Sie ist derzeit eine kleine Berühmtheit: Cheryl Johnson, 62. Jeden Abend steht sie dieser Tage vor dem Stehpult im US-Kongress und trägt mantra-artig immer wieder die gleichlautende Nachricht vor: "A speaker hast not been elected" – ein Sprecher wurde nicht gewählt.
Drei Tage dauert nun schon das peinliche Schauspiel im Kapitol in Washington, bei dem sich die Republikaner bemühen, ihren Mehrheitsführer Kevin McCarthy zum Sprecher des Repräsentantenhauses zu wählen. Doch weil ihm eine kleine Gruppe von Trump getreuen Abweichlern hartnäckig die Gefolgschaft verweigert, sind inzwischen elf Wahlgänge ohne Erfolg verstrichen. Ein beinahe schon historisches Debakel für die Grand Old Party, als die sie sich gern bezeichnet.
Cheryl Johnson ist die einzige Konstante in diesem Trauerspiel
Einzige Konstante in diesem Trauerspiel ist eben jene Cheryl Johnson, die Abend für Abend, Wahlgang für Wahlgang, den Hammer schwingt, um dem Abstimmungschaos zumindest einen Hauch von Ordnung und Würde zu verleihen. Eine Aufgabe, die sich Johnson vermutlich nicht ausgesucht hat. Sie verdankt sie vielmehr ihrer Funktion. Johnson ist "clerk of the house". Schriftführer, wenn man so will: der oberste Sekretär des US-Kongresses.
In normalen Zeiten kommt es auf den Inhaber des Amtes zu, die erste Sitzung nach der Wahl der neu konstituierten Kammer zu leiten, in der dann ein Sprecher gewählt wird. Eine Formalie eigentlich – und auf keinen Fall ein Job, mit dem man berühmt wird.
Doch in der US-Politik sind die Zeiten derzeit alles andere als normal. Und das führte dazu, dass am Ende des dritten Wahltages der Abgeordnete French Hill aus Arkansas aufstand und seinen erneuten Nominierungsvorschlag für Kevin McCarthy mit einem Dankeschön begann: "Lassen Sie mich meine tiefe Wertschätzung und die aller Anwesenden für die Arbeit zum Ausdruck bringen, die Sie leisten, Madame Clerk", sagte er.
Das Repräsentantenhaus reagierte mit stehenden Ovationen. Jemand rief sogar "Johnson for Speaker", was zu schallendem Gelächter führte. Die Gefeierte ließ sich nichts anmerken, faltete ihre Hände, lächelte höflich und fuhr fort. Sie kennt das inzwischen schon. Bereits in den Tagen zuvor wurde sie mehrfach als "Madam Speaker" angesprochen statt als "Madam Clerk".
Johnson wurde von Nancy Pelosi berufen
Normalerweise ist der Schriftführer ein wenig bekanntes Amt im Protokoll der US-Demokratie, ein Verwaltungsposten, der unter anderem die Bestätigung der Verabschiedung aller Gesetzesentwürfe und Beschlüsse durch die Kammer umfasst. Johnson hat das Amt seit 2019 inne. Damals wurde sie von Nancy Pelosi aufgestellt und 2021 erneut von ihr berufen. Die kleine, zierliche Frau stammt aus New Orleans und hat einen Bachelor Abschluss in Journalismus und Massenkommunikation an der Universität von Iowa sowie ein Diplom der Rechtswissenschaften an der Howard University. Seit 1789 gab es nur vier Frauen, die den Titel als "House Clerk" innehaben. Johnson ist erst die zweite Afroamerikanerin in dieser Funktion.
Parlamentarische Turbulenzen sind Johnson nicht fremd. So war sie etwa zweimal mit der Übergabe von Anklageschriften gegen den ehemaligen Präsidenten Donald Trump betraut.
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Persönlich kommen ihr keine Äußerungen über das derzeitige Wahlchaos über die Lippen. Das verbietet allein schon die Überparteilichkeit ihres Amtes. Ihre Aufgabe ist besonders undankbar, da es kaum historische Vorbilder und keinerlei offizielle Regeln gibt, an die sie sich halten könnte. Sie hat nichts zur Verfügung, außer ihrem Stehpult, ihrem Mikrofon und ihrem Ahornhammer, mit dessen Schlägen sie die Abgeordneten zur Ordnung rufen kann.
Doch die Art und Weise, wie sie ihr Amt ausfüllt, ihre Ruhe und Entschlossenheit, haben dazu beigetragen, dass Johnson in den turbulenten Wahlsitzungen wie ein Fels in der Brandung wirkt. Fast hat man den Eindruck, dass das totale Auseinanderbrechen des demokratischen Protokolls in den USA allein von dieser kleinen, zierlichen Frau mit einem Holzhammer abhängt.
Sinn für Fairness und Ordnung
Eine Bürde, die parteiübergreifend von allen Mitgliedern des Hauses anerkannt wird. Der demokratische Abgeordnete Ro Khanna twitterte am Donnerstag: "Sie ist außergewöhnlich, ohne sich auf irgendwelche Regeln stützen zu können, mit einem Sinn für Fairness und Ordnung."
Trotzdem dürfte Johnson froh sein, wenn sie zukünftig wieder etwas weniger im Rampenlicht steht. Ihre Amtszeit ist demnächst zu Ende. Der nächste Schriftführer wird vom künftigen Sprecher des Repräsentantenhauses aufgestellt. Aber das kann dauern: 1856 benötigte das Repräsentantenhaus 133 Wahlgänge, um einen Sprecher zu wählen.