Ägypten Eine Illusion von Demokratie

Erstmals lässt Ägyptens Staatschef Hosni Mubarak bei Präsidentschaftswahlen Gegenkandidaten zu. Doch die neun Mitbewerber hatten nur wenig Zeit, ihre Popularität zu steigern. Einige von ihnen nimmt sowieso niemand ernst.

Wer in diesen Tagen durch Ägypten reist, könnte meinen, in dem arabischen Land gebe es plötzlich Demokratie. Statt eines Referendums ohne Gegenkandidaten organisiert die Staatsmacht an diesem Mittwoch erstmals Präsidentenwahlen. Neun Kandidaten sind zugelassen - Wahid al-Uksory von der Ägyptischen Arabischen Sozialistischen Partei wurde ausgeschlossen, weil er nicht wie vorgeschrieben Parteivorsitzender ist, er muss außerdem staatliche Wahlkampfgelder in Höhe von umgerechnet knapp 70.000 Euro zurückzahlen. Und Amtsinhaber Husni Mubarak (77) fährt trotz großer Hitze tapfer durch die Provinz, damit seine Landsleute ihm noch eine weitere Amtszeit von sechs Jahren genehmigen. Die staatlichen Medien berichten gelegentlich sogar über die Wahlkampagnen der Oppositionskandidaten, und in Kairo vergeht kaum ein Tag, ohne dass Demonstranten durch die Innenstadt ziehen. Einmal sind es Islamistinnen mit Gesichtsschleiern, die für die Freilassung ihrer Ehemänner kämpfen, ein anderes Mal rufen linke Demonstranten: "Mubarak, es reicht, Schluss mit der Korruption."

Ein bisschen Dampf ablassen

Doch der Schein trügt. Zwar hat die Führung um Mubarak in den vergangenen Monaten die Zügel etwas gelockert. Doch nur gerade so weit, dass die über Korruption, steigende Preise und Polizeiwillkür klagenden Menschen ein bisschen Dampf ablassen können. So hat Mubarak im Wahlkampf zwar angekündigt, er wolle die umstrittenen Notstandsgesetze abschaffen. Dafür sollen aber neue Anti-Terror-Gesetze erlassen werden. Die Opposition hält das für einen Etikettenschwindel.

Wahlen auf Ägyptisch

Der letzte ägyptische König wurde 1952 mit einem unblutigen Putsch vertrieben. Doch auch nach der Monarchie erlebte das Land keine Wahlen mit mehreren Kandidaten. Die beiden Vorgänger Mubaraks blieben jeweils bis zu ihrem - im Falle Anwar el Sadats gewaltsamen - Tod im Amt. Mubarak hat seit 1981 vier Wahlen im Sechs-Jahres-Rhythmus gewonnen, bei denen die Ägypter nur mit Ja oder Nein stimmen konnten. Die Zustimmung lag immer bei mehr als 90 Prozent.

Konflikte gibt es auch um die Frage der Wahlbeobachter. Denn viele Ägypter sind der Meinung, dass es nutzlos ist, zur Wahl zu gehen, weil die Ergebnisse von den Wahlhelfern der regierenden Nationaldemokratischen Partei (NDP) von Mubarak gefälscht würden. Nach der letzten Volksabstimmung hatten viele Ägypter berichtet, sie seien am Wahltag abgewiesen worden. In anderen Fällen gaben Wähler gleich in mehreren Wahllokalen ihre Stimme ab.

Die Präsidentenwahl darf von unabhängigen Beobachtern überwacht werden. Das Verwaltungsgericht in Kairo entschied, während der Abstimmung müssten Vertreter örtlicher Nichtregierungsorganisationen zugelassen werden. Die ägyptische Organisation für Menschenrechte sprach von einem Triumph. Die Stationierung ausländischer Beobachter wurde von den Behörden allerdings als Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Landes zurückgewiesen. Mubarak sagte der Zeitung "Al Masri al Joum", Nichtregierungsorganisationen dürften den Wahlverlauf "garantiert" überwachen. Auch einheimische und ausländische Medien würden vertreten sein. "Nichts ist zu verstecken in einem Zeitalter der offenen Himmel", betonte der Präsident.

Mischung aus Fatalismus und Glaube

Außerdem ist selbst unter den Anhängern der Oppositionskandidaten niemand, der ernsthaft glaubt, dass die Ägypter Mubarak nach 24 Jahren im Amt abwählen könnten. Grund für diese Annahme ist eine Mischung aus Fatalismus und Glaube an die Allmacht der NDP. Außerdem steht erst seit einigen Wochen fest, dass Mubarak bei der Wahl Konkurrenz bekommen wird. Die Kandidaten hatten also nur wenig Zeit, ihre Popularität zu steigern. Einige von ihnen nimmt sowieso niemand ernst, wie etwa einen Neffen von Ex-Präsident Anwar al-Sadat, der sogar in seiner eigenen Partei umstritten ist, oder Ahmed al-Sabahi, ein älterer Herr, der die ägyptischen Männer dazu bringen will, die traditionellen roten Hüte (Fez) wieder zu tragen.

Eine gewisse Popularität genießt dagegen Noaman Gomaa, der Kandidat der traditionsreichen Wafd-Partei, der im Wahlkampf unter anderem gegen die Privatisierung von Staatsbetrieben gewettert hat. Auch der junge dynamische Vorsitzende der Partei Al-Ghad (Morgen), der Anwalt Eiman Nur, findet immer mehr Anhänger, vor allem bei der Jugend, die unter der hohen Arbeitslosigkeit am meisten leidet.

Im Januar saß Nur 45 Tage im Gefängnis. Ihm wurde vorgeworfen, er habe Unterschriften gefälscht, die er für die Parteigründung brauchte. US-Außenministerin Condoleezza Rice sagte aus Protest gegen die Festnahme damals ihren Besuch in Ägypten ab. In den Mubarak-freundlichen Zeitungen wurde Nur daraufhin als amerikanischer Agent dargestellt. Nur selbst streitet ab, Unterstützung aus dem Ausland zu erhalten. Stattdessen wirft er der Regierung Mubarak vor, seit dem israelisch-ägyptischen Friedensvertrag von 1979 jedes Jahr finanzielle Hilfe aus den USA anzunehmen.

"Nerven liegen blank"

Immerhin, ein Hauch von Demokratie weht in diesen Tagen schon durch Ägypten. Staunend hören die Menschen zu, wenn Kandidat Nur über Korruption und Wahlfälschung schimpft, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen. So etwas haben sie bei einem öffentlichen Auftritt noch nie gehört. Gleichzeitig spürt man bei der NDP eine gewisse Nervosität. "Die Regierung hat sich auf Druck von unten und aus Washington auf ein Experiment eingelassen, vor dessen Ergebnis sie Angst hat", meint ein westlicher Diplomat, "vor allem bei einigen älteren Parteikadern liegen deshalb zur Zeit die Nerven blank."

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Anne-Beatrice Clasmann/DPA