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Andreas Petzold: #Das Memo Die heuchlerische Haltung der SPD im Streit um Familiennachzug

Der Koalition streitet beim Familiennachzug über ein Problem, das zur Zeit nicht existiert - es geht CDU, CSU und SPD nur um ihr politisches Profil. Besonders die Reaktion der Sozialdemokraten ist sonderbar.
Von Andreas Petzold

Auf ihre letzten Tage als SPD-Generalsekretärin lud Yasmin Fahimi noch einmal richtig durch: Sie konstatierte "Chaos-Tage in der Union", ausgelöst durch die lose Zunge des Innenministers. Der hatte Anfang der vergangenen Woche die Rückkehr zur Einzelfallprüfung für syrische Flüchtlinge anordnen lassen. Und per Radio-Interview nachgeschoben, dass Syrer nur "subsidiären Schutz" erhalten sollen - "das heißt zeitlich begrenzt und ohne Familiennachzug", so Thomas de Maizière. Dies deckte sich jedoch nicht mit den Beschlüssen des Koalitionsgipfels zur Eindämmung des Flüchtlings-Stroms. Der Shitstorm entlud sich umgehend. "Das", so quittierte Fahimi am Montag den Koalitions-Querschläger, "stellt die gesamte Flüchtlingspolitik der Regierung und damit auch der Kanzlerin in Frage."

Die Schlecht-Wetter-Front zwischen SPD und Union lud sich am Montag auf wie ein Stufe-5-Hurrikan über karibischen Gewässern. SPD-Vize Ralf Stegner befand, der Union gingen "in der Flüchtlingsdiskussion gelegentlich die Gäule durch". Man habe doch gerade erst den Seehofer vom Baum runter geholt. Deckung bekam der Innenminister hingegen von keinem Geringeren als Wolfgang Schäuble, als Ex-Innenminister wohl vertraut mit dem Kleingedruckten der Flüchtlingspolitik. Die Eingrenzung des Familiennachzugs nannte er eine "Notwendigkeit, die diskutiert werden muss"!  Das sahen die Mitglieder des CDU-Präsidium am Montagnachmittag offenbar auch so, de Maizière erhielt auch dort Unterstützung. Und die CSU hält diese Diskussion erwartungsgemäß ohnehin für überfällig. Generalsekretär Andreas Scheuer vergaß aber nicht, nachzuschieben: "Nein, keiner will die Kanzlerin demontieren!" Angela Merkel indes ließ über ihren Sprecher verlauten, de Maizière genieße ihr "vollstes Vertrauen," nachdem sie ihn zuvor zurückgepfiffen hatte.

Familiennachzug ist gerade sehr restriktiv

Um dieses Gezerre zu bewerten, muss man wissen: Es wird um ein Problem gezankt, das zu Zeit gar nicht existiert. Denn Familiennachzug, insbesondere bei syrischen Flüchtlingen, findet derzeit so gut wie nicht statt. Aufgrund des Andrangs von Asylbewerbern und Flüchtlingen nach der Genfer Konvention sind die deutschen Behörden überwiegend außer Stande, Anträge auf Familiennachzug überhaupt zu bearbeiten. Wer dennoch mit Glück eine Bewilligung erhält, muss die nächsten Steine aus dem Weg räumen. Die Familie, in erster Linie Ehepartner und Kinder, muss bei einer deutschen Auslandsvertretung einen Termin beantragen, um sich den begehrten Einreisestempel abzuholen. Die Chancen jedoch, in absehbarer Zeit eine deutsche Botschaft oder ein Konsulat betreten zu können, sind in etwa so aussichtsreich wie ein Sechser im Lotto mit Zusatzzahl! Beirut, Ankara, Istanbul oder Arbil im kurdischen Norden Iraks - überall das gleiche Bild: Die Wartefrist für einen Termin kann leicht ein bis zwei Jahre dauern, falls sich nicht mittels Bestechungsgeld irgendwo eine Hintertür öffnet. Seit Anfang 2014 (!) liegt die Zahl der erteilten Visa für syrische Staatsangehörige deshalb auch nur "im niedrigen fünfstelligen Bereich", so das Auswärtige Amt.

Deshalb ist es sonderbar bis heuchlerisch, dass sich ausgerechnet die SPD über diskutierte Einschränkungen beim Familiennachzug echauffiert. Denn die Auslandsvertretungen fallen in die Zuständigkeit des sozialdemokratischen Außenministers Frank-Walter Steinmeier. Zwar wurde das Personal teilweise aufgestockt. Aber dass die Terminvergabe restriktiv gehandhabt wird, ist nicht zu übersehen, wie stern-Reporter Kuno Kruse recherchiert hat. Deshalb sind auch die am Wochenende diskutierten Zahlen Humbug: Im Schnitt würde jeder Flüchtling angeblich drei Angehörige ins Land holen, eine Million Flüchtlinge pro Jahr würden sich dann unterm Strich auf vier Millionen summieren - eine Luftbuchung der politischen Panikfraktion.

In Zukunft ist die Debatte notwendig

Natürlich ist es geboten, Moratorien zum Familiennachzug in den kommenden Jahren sorgfältig zu diskutieren. Aber der momentane Streit um de Maizières Äußerungen dreht sich mal wieder mitnichten um die Sache. Es geht ums politische Profil. Die SPD möchte sich "human und solidarisch" (Fahimi) zeigen, was ehrenwert ist, aber auch nicht ungefährlich. Denn der ungehinderte Nachzug dürfte auch manchem SPD-Sympathisanten sauer aufstoßen. Die Union will Umfrage-Terrain zurückgewinnen, der SPD den schwarzen Peter zuschieben und niedrigschwellig an neuen Hürden für Flüchtlinge basteln. Dass die Rückendeckung für de Maizière  aus den Reihen von CDU und CSU als ein Affront gegen die Kanzlerin gewertet werden muss, ist dagegen eine Mär. Man darf davon ausgehen, dass sie den Vorstoß ihres Innenministers keineswegs abwegig findet. Aber der Frieden mit den Sozialdemokraten ist ihr wichtiger. Sie hält sich deshalb einstweilen strikt an die Beschlüsse des Koalitionsgipfels. Ein Scheitern dieser Regierung in diesen Zeiten ist für sie keine Option.

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