Manipulativer Tweet Wer hinter der Schmähkampagne gegen Annalena Baerbock steckt

Annalena Baerbock ist zum Ziel einer Propaganda-Kampagne geworden
Annalena Baerbock ist zum Ziel einer Propaganda-Kampagne geworden
© Britta Pedersen / DPA
Ein Tweet und schon brach über Annalena Baerbock eine Welle aus Hass und Hetze zusammen. Eine Außenministerin, die Ukrainer ihren deutschen Wählern vorzieht, so der Vorwurf. Ein Paradebeispiel für gezielte Desinformation – ganz im Sinne des Kremls.

#BaerbockRücktritt oder #Hochverrat: In der deutschen Twitter-Welt stiegen in der Nacht zu Freitag diese Hashtags in die Trends auf. Eine wahre Flut an Beschimpfungen stürzt sich auf die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock. Auch aus der Politik erklangen scharfe Worte. "Eine Außenministerin, die erklärtermaßen nicht die Interessen der dt. Wähler sondern der Ukraine vertritt & im Interesse der US-Reg. Verhandlungen zur Kriegsbeendigung ablehnt, ist nicht nur eine eklatante Fehlbesetzung, sondern eine Gefahr für unser Land", twitterte Sahra Wagenknecht. 

"Gewählter Ministerin ist Wählerwille egal", schrieb die Bundestagsabgeordnete der Linken, Żaklin Nastic. Die AfD-Vorsitzende Alice Weidel forderte Baerbocks Rücktritt: "Wer ausdrücklich auf die Interessen der Wähler in Deutschland pfeift, hat in einem Ministeramt nichts mehr verloren", schrieb sie bei Twitter. Die "sogenannte Außenministerin Baerbock" müsse nun "Angst vor Volksaufständen haben", schrieb die AfD-Fraktion im Baden-Württembergischen Landtag in einer Pressemitteilung.

Grund für diese Aufregung war ein Tweet eines Twitter-Kanals mit dem Namen "Russian American Daily". Der Post zeigt eine Videosequenz, die am vergangenen Mittwoch bei einer Podiumsdiskussion in Prag entstanden ist. "Wenn ich den Menschen in der Ukraine das Versprechen gebe: 'Wir stehen an eurer Seite, solange ihr uns braucht', dann will ich es einhalten. Egal, was meine deutschen Wähler denken, aber ich will das Versprechen dem ukrainischen Volk gegenüber einhalten", sagt Baerbock auf der Aufnahme auf Englisch.

Aussage von Annalena Baerbock verzerrt

Begleitet wird das Video jedoch von einem Satz, der das Statement von Baerbock nicht nur in einen ganz anderen Kontext stellt, sondern auch ihr Worte in den Mund legt, die nicht gefallen sind. "Deutsche Außenministerin: Ich werde die Ukraine an erste Stelle stellen, 'egal, was meine deutschen Wähler denken' oder wie schwer ihr Leben wird."

Es ist dieser Tweet, der im Netz von Kreml-Sympathisanten und rechten Gruppen verbreitet wird – auch von der AfD-Vorsitzenden Weidel. Dass die Anführungszeichen, die das direkte Zitat kennzeichnen, nur einen kleinen Teil der Tweet-Überschrift einrahmen, wird schlicht ignoriert. Woher die anderen Passagen stammen, wird an keiner Stelle erklärt.

Immer wieder dieselbe Masche 

Dabei ist die Quelle des Posts mehr als zweifelhaft. Betrieben wird der Account von einer Organisation mit dem Titel "The American Council for U.S.-Russia Engagement". Der eigenen Beschreibung zufolge will sie "Neuigkeiten und vielfältige Meinungen zur Westen-Russland-Krise" liefern. 

Nur dass die Meinungen so gar nicht vielfältig wie versprochen sind. Stattdessen verbreitet die Organisation über verschiedene soziale Netzwerke irreführende Meldungen, die aber in Gänze dem Narrativ der Kreml-Propaganda entsprechen. So wird etwa auf einem Video auf Youtube erzählt, dass die Ukraine kein demokratischer Staat sei. In einem Tweet wird ein Audio-Statement eines britischen Ex-Militärs eingespielt, welcher der Ukraine jegliche Chancen auf einen Sieg abspricht – so verheißt es zumindest die Überschrift des Posts.

Doch in der Audiodatei fällt kein entsprechendes Zitat. Auch wenn der besagte Richard Dannatt, der seltsamerweise in dem Post als Richard Donatt benannt wird, tatsächlich in den Jahren 2006 bis 2009 Chef des britischen Generalstabes war. 2011 wurde er als Angehöriger des Hochadels zum Baron Dannatt, of Keswick in the County of Norfolk, erhoben und ist seither Mitglied des House of Lords.

"Es gebe keine Umstände, unter denen die Ukraine gewinnen oder die Russen hinausdrängen könne, sagt der frühere Chef der britischen Armee, Lord Richard Donatt", heißt es in dem Tweet von "Russian American Daily". Tatsächlich sagt aber der Ex-General: "Russland wird diesen Krieg nicht verlieren. Egal aus welchem Winkel auch immer ich es betrachte, ich finde es schwierig zu entdecken, wie die Ukraine gewinnen könnte. Tatsächlich empfinde ich es als falsch, von gewinnen und verlieren zu sprechen. Irgendwann wird es in diesem Konflikt wieder zu Verhandlungen kommen." Weiter führt er aus, dass die Russen die besetzten Gebiete niemals freiwillig verlassen würden. Und die Ukraine nicht die Kräfte hätte, sie hinauszudrängen. Es würde darauf hinauslaufen, dass Russland einen Teil der ukrainischen Territorien unter seiner Kontrolle behalten würde. 

Die Männer hinter "The American Council for U.S.-Russia Engagement"

Egal ob Lord Dannatt oder Annalena Baerbock – das Vorgehen ist stets dasselbe. Aussagen werden aus dem Kontext gerissen und einen Rahmen gesetzt, der zu einer falschen Interpretation führt.

Schaut man sich die Betreiber hinter der Organisation "The American Council for U.S.-Russia Engagement" und ihrer sozialen Auftritte an, wird jedoch deutlich, dass diese Fehlinterpretationen alles andere als Zufall sind. Als Direktor fungiert ein gewisser Wladimir Rodzianko, ein Amerikaner mit russischen Wurzeln. Er ist ebenfalls einer der Gründer der Website "Duran", einer pro-russische Website, die Verschwörungstheorien und falsche Informationen veröffentlicht hat. 

Während des US-Wahlkampfs 2016 erschienen auf der Plattform Meldungen, die behaupteten, dass Julian Assange in den Emails von Hillary Clintons Beweise dafür gefunden haben soll, dass sie Waffen an die Terrormiliz IS in Syrien verkauft hat

Im Jahr 2018 nannte die Plattform "Duran" die Vergiftung des ehemaligen russischen Geheimdienstoffiziers Sergej Skripal und seiner Tochter Julia einen "Scherz". Und als die Corona-Pandemie die Welt erfasste, verbreitete die Website Desinformationen über die Impfstoffe und Verschwörungstheorien über Bill Gates – ganz den Direktiven aus dem Kreml entsprechend. 

Aus seiner Liebe zu Wladimir Putin hat Rodzianko kein Geheimnis gemacht. Auf einer Kirchenveranstaltung im Jahr 2017 bezeichnete er den russischen Präsidenten als "Boss". Von 2015 bis 2016 war er außerdem als "Director of Business Development" für eine andere kremlfreundliche Propagandaseite namens "Russia Insider" tätig. 

Vom FBI verhört 

Während der Trump-Präsidentschaft leitete Rodzianko mit einem gewissen Sergey Gladysh die Organisation "Russian-American Cooperation Initiative" (RACI). Angeblich um den "Aufbau von Beziehungen, Förderung des Dialogs und Kultivierung von Vertrauen" voranzutreiben. Die investigative Plattform "Forensic News" enthüllte jedoch, dass die Organisation vor allem dazu diente, die Ansichten des russischen Staates zu promoten und den damaligen Präsidenten Trump zu unterstützen. 

2018 wurden Rodzianko und Gladysh vom FBI verhört. Der letztere soll das Ziel einer Spionageuntersuchung sein. Doch anstatt ihre Tätigkeit einzustellen, benannten Rodzianko und Gladysh ihre Organisation um. Aus RACI wurde "The American Council for U.S.-Russia" – jener Organisation, die hinter dem irreführenden Baerbock-Tweet steht. 

Die Nähe zum Kreml zur Schau getragen 

Ihre Nähe zum Kreml stellen Rodzianko und Gladysh offen zur Schau. Seit 2018 leiten sie das Programm, das amerikanische Studenten nach Russland bringt, um "zukünftigen Entscheidungsträgern zu helfen, ein umfassendes und differenziertes Verständnis des heutigen Russlands zu erlangen". Im Rahmen dieses Programms haben die beiden den Studenten hochkarätige Persönlichkeiten des russischen Staates vorgestellt, darunter die Sprecherin des Außenministeriums, Maria Sacharowa, und Alexander Sergejew, Präsident der Russischen Akademie der Wissenschaften, was gemeinsame Bilder belegen. 

Das Duo behauptet auch, eine direkte Beziehung zur russischen Botschaft zu haben. "Wir haben die russische Botschaft in Washington D.C. bei der Organisation einer Vortragsveranstaltung für Botschafter Anatoly Antonov während seines Sommerbesuchs in Seattle unterstützt", heißt es auf ihrer Website. Diese Redeveranstaltung wurde von einer anderen gemeinnützigen Organisation ausgerichtet, aber Gladysh und Rodzianko wurden dabei fotografiert, als sie in der ersten Reihe saßen, als der russische Botschafter Anatoly Antonov eine Ansprache hielt. 

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