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Andreas Petzold: #DasMemo Der Rechtsstaat war nicht am Ende - wie die Empörung mal wieder die Realität verzerrt

stern-Stimme Andreas Petzold über die Vorfälle in Ellwangen
"Der Rechtsstaat hat gezeigt, dass er handelt, wenn er herausgefordert wird", findet stern-Stimme Andreas Petzold
© Thomas Niedermüller / Getty Images
Bei der Bewertung von Vorfällen wie in Ellwangen liefern sich einige Politiker und manche Medien einen Wettlauf um die öffentliche Erregung, meint stern-Stimme Andreas Petzold. Der Rechtsstaat hat im aktuellen Fall gezeigt, dass er handelt, wenn er herausgefordert wird.

Die "Bild"-Zeitung schäumt ("150 Asylbewerber verjagen Polizei"), die AfD hyperventiliert und aus dem Hashtag "#Ellwangen" quillt der gesammelte Hass auf Merkel, den Staat und die Flüchtlinge. Die 25.000-Einwohner-Stadt im Osten Baden-Württembergs steht seit Anfang der Woche sinnbildlich für das "Versagen des Rechtsstaats", wahlweise für "den Niedergang der Ordnung". Der Vorfall am Montag Morgen um 2.30 Uhr in der Erstaufnahmeeinrichtung Ellwangen hat die Anti-Merkel-Wutbürger in Wallung gebracht wie schon lange nicht mehr.

Es ist in der Tat schwer erträglich, dass dort vier Polizeibeamte von etwa 150, überwiegend schwarzafrikanischen Asylsuchenden derart bedroht wurden, dass sie einen in Abschiebehaft genommenen Togolesen wieder frei lassen mussten. Die Heimbewohner hatten die Streifenwagen umstellt, aggressiv mit Fäusten gegen das Blech getrommelt und weitere Gewalt angedroht. Verstärkung stand auf die Schnelle nicht zur Verfügung. Es war allerdings auch nicht damit zu rechnen, dass Polizisten bei so einem Routineeinsatz auf derart massiven Widerstand treffen würden. Am Ende der Eskalation hätten die Beamten vermutlich zur Schusswaffe greifen müssen und es ist mehr als fraglich, ob damit der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt worden wäre. Den Einsatz abzubrechen war deshalb eine kluge Entscheidung. Punkt.

Der Rechtsstaat hat gezeigt, dass er handelt

Damit war der Rechtsstaat jedoch keineswegs "am Ende", sondern ist seinen festgelegten Regeln gefolgt, nach denen der Selbstschutz eines Polizeibeamten ganz oben steht. Auch die Durchsetzung des Rechts wurde nicht in Frage gestellt. Der Rechtsstaat hat sich lediglich zwei Tage Zeit genommen, um groß angelegt und gut geplant am Donnerstagfrüh mit mehreren Hundertschaften in der Aufnahmeeinrichtung einzurücken. Ergebnis: Der Togolese ist in Haft, 15 Unruhe stiftende Asylbewerber wurden in andere Einrichtungen gebracht, Drogen und Bargeldbestände gefunden, Ermittlungsverfahren eingeleitet.

Anders gesagt: Der Rechtsstaat hat gezeigt, dass er handelt, wenn er herausgefordert wird. Liest man allerdings die einschlägigen Kommentare, glaubt man sich in einem anarchischen Land wiederzufinden, dessen Bevölkerung schutzlos fremden Horden ausgeliefert ist und dessen Bürger kurz davor stehen, sich zu bewaffnen und zur Lynchjustiz zu greifen. "...am Ende sind es nur noch ein paar Schritte, bis Bürger das Recht in die eignen Hände nehmen wollen", ergeht sich "Bild" in düsteren Prophezeiungen und insinuiert, man könne sich auf den Staat nicht wirklich mehr verlassen: "Ellwangen tötet dieses Vertrauen!" Wenn man sich die Mühe macht, die Vorgänge nüchtern zu betrachten, ist eher das Gegenteil richtig.

Was nach dem Fall in Ellwangen nun passieren muss

Trommelwirbel auch von der AfD: "Kapitulation des Rechtsstaats", empört sich Parteisprecher Jörg Meuthen. Und Parteifreund Jürgen Braun, Parlamentarischer Geschäftsführer der AfD im Bundestag, verbreitet via Facebook seine ganz eigene Verschwörungstheorie: "Es kann nicht sein, dass die Polizei - möglicherweise aus Sorge um die Reaktionen aus Politik und Medien - den Rückzug antritt, anstatt Recht und Gesetz durchzusetzen." Dass es hier schlicht um Leib und Leben von vier Beamten ging, scheint für den Bundestagsabgeordneten keine Rolle zu spielen. Die Empörung über gewaltbereite Asylbewerber ist gerechtfertigt. Aber sich an Polizeibeamten politisch abzuarbeiten und gleichzeitig zu behaupten, der Polizei "die notwendige Rückendeckung" (Braun) zu geben ist gewohnte AfD-Heuchelei auf höchstem Niveau. 

Aber man sollte sich besser nicht daran gewöhnen, denn diese rhetorischen Peitschenknaller wirken wie ein schleichendes Gift in der Gesellschaft. Bei der Bewertung derartiger Vorfälle wie in Ellwangen liefern sich einige Politiker und manche Medien inzwischen einen regelrechten Wettlauf um die öffentliche Erregung: Es dringt nur noch durch, wer sich an Lautstärke und Maßlosigkeit von keinem anderen überbieten lässt. Diese Bauernfänger-Masche schürt Ängste und erzeugt in den Köpfen vieler Menschen ein verzerrtes Bild der Realität. Wichtig ist eher, dass der Staat seine Lehren zieht, sich künftig umsichtiger auf Festnahmen in Asyleinrichtungen vorbereitet und alle Mittel aufbietet, den Ausreisevollzug auch durchzusetzen. 

Alles prima also, wie das in Ellwangen gelaufen ist? Natürlich nicht. Dass sich in den Massenunterkünften kriminelle Milieus bis hin zu rechtsfreien Räumen bilden, ist nicht neu. Wenn es die Länderinnenminister ernst meinen mit den stereotypen Aussagen, keine rechtsfreien Räume zu dulden, sollten sie dagegen vorgehen und überraschende Polizeipräsenz in Aslyunterkünften nicht zur Ausnahme, sondern zu Regel erklären.  

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