Reaktion auf Ukraine-Krieg Bringt uns Aufrüstung einem Atomkrieg näher? CDU-Politiker und Friedensaktivistin argumentieren

Nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine will die Bundeswehr massiv aufrüsten (Symbolbild)
Nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine will die Bundeswehr massiv aufrüsten (Symbolbild)
Sehen Sie im Video: Bringt uns Aufrüstung Frieden oder einem Atomkrieg näher? CDU-Politiker und Friedensaktivistin argumentieren.









 
O-Ton Olaf Scholz im Bundestag: Bessere Ausrüstung, modernes Einsatzgebiet, mehr Personal das kostet viel Geld. Wir werden dafür ein Sondervermögen Bundeswehr einrichten. Der Bundeshaushalt 2022 wird dieses Sondervermögen einmalig mit 100 Milliarden Euro ausstatten. Die Mittel werden wir für notwendige Investitionen und Rüstungsvorhaben nutzen.


100 Milliarden Euro. Diese gigantische Summe wird in die Auf- und Ausrüstung der Bundeswehr gesteckt. Verkündet wurde die Rekord-Investition ausgerechnet von einem sozialdemokratischen Bundeskanzler, dessen Außenministerin von den Grünen ist.


Wegen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine fiel die umstrittene Entscheidung innerhalb weniger Tage. Doch was bringt massive Hochrüstung? Lassen sich mit Abschreckung künftig Kriege verhindern – oder machen sie gar einen – im schlimmsten Falle Atomkrieg – noch wahrscheinlicher?


Um diese Fragen zu beantworten, habe ich mit einer Friedensaktivistin und einem CDU-Politiker gesprochen.




Hendrik Holdmann (stern): Gerade hat die Bundesregierung ein 100 Milliarden Euro Paket für die Bundeswehr beschlossen. Als Reaktion auf Russlands Invasion in der Ukraine. Inwieweit ist das sinnvoll?


Roderich Kiesewetter (CDU): Es ist deshalb sinnvoll, weil in den letzten 30 Jahren wir eine andere Kultur der Sicherheit entwickelt haben. Wir hatten die Kultur: Wir sind von Freunden und Partnern umgeben und können uns vorrangig um soziale Sicherheit und sozialen Zusammenhalt kümmern. Das bedeutet, dass der Bundeshaushalt etwa zur Hälfte für Arbeit und Soziales, Familie und Gesundheit ausgegeben wird und der Anteil an Verteidigung immer weiter zurückging und die Bundeswehr quasi leer gespart wurde.


Angelika Claußen (Friedensaktivistin, IPPNW): Das widerspricht natürlich unserem, unseren Erfahrungen und auch unserem unseren Einsichten, dass Aufrüstung und Rüstung eben der Weg in den Krieg ist und dass er nicht der Weg in den Frieden ist. Wenn man also Krieg verhindern will, muss man lange Zeit vorher die Beziehungen, die zwischen den Ländern sind, Gewalt ärmer machen. Sie müssen also so gestaltet werden, dass sie eben – dass sagt auch die Friedensethik und das sagt auch die Friedensforschung – dass Beziehungen zwischen Staaten so gestaltet werden müssen, dass sie Gewalt ärmer werden.


Roderich Kiesewetter (CDU): Ich bin ein ganz starker Anhänger von einer vernetzten Sicherheitspolitik, die aber auch Hard- und Softpower verknüpft. Ich nenne das Smartpower. Was heißt das? Das heißt Diplomatie und Härte. Wir haben 2014 nach dem völkerrechtswidrigen Angriff auf die Krim und der Destabilisierung der Ostukraine nur mit Diplomatie geantwortet. Während die Amerikaner nur das Thema Aufrüstung der Ukraine behandelt haben. Klüger wäre es gewesen, transatlantisch dies zu kombinieren und auf der einen Seite den Minsker Prozess der Verhandlungen zu gehen und auf der anderen Seite die bessere Ausstattung der Ukraine, die Verteidigungsfähigkeit früh anzugehen.


Angelika Claußen (Friedensaktivistin, IPPNW): Was ich gar nicht höre von der Verteidigungsministerin, vom Bundeskanzler, von den Militärs. Was plant ihr denn da eigentlich genau? Was sind denn die Szenarien? Worum geht es hier eigentlich? Und da finde ich, muss wirklich Aufklärung sein. Und die Alternative – und das könnte die Bundesregierung jetzt schon tun – die Alternative wäre doch auch, die Systeme zu unterstützen die eben friedlich voranschreiten. Und das ist für Europa, die OSZE und für die Welt ist das die UNO. Und warum wird so etwas überhaupt nicht gedacht? Also es wird ja nur ganz schmalspurig mit Scheuklappen auf das Militär geguckt und das ist falsch.


Roderich Kiesewetter (CDU): Es geht nicht um Aufrüstung, sondern die Bundeswehr ist schlecht ausgestattet mit Blick auf die Tornados. 40 Jahre alte Maschinen, die die nukleare Teilhabe leisten sollen. Das kann die NATO auf Dauer nicht aufrechterhalten, weil der Aufwand dies zu betreiben, zu groß ist. Insofern ist die Entscheidung, F-35 zu beschaffen, klug. Hier geht es darum, dass wir unsere Sicherheitskultur ändern müssen. Hier geht es auch darum, dass wir auf der Basis einer nationalen Sicherheitsstrategie, die Baerbock in Auftrag gegeben hat, auch Prioritäten setzen müssen, Preisschilder. Und dann lieber die Bundeswehr –  sagen wir mal – entbürokratisieren. Zu wenig Kraft in Brigaden und Divisionen, viel zu viele Hauptquartiere und Ämter. Da muss eine Menge gemacht werden. Also hier geht es nicht um Aufrüstung, hier geht es erst einmal um Verbesserung einer maroden Struktur.


Hendrik Holdmann (stern): Sie haben 1985 mit Ihrer Organisation den Friedensnobelpreis bekommen, mitten im Kalten Krieg, als die Welt unmittelbar vor einem Dritten Weltkrieg stand. Welche Parallelen sehen Sie zu heute?


Angelika Claußen (Friedensaktivistin, IPPNW): Die Situation ist meines Erachtens noch bedrohlicher. Auf der anderen Seite ist aber die Bevölkerung nicht nur hier bei uns, sondern weltweit viel, viel aufmerksamer geworden. Was wir jetzt tun können, ist eben aufbauend auf dem Atomwaffen-Verbotsvertrag. Das zu verbreiten, dass es das gibt, dass nukleare Kontrollmaßnahmen möglich sind, über die Gefahr der Atomwaffen und eines Atomkrieges aufklären. Dass es uns gelingt, eine wirklich breite und eben nochmals wieder Ost-West- und Nord-Süd Koalition der Völker zustande kriegen. Und unsere Chance jetzt ist, dass wir wirklich die Welt zusammenfassen und die Bevölkerungen sagen: Wir wollen keinen Atomkrieg, wir müssen das verhindern. Überall sagen wir das. Und dafür ist eben auch „no first use“, kein nuklearer Erstwaffeneinsatz, das Credo.


Roderich Kiesewetter (CDU): Also die Ausrüstungsverbesserung hat mit nuklearen Fragen gar nichts zu tun. Die atomare Bedrohung sehe ich allerdings sehr wohl, weil Putin mit seinem völkerrechtswidrigen Krieg gegen die Ukraine nicht vorankommt und eher als Erpressung durchaus z.B. zur Übergabe Kiew oder so den Einsatz von Massenvernichtungswaffen herbeireden kann. Sei es biologische Waffen, irgendwelche Keime, Pocken zum Beispiel, sei es Chemiewaffen von Chlorgas bis Nervengas. Russland hat ja da Erfahrung. Siehe Skripal oder Nawalny. Oder eben die nukleare Erpressung, in dem eine taktische Artillerie-Granate irgendwo westlich von Kiew gezündet wird, mit einem Hundertstel der Sprengkraft von Hiroshima. Für Russland gehören taktische Nuklearwaffen zum konventionellen Krieg, für die NATO nicht. Also ich möchte wirklich auch den Dialog suchen zu Gruppen und Gruppierungen in Deutschland, die eine Aufrüstung oder einen atomaren Krieg befürchten. Wir müssen alles tun, dass wir den zivilgesellschaftlichen Dialog über Abrüstung, über Rüstungskontrolle, über Verifikation führen. Und mit Blick voraus: Es wird ja auch ein Russland nach Putin geben. Da muss wirklich unser Interesse sein, dass wir neue Rüstungskontrollvereinbarungen und vertrauensbildende Maßnahmen schaffen. Aber die Bedrohung geht nicht von der NATO aus. Sondern wir haben tatsächlich ein Bedrohungspotenzial auf russischer Seite, das wir bewusst nicht beantwortet haben.

Gigantische 100 Milliarden Euro werden in die Aufrüstung der Bundeswehr gesteckt. Beschlossen wurde die Investition innerhalb weniger Tage – als Reaktion auf den Ukraine-Krieg. Sichert Hochrüstung wirklich Frieden? Oder bringt es uns gar einem Atomkrieg näher? Eine Friedensaktivistin und ein CDU-Politiker argumentieren.
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