Ein ganz normaler Montagmorgen im Libanon: Eine kleine Bombe ist östlich der Hauptstadt neben einem Fahrzeug der schiitischen Hisbollah-Bewegung explodiert. Vor der Amerikanischen Universität in Beirut schlecken Studenten Softeis. In der trostlosen Ortschaft Arsal wartet die schon vor drei Wochen geflohene Ehefrau eines syrischen Rebellen angstvoll auf die Ankunft ihres Mannes.
Zwar sind die Nachtclubs und Boutiquen in Beirut noch geöffnet, doch die Libanesen stecken schon bis zum Hals im syrischen Schlamassel. Der Konflikt im Nachbarland hat der schon seit Jahren schwelenden Feindschaft zwischen den beiden politischen Blöcken neue Nahrung gegeben. Das hat dazu geführt, dass es jetzt keine funktionsfähige Regierung mehr gibt und bald auch kein legales Parlament.
Denn der vor einem Monat gewählte neue Übergangsregierungschef Tammam Salam hat es bislang nicht geschafft, ein Kabinett zu präsentieren, das von allen Parteien akzeptiert wird. Und die Noch-Regierung von Ministerpräsident Nadschib Mikati zögert, noch wichtige Entscheidungen zu treffen. Der Verfassungsrat könnte in den kommenden Tagen entscheiden, dass die Entscheidung der Parlamentarier, die für diesen Monat geplante Parlamentswahl um 17 Monate zu verschieben, illegal war.
Spannungen zwischen Schiiten und Sunniten
Dann müsste möglichst bald gewählt werden, obwohl die Spannungen zwischen Schiiten und Sunniten in den vergangenen Monaten schon mehrfach Tote gefordert haben: In der Stadt Tripoli, in der Bekaa-Ebene und in der südlichen Stadt Sidon. Am Wochenende wurde ein Demonstrant während einer Kundgebung gegen den Kriegseinsatz der Hisbollah in Beirut erschossen.
Die vom Iran aufgerüstete Hisbollah kämpft in Syrien inzwischen ganz offiziell auf der Seite der Truppen von Präsident Baschar al Assad. Kleine Gruppen sunnitischer Islamisten aus dem Libanon haben sich ihrerseits den syrischen Rebellen angeschlossen. Die Angst davor, dass der bewaffnete Konflikt bald großflächig auf den Libanon übergreifen könnte, wächst. "Alle Szenarien sind derzeit möglich, egal wie schwarz sie auch sein mögen", sagte Mohammed Chawadscha, Mitglied des Politbüros der schiitischen Amal-Bewegung.
Amal ist im Parlament Bündnispartner der Hisbollah. Der Chef der Amal-Bewegung, Parlamentspräsident Nabih Berri, hat seine Parteimiliz allerdings im Gegensatz zu Hisbollah-Generalsekretär Hassan nicht zum Kampf in Syrien aufgerufen. Berris Vertrauter Chawadscha betont jedoch: "Wir verstehen die Motive für die Beteiligung der Hisbollah an dem Konflikt in Syrien". Dritter im Bunde ist der Vorsitzende der christlichen Freien Patriotischen Bewegung, General Michel Aoun, dem man Ambitionen auf das Präsidentenamt nachsagt.
Ende des libanesischen Bürgerkriegs liegt 23 Jahre zurück
Ihr Gegenspieler ist die 14.-März-Allianz, die gegen Präsident Assad ist. Ihr gehören unter anderem die Zukunftsbewegung von Ex-Regierungschef Saad al Hariri und die Phalange-Partei des früheren Präsidenten Amin Gemayel an. Der ehemalige Regierungschef Fuad Siniora gehört zu den prominentesten Vertretern der Zukunftsbewegung. Er sagt: "Wir unterstützen die Ziele des Aufstandes gegen das syrische Regime: Freiheit, Menschenrechte und Demokratie. Doch wir haben seit dem ersten Tag des Aufstandes immer wieder gesagt, dass wir gegen ein militärisches Eingreifen sind."
Siniora schaut grimmig, während er mit einem schmalen Kugelschreiber Notizen macht. Über seinen Schreibtisch verstreut liegen viele kleine Notizblöcke, auf denen "Fuad Siniora" steht. Sein hellblaues Hemd ziert ein fein gesticktes Monogramm.
Das Ende des libanesischen Bürgerkrieges liegt 23 Jahre zurück. Doch die Tradition der "politischen Fürsten", die ihre Macht durch Klientelpolitik, Beziehungen zu befreundeten Regionalmächten und Milizen sichern, ist immer noch ungebrochen. Deshalb können auch Wahlen und die gepiercten jungen Frauen in den Cafés von Beirut nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Libanon mit seinem religiösen Proporz-System fast so anachronistisch ist wie die Stammesgesellschaften der Arabischen Halbinsel.