Die Lage in Tunesien ist weiter angespannt. Nachdem der am Freitag zwischenzeitlich gesperrte Luftraum wieder geöffnet wurde, haben deshalb mehrere Reiseveranstalter am Samstag weitere deutsche Touristen aus dem Urlaubsland zurückgeholt. Ab 17 Uhr sei allerdings eine Ausgangssperre verhängt worden, so dass keine Reisenden mehr ausgeflogen werden konnten, teilte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes stern.de mit. Man rechne aber fest damit, dass die restlichen Urlauber am Sonntag ihren Heimflug antreten könnten.
Viele Touristen hatten zunächst festgesessen, nachdem Machthaber Zine el Abidine Ben Ali vor seiner Flucht noch den Ausnahmezustand verhängt und den Luftraum gesperrt hatte. Am späten Freitagabend waren die ersten Urlauber dann an den Flughäfen in Düsseldorf und Berlin angekommen. Am Samstagabend landete eine Maschine mit Touristen aus Djerba in Frankfurt am Main. Viele von ihnen waren von der überstürzten Abreise überrascht, weil sie von den blutigen Unruhen in ihren Urlaubsanlagen nichts mitbekommen hatten. Andere berichteten von Schüssen, die sie vor dem Hotel gehört hätten. Vor Beginn der Rückholaktion waren nach Branchenangaben bis zu 8000 deutsche Touristen in Tunesien.
Das tunesische Fremdenverkehrsamt in Frankfurt am Main warnte vor Reisen in das nordafrikanische Land. "Es ist zu gefährlich", sagte ein Sprecher. "Zum Glück ist noch kein Tourist gestorben - bisher ist es eine rein nationale Angelegenheit. Ich glaube daran, dass eine neue Regierung Tunesien ein Stück Freiheit zurückbringen wird. Das wird das Image unseres Landes verbessern."
Merkel bietet Hilfe beim Aufbau einer Demokratie an
Auch politisch regiert in Tunesien weiter das Chaos: Nach der Flucht von Ben Ali ins Exil wurden binnen 24 Stunden zwei Übergangspräsidenten ernannt. Am Samstag berief der Verfassungsrat mit Foued Mbazaa (77) einen weiteren Übergangspräsidenten, der umgehend vereidigt wurde. Zunächst hatte Ministerpräsident Mohamed Ghannouchi die Amtsgeschäfte von Präsident Ben Ali übernommen, der das Land seit fast einem Vierteljahrhundert mit harter Hand regiert hatte. Ben Ali hatte sich am Freitag nach blutigen Protesten gegen sein Regime nach Saudi-Arabien abgesetzt.
Mbazaa soll Neuwahlen vorbereiten. Die Bundesregierung rief Tunesien auf, eine Demokratie aufzubauen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bot dazu Deutschlands Hilfe an. Außenminister Guido Westerwelle (FDP) appellierte an Mbazaa: "Gehen Sie den Weg in Richtung Demokratie, sorgen Sie für wirkliche Stabilität."
Zahl der Toten steigt auf mehr als 130
Die Unruhen gingen unterdessen weiter. Immer wieder kam es in zu Plünderungen. Über der Hauptstadt stiegen am Samstag Rauchsäulen auf. Bei einem Gefängnisbrand im Küstenort Monastir starben nach Angaben von Ärzten bis zu 60 Menschen. Auch in der Stadt Kasserine stand ein Gefängnis in Flammen. Am Samstag marschierte Militär im Stadtzentrum von Tunis auf. Schon in der Nacht hatten Brandstifter trotz Ausgangssperre Feuer gelegt, unter anderem in einem Bahnhof. Auslöser des Chaos waren Proteste gegen die hohe Arbeitslosigkeit, die sich dann gegen das Regime von Ben Ali richteten.
Nach dem Gefängnisbrand in Monastir erhöhte sich die Zahl der Menschen, die seit Beginn der Unruhen in dem Mittelmeerland ums Leben gekommen sind, auf mehr als 130. Ersten Erkenntnissen zufolge hatten Häftlinge ihre Matratzen in Brand gesteckt. Die Flammen hätten dann schnell auf das gesamte Gebäude übergegriffen. Viele Gefangene starben in den Flammen. Als andere zu fliehen versuchten, schossen Wärter auf die Menschen. Bei dem Gefängnisbrand in der Stadt Kasserine gelang es zahlreichen Häftlingen nach Augenzeugenberichten, rechtzeitig vor Flammen oder Schüssen zu fliehen.
Die Proteste, die sich ursprünglich gegen Preiserhöhungen und die hohe Arbeitslosigkeit richteten, hatten sich in den vergangenen Tagen immer mehr zum Aufstand gegen den Präsidenten entwickelt. Ben Ali war am frühen Samstagmorgen in der saudischen Hafenstadt Dschidda eingetroffen. Man habe Ben Ali und seine Familie im Königreich willkommen geheißen, meldete die saudische Nachrichtenagentur SPA. Ben Ali hatte nach französischen Medienberichten zuvor vergeblich versucht, in Paris zu landen.
Militär geht gegen Elite-Polizisten vor
Die Hintermänner der Plünderungen in Tunesien blieben vorerst im Dunkeln. Kriminelle Banden hätten von dem Chaos profitiert und Geschäfte geplündert, sagte der Oppositionspolitiker Mustafa Ben Jaafar dem französischen Sender France Info. Auch Verwaltungsgebäude seien angegriffen worden.
Vor Reportermikrofonen äußerten mehrere Tunesier dagegen den Verdacht, dass Angehörige der Miliz das Machtvakuum nutzten und an Plünderungen beteiligt waren. Tunesische Soldaten setzten Hunderte von Ben Alis Elite-Polizisten fest. Ihnen wird vorgeworfen, für die gewaltsame Eskalation bei den Massen-Demonstrationen der vergangenen Tage verantwortlich gewesen zu sein. Mehrere von ihnen stehen zudem im Verdacht, an Plünderungen und Zerstörungen beteiligt gewesen zu sein.