucht, ganze vorne sogar. Das ist schon an jenem Montag klar.

Es gibt Politiker, die ein halbes Leben brauchen, um dort anzukommen, wo Macht und Aufmerksamkeit warten. Die sich durch Ortsvereine kämpfen, an Gegnern verzweifeln, sich strategisch verzetteln und – wenn überhaupt – nur mit großer Anstrengung und Geduld die vielen Sprossen einer Politikerleiter nach oben krabbeln. Und es gibt Amira Mohamed Ali, 43, die jede Sprosse so rasch zu erklimmen scheint, dass ihr immer wieder neue Leitern vor die Füße gestellt werden. Höher, schneller, weiter, willkommen im Leben von Amira Mohamed Ali.

Hier eine kurze Zusammenfassung ihrer politischen Kletterei: 2015 tritt die Anwältin der Linke bei, macht Kommunalpolitik in Niedersachsen. 2016 wird sie gefragt, ob sie nicht Lust hätte, für den Bundestag zu kandidieren, ein Jahr später zieht sie über die Landesliste ins Parlament ein. Sie wird Sprecherin für Verbraucherschutz und Tierschutz und als Wagenknecht 2019 wegen Burnout als Fraktionschefin zurücktritt, wird Mohamed Ali wie aus dem Nichts ihre Nachfolgerin. Und jetzt? Könnte sie bald Parteichefin werden. Die Truppe anführen, mit der Wagenknecht die Politik durchschütteln will. Wagenknecht selbst hat sich Mohamed Ali gerade erst öffentlich als Vorsitzende gewünscht. 

Schon wieder eine dieser Leitern nach oben. Stürzt sie mal? 

Viele in der Linken glauben daran, manche hoffen sogar darauf. Sie lassen Mohamed Alis Zeit als Fraktionschefin gerade nochmal innerlich an sich vorbeilaufen, fragen sich, was da eigentlich los war, ob ihnen gerade ein politisches Megatalent abhandenkommt oder eine einfache Opportunistin, die Gelegenheiten ergreift, sobald sie sich ihr bieten.

Bei vielen Linken ist Amira Mohamed Ali durch

Ihre härtesten Kritiker beschimpfen sie als Spalterin. Als Frau, die sich erst als Brückenbauerin inszenierte, dann aber den Streit der Fraktion mit Wagenknecht anheizte und immer deutlicher Position für ihre Vorgängerin bezog. Die sich öffentlich gegen den Parteivorstand stellte, als dieser im Juni einen Beschluss veröffentlichte, in dem eine „Zukunft ohne Wagenknecht“ beschworen wurde. 

Sie setzt sich ernsthaft als Noch-Fraktionschefin vor die Presse und stellt ein Konkurrenzprojekt vor? Eine Unverfrorenheit. So sehen es ihre Gegner. 

Andere sind milder. Sie erinnern daran, dass Mohamed Ali es in ihrer Anfangszeit als Fraktionschefin zunächst schafft, eine Art Aufbruchstimmung zu erzeugen, ein Teamgefühl, durch ein Gespür für Symbolik, durch ihren reizvollen Hintergrund. 

Der Vater Ägypter, die Mutter Deutsche, dazu drei Schwestern und zwei Halbbrüder. Zu Hause ist das Geld knapp. Mohamed Ali jobbt schon als Jugendliche auf Volksfesten, studiert nach dem Abi Jura, zieht für ihr Referendariat nach Niedersachsen. Eine Muslima, die sich mehr mit Gerhard Schröders Agenda 2010 beschäftigt als mit Moscheen. Und die – auch wegen der Sozialreformen – schließlich bei den Linken landet.

Als sie Fraktionsvorsitzende wird, verzichtet sie darauf, ins Chefbüro neben Dietmar Bartsch zu ziehen, dem anderen Vorsitzenden. Sie spricht davon, Brücken zwischen den Flügeln bauen zu wollen, verbreitet auch mal gute Stimmung, lädt in ihr Büro. An den Wänden hängen Bilder von den Beatles und von Johnny Cash. Seit Jahren singt Mohamed Ali, ist Teil einer Band mit dem Namen „Brooklyn Baby“. Wenn sie als Fraktionschefin am Pult im Bundestag steht, braucht sie nicht lange, um sich Gehör zu verschaffen. Das klappt.

Wofür steht sie überhaupt?

Was fast alle bei den Linken sagen: Inhaltlich passiert bei ihr wenig. Impulse? Kommen von ihr während der Zeit als Chefin praktisch nie, heißt es. Bartsch füllt diese Lücke, auch die Fachsprecher. Mohamed Ali verzichtet sogar darauf, sich außerhalb der Parteigremien mit eigenen Inhalten zu etablieren, mit einem Feld, auf dem sie sich besonders gut auskennt. Das Soziale. Die Friedenspolitik. Viele Ecken sind in der Linken denkbar, in denen man sich einrichten kann. Mohamed Ali konzentriert als Vorsitzende aufs Organisieren.

Oder ist es die Entfremdung? Es falle ihr zunehmend schwer, den Kurs der Parteiführung in der Öffentlichkeit zu vertreten, sagt Mohamed Ali Monate, bevor sie und Wagenknecht auch formell mit der Linken brechen. Der Kurs widerspreche ihren politischen Überzeugungen an vielen Stellen. 

Was sie damals meint: Der Versuch, enttäuschte Grünen-Wähler zu gewinnen, ist falsch. Der Plan, aufs junge Aktivistenmilieu zu setzen und weltanschaulich möglichst orthodox daher zu kommen, kann nach hinten losgehen. Mit einem solchen Kurs könne man nicht die erreichen, für die linke Politik gemacht werden solle – auch nicht AfD-Wähler, „die noch zurückgewinnbar sind“, mahnt sie. Das klingt zu dem Zeitpunkt schon stark nach Wagenknecht. 

Mittlerweile singt sie Wagenknechts Melodie, wo immer sie auch auftritt. Weniger Einwanderung. Weniger Ukrainehilfen. Weniger Gendern. Dafür mehr Umverteilung. Mehr staatliche Lenkung der Wirtschaft. Und mehr Widerstand gegen die Klimapolitik der Ampel. Eine Partei, irgendwo zwischen ganz links und weit rechts – das ist auch das, was Mohamed Ali vorschwebt. Sie spricht viel von „politischer Vernunft“, die es jetzt brauche. Von einem Kurs, der die Wirtschaft stärkt. Als wäre ihre neue politische Kraft kein populistischer Versuch, das Parteiensystem umzukrempeln, sondern nur eine Art nachgeordnete Behörde des Bundesverbands der Deutschen Industrie.

Hat Mohamed Ali noch eine Wahl?

Viel einfacher als in der Linkspartei dürfte es in der neuen Partei kaum werden. So attraktiv manche Positionen für jene sein mögen, die sich von den etablierten Kräften abgewandt haben, so sehr besteht die Gefahr, dass die neue Partei zu einem Sammelbecken für Wähler wird, die einfach mal ihren Ärger loswerden wollen. Je mehr Positionen, desto größer die Fliehkräfte. 

stern-Chefreporterin analysiert: Welche Positionen könnte Sahra Wagenknechts neue Partei vertreten?
Miriam Hollstein – Chefreporterin vom Hauptstadtbüro des stern – analysiert, welche Inhalte die neue Partei vertreten und welche Gefahren für den BSW lauern könnten. 
Welche Positionen vertritt Sahra Wagenknechts neue Partei? stern-Chefreporterin Miriam Hollstein klärt auf

Was ist der Markenkern? Wo ist der Kitt, um zu verhindern, dass die Partei aufgrund unterschiedlichster Haltungen gleich wieder zerbricht? Kann Mohamed Ali auch zusammenführen? Einmal ist sie dabei schon gescheitert, das haben die vergangenen Monate gezeigt.

Ein bisschen Zeit hat sie noch, um sich zu überlegen, ob sie sich das antun will, wirklich für Wagenknecht die Partei führen will, wohlwissend, dass ohne diese nichts gehen wird. Noch ist die Partei nicht gegründet. Und auch dann müsste Mohamed Ali erst einmal als Vorsitzende gewählt werden. Anfang des Jahres soll es mit der Gründung so weit sein, ein paar Monate vor der Europawahl. Noch ist Zeit, um abzuspringen, sich zu überlegen, ob das alles wirklich Sinn macht, oder ein Leben in Niedersachsen nicht doch angenehmer wäre. 

Aber womöglich hat Mohamed Ali gar keine Wahl. Sie habe jedenfalls nicht den Plan, Vorsitzende zu werden, betonte Wagenknecht dieser Tage im Gespräch mit dem „WDR“. Mohamed Ali habe Erfahrungen, "auch im organisatorischen Bereich, da ist sie deutlich besser als ich". 

Das klang schon fast wie: Liebe Amira, du musst das machen.

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