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140 Tote in Nordwestchina Schlimmste Unruhen seit Jahrzehnten

Als die Behörden den friedlichen Protest beenden wollten, brach die Gewalt los: Hunderte muslimische Uiguren lieferten sich in der nordwestchinesischen Provinzhauptstadt Urumqi Straßenschlachten mit der Polizei. Mindestens 140 Menschen starben. Es waren die schlimmsten Ausschreitungen seit Jahrzehnten in der Krisenprovinz Xinjiang.

Bei gewaltsamen Zusammenstößen zwischen chinesischen Sicherheitskräften und Angehörigen der muslimischen Uiguren-Minderheit in der Unruheprovinz Xinjiang sind nach Berichten staatlicher Medien mindestens 140 Menschen ums Leben gekommen. Wie die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua am Montag berichtete, wurden zudem mehr als 830 Menschen verletzt. Die Zahl der Todesopfer steige weiter, meldete Xinhua unter Berufung auf örtliche Behördenvertreter. Die Vorfälle vom Sonntag und Montag sind die folgenschwersten in der zentralasiatischen Provinz Xinjiang seit Jahrzehnten.

Die Uiguren

Die Uiguren sind ein muslimisches Turk-Volk von etwa zehn Millionen Menschen. Mehr als acht Millionen von ihnen leben in der Region Xinjiang im Nordwesten Chinas, einem ethnischen Konfliktherd. Seit sich Peking das Gebiet 1955 als "Autonome Region" einverleibte und Han-Chinesen ansiedelte, kämpfen die Uiguren für die Unabhängigkeit des ehemaligen Ostturkestans. China macht die Separatisten für rund 300 Anschläge mit mehr als 160 Toten seit 1990 verantwortlich. Vier Uiguren-Gruppen wurden zu terroristischen Vereinigungen erklärt. Menschenrechtsgruppen kritisieren, China unterdrücke die Volksgruppe mit Folter, Massenverhaftungen und Todesurteilen. Seit Mitte der 90er Jahre wurden laut Amnesty International über 3000 Uiguren verhaftet und mehr als 200 hingerichtet.

Zunächst war lediglich von vier Todesopfern die Rede, darunter ein Polizist. Ausgangspunkt der Unruhen war offenbar eine Demonstration am Sonntag in der Provinzhauptstadt Urumqi. An den Unruhen waren Hunderte Uiguren beteiligt, die Polizeiabsperrungen stürmten und Busse angriffen. Auch Passanten gerieten in die Ausschreitungen, an denen sich nach unterschiedlichen Aussagen bis zu 3000 Menschen beteiligt haben sollen. Nach Angaben der chinesischen Behörden wurden 260 Autos zertrümmert oder in Brand gesetzt, 203 Häuser seien teils schwer beschädigt worden.

In der Nacht zum Montag kehrte Ruhe ein, nachdem Polizei und Streitkräfte verstärkt Präsenz zeigten. Die Randalierer griffen in der 2,3-Millionen-Einwohner-Stadt auch Han-Chinesen an, die dort die große Mehrheit stellen. Wieviele der Opfer Han-Chinesen und wieviele Uiguren sind ist zur Stunde unklar. Die Behörden, die laut Xinhua Gruppen von Exil-Uiguren für die Ausschreitungen verantwortlich machten, gaben zudem keine Erklärung ab, wie es zu der hohen Zahl an Opfern gekommen ist.

Am Sonntag hatten Uiguren zunächst friedlich eine Untersuchung einer Auseinandersetzung zwischen Mitgliedern ihrer Volksgruppe mit Han-Chinesen in einer Spielzeugfabrik in Südchina gefordert. Dabei waren zwei Menschen ums Leben gekommen. Offenbar schlug der Protest in Gewalt um, als sich die Teilnehmer weigerten, die Demonstration zu beenden. Augenzeugen berichteten, dass sich die Sicherheitskräfte und die beteiligten Uiguren ein Katz-und-Maus-Spiel geliefert hätten. Hunderte Demonstranten, darunter zehn "Rädelsführer", seien festgenommen worden, berichtete ein Teilnehmer. Derzeit werde nach 90 Unruhestiftern noch gesucht, hieß es.

Ein chinesischer Mitarbeiter eines Hotels am Platz des Volkes im Zentrum von Urumqi berichtete, er habe Schüsse gehört und gesehen, wie gepanzerte Fahrzeuge auffuhren. Am Montag patrouillierte weiter ein starkes Polizeiaufgebot in den Straßen. Internetverbindungen in Urumqi waren gekappt, das Telefon funktionierte nur zeitweise. Die meisten Geschäfte seien geschlossen, sagte der Hotelmitarbeiter.

Exilgruppen der Uiguren äußerten scharfe Kritik an den chinesischen Sicherheitsbehörden. "Wir sind zutiefst traurig angesichts der harten Hand und des Einsatzes von Gewalt durch die chinesischen Sicherheitskräfte gegen friedliche Demonstranten", sagte Alim Seytoff, Vizepräsident der in Washington ansässigen Gruppe amerikanischer Uiguren. "Wir fordern die internationale Gemeinschaft auf, die Tötung unschuldiger Uiguren zu verurteilen", sagte Seytoff.

Ein amerikanischer Fulbright-Stipendiat in Urumqi beschrieb die Lage am Montag als äußerst gespannt. "Überall sind Soldaten, Polizisten stehen an jeder Ecke", sagte er. Der Verkehr sei komplett zum Erliegen gekommen. Der Amerikaner wurde nach eigenen Angaben am Montag von der Polizei abgeführt. Die Fotos auf seiner Kamera wurden gelöscht. Polizisten hatten ihn beobachtet, wie er am Sonntag vom Hotelzimmer aus fotografierte.

DPA/AP AP DPA

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