Am 8. November vor zwei Jahren war ich in New York. Ich hatte mich mit Freundinnen verabredet, die "Election Night" im Bowery Hotel in der Lower East Side zu gucken. Die Stimmung war angespannt, es war aufregend, hier würde heute Geschichte geschrieben werden. Die Frauen waren angehalten, ganz in Weiß gekleidet zu kommen - in Anlehnung an die Suffragetten-Bewegung Anfang des 20. Jahrhunderts. Schließlich würde in der Nacht mit Hillary Clinton die erste Madam President gewählt werden. Da waren wir uns alle sicher.
Aber es sollte alles ganz anders kommen.
Ich war geschockt, konnte es nicht fassen. Nicht ein einziges Mal in meiner mehrmonatigen Zeit in den USA hatte ich Kontakt zu jemandem, der Donald Trump wählen wollte. So fern war die Vorstellung, diese Karikatur eines Mannes könnte eines Tages das mächtigste Land der Welt regieren. Seine absurden Auftritte in den Fernsehdebatten vor der Wahl bestätigten meinen Eindruck. Am Tag nach der Election sah ich Menschen durch Manhattan laufen, die Tränen in den Augen hatten. Eine Arbeitskollegin von mir weinte bitterlich im Büro, erzählte, sie habe Angst vor dem bevorstehenden Thanksgiving, weil sie dann wieder mit Familienmitgliedern aus ihrem kleinen Heimatort streiten müsse. Eine andere verglich die Stille in der sonst so ohrenbetäubend lauten Metropole sogar mit den Tagen nach 9/11.
Trump und Kavanaugh spalten die USA
Es fühlte sich, offen gesagt, beschissen an. Und gleichzeitig steckte in diesem schlimmen Moment ein Keim Hoffnung. Hoffnung auf den Widerstand, Hoffnung auf Veränderungen, Hoffnung auf Frauen und Minderheiten, die endlich sagen würden: Es reicht.
So geschockt ich in der Nacht des 8. Novembers war, so wenig wundert mich die Wahl Brett Kavanaughs zum Supreme-Court-Richter. Sein Auftritt vergangene Woche hätte ihn vermutlich disqualifiziert, in einem Kaufhaus als Bodenreiniger anzufangen. Er war laut, er erzählte Unwahrheiten, er war trotzig, ungehobelt und er war - besonders im Vergleich zu der Frau, die ihm sexuellen Missbrauch vorwirft, Dr. Christine Blasey Ford -, unglaubwürdig.
Trotzdem habe ich keinen Moment daran gezweifelt, dass dieser Mann mit seiner Tour durchkommen würde. Die Wahl Brett Kavanaughs zum Supreme-Court-Richter, dieser lebenslangen Aufgabe, bei der er wichtige Entscheidungen (zum Beispiel im Hinblick auf die US-Abtreibungsgesetze) treffen wird, ist ein großes Fuck You des alten, weißen Mannes an #MeToo. Was sich im vergangenen Jahr wie eine Revolution anfühlte, ist vielen Menschen in Machtpositionen ein riesiger Dorn im Auge. Denn sie spüren ihre Privilegien - und sie haben Angst, sie zu verlieren.

Der sinnbildliche Mittelfinger an Opfer sexueller Gewalt
Wie muss es sich für die unzähligen Demonstrantinnen anfühlen, die lautstark, emotional, intelligent und inspirierend gegen die Ernennung des Richters protestiert hatten? Über Tage, Wochen, hatten sie einander mobilisiert, hatten sie dazu aufgerufen, Widerstand zu leisten. Während sie ihre persönlichen Erlebnisse mit sexueller Gewalt teilten und dadurch versuchten, die Senatoren zum Umdenken zu bewegen, entschieden die sich im Umkehrschluss dafür, allen Opfern sexueller Gewalt des Landes den sinnbildlichen Mittelfinger zu zeigen.
Immer wieder unterbrachen die Rufe zahlreicher Frauen von der Zuschauerbühne des Senats die Verkündung der Wahl durch Mike Pence. Die Verzweiflung war in ihren Stimmen zu hören, ihr blankes Entsetzen geradezu spürbar.
Doch die aktuellen Reaktionen auf die Wahl, besonders die zahlreicher Frauen, zeigen eines: Wie vor zwei Jahren, als Donald Trump zum Präsidenten gewählt wurde, keimt erneut die Hoffnung auf. Hoffnung in Gestalt der Midterm-Wahlen im November. Hoffnung in Gestalt von Politikerinnen, die sich das Hin- und Hergeschiebe der Macht nicht mehr länger mit ansehen wollen und auch die Interessen von Minderheiten vertreten. Und Hoffnung in Gestalt von Menschen - nicht nur in den USA - sondern auf der ganzen Welt, die wieder einmal sagen: Es reicht. Wir haben die Schnauze voll. Vielleicht ist es gut, nicht mehr geschockt zu sein. Denn jede Minute, die man mit dem Schock verbringt, ist Zeitverschwendung. Zeit, die wir noch brauchen werden. Auf geht's.
