Ausland Terror, Tod und Chaos - Szenarien für einen Irak-Krieg

Krieg - das bedeutet immer Tote, Verletzte und Zerstörung. Die meisten Experten halten einen US-Sieg über den Irak für relativ schnell erreichbar. Wenn es aber zu einem länger andauernden Bodenkrieg käme, so könnten mehr als eine halbe Million Zivilisten verletzt werden.

Außenminister Joschka Fischer (Grüne) legt die Stirn in Falten, wann immer er über die möglichen Folgen eines Irak- Kriegs sinniert. «Tiefe Skepsis» bewegt ihn dann. Er erinnert sich an seinen Besuch in Washington eine Woche nach den Terroranschlägen gegen die USA vom 11. September 2001. Fischer erfuhr bereits damals, dass die USA nicht nur Afghanistan, sondern auch den Irak im Visier hatten.

Mit dem massiven Truppenaufmarsch von Amerikanern und Briten um den Irak wird die Front der Kriegsgegner immer breiter. Bedenken und Warnungen angesichts eines Irak-Krieges hat die Bundesregierung seit Beginn der Krise immer wieder ausgesprochen. Über das laute «Ohne- uns» des Kanzlers im Wahlkampf und die Krise in den Beziehungen zu den USA drohten die Gründe gegen den Krieg aber zu verblassen.

Anti-Terrorkoalition bedroht

Acht kritische Fragen angesichts eines drohenden Waffengangs der USA gegen den Irak stellte Fischer im September vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen in New York. Zwei Hauptrisiken sieht der Minister: eine drohende Destabilisierung der gesamten Nahost-Region und das Auseinanderfallen der Anti- Terrorkoalition, die die USA nach den Anschlägen vom 11. September 2001 schmiedeten und der sich auch zahlreiche islamische Länder anschlossen. Fischer hält die Prioritätensetzung der USA überhaupt für falsch.

Der Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern könnte im Schatten des Irak-Krieges weiter eskalieren. Fischer sprach sich dafür aus, zunächst eine Lösung des Nahost-Konflikts zu finden. Ein Frieden zwischen Israel und den Palästinensern könnte seiner Ansicht nach mehr zur regionalen Stabilität und Terrorbekämpfung und Abrüstung beitragen als ein Krieg gegen Saddam Hussein. Fischer warnt auch vor einer weiteren Abkehr der arabischen intellektuellen Eliten vom Westen, vor einem verschärften «Kampf der Kulturen».

Fischer sieht bislang keine neuen, eindeutigen Erkenntnisse für die Aufrüstung Saddam Husseins mit Massenvernichtungswaffen. In einer Resolution der Grünen, die Fischers Handschrift trägt, heißt es: «(...) Schon lange dürfte der Irak nicht so gut unter Kontrolle gewesen sein, wie während der jetzigen Inspektionen.»

Gefahr für Machtgefüge in der Region

Auch in der Frage zum «Tag danach» sind die deutsche und die amerikanische Regierungseinschätzung gegensätzlich. Während die USA durch den Sturz von Saddam Hussein auf einen «Domino-Effekt» der Demokratie hoffen, warnen viele Nahost-Kenner vor den Folgen für das Machtgefüge in der arabischen Welt.

Bei einem Irak-Krieg wäre eine Protest- und Gewaltwelle nicht auszuschließen, die auch westlich orientierte Regierungen gefährden könnte. Der Nahost-Experte Volker Perthes von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) stellte ein «worst-case-Szenario» auf: Im schlimmsten Fall könnte die jordanische Monarchie stürzen, Saudi- Arabien und Ägypten destabilisiert werden und Staaten wie Iran oder Syrien für den Irak Partei ergreifen.

Humanitäre Katastrophe droht

Krieg - das bedeutet immer Tote, Verletzte und Zerstörung. Die meisten Experten halten einen US-Sieg über den Irak für relativ schnell, in nur wenigen Wochen erreichbar. Wenn es aber zu einem länger andauernden Bodenkrieg und einem erbitterten Häuserkampf um Bagdad käme, so könnten nach einer UN-Studie mehr als eine halbe Million Zivilisten verletzt werden. Eine Million Menschen würden nach Schätzungen in die Nachbarländer flüchten, weitere zwei Millionen Flüchtlinge im Irak herumirren. Düster sind die Szenarien auch, was die Milliarden-Kosten eines Krieges in dem Erdölland und die möglichen Turbulenzen für die Weltwirtschaft betrifft.

Bei der Frage, wie die Machtlücke im multi-ethnischen und konfessionell vielschichtigen Irak bei einem Sturz von Saddam Hussein zu füllen ist, geben Skeptiker weder der zerstrittenen und von USA unterstützten Exil-Opposition eine Chance noch einer Lösung von innen. Bei einer Marionetten-Regierung in Bagdad könnte ein Szenario wie in Afghanistan drohen, wo Präsident Hamid Karsai praktisch nur die Hauptstadt Kabul kontrolliert.

Anders als Afghanistan ist der Irak aber dreigeteilt in kurdische, sunnitische und schiitische Gebiete. Ein Machtkampf könnte also im schlimmsten Fall sezessionistische Bewegungen zur Folge haben. Der frühere saudi-arabische Erdölminister Ahmed Saki El Jamani warnte im «Spiegel»: «Das macht diesen Krieg so gefährlich: Seine Folgen sind nicht durchdacht.»